Kommen wir zum vierzehnten und letzten Guss, in den Sie nun Ihre allergrößte Aufmerksamkeit legen:
Lösen Sie sich von der Idee, dass Vergleichbarkeit beim Meditieren entsteht. Meditatives Erleben ist immer einzigartig, differenziert und individuell.
„Ja, vielleicht”
Zwei leere Gläser
Nun haben Sie zwei leere große oder kleine Gläser vor sich stehen und das bedeutet in diesem symbolischen Kontext, dass Sie sich empfänglicher und aufnahmebereiter für das dreißigtägige Schmerzprogramm gemacht haben. Wenn es mir dabei gelungen ist, etwaige Vorurteile, skeptische Meinungen oder vorschnelle Bewertungen über das Gebiet der Meditation aufzuweichen, genügt mir das an dieser Stelle voll und ganz.
Im Folgenden wird es für Sie verstärkt darum gehen, neue Erfahrungen zu sammeln, gewissermaßen wieder zu lernen, vielleicht sogar zum blutigen Anfänger zu werden, der leer genug ist, um aufnahmefähig zu sein. Und das ist ein wunderbarer Moment! Aus meiner Sicht ist es einer der kostbarsten Momente überhaupt, in einer eingefahrenen oder feststeckenden Situation wieder von vorn beginnen zu dürfen.
Eine Zenparabel
Wie Sie bereits beim Lesen der vierzehn Punkte bemerkt haben, liegt ein großes Potenzial zur Heilung darin, dass wir uns von Bewertungen, Vorurteilen und Schubladendenken lossagen. In der Schmerzintervention spielt diese Tatsache keine geringe Rolle. Im Gegenteil.
In vielen Schmerzfällen ist es nicht der Schmerz als solcher, der den Betroffenen die allergrößten Probleme bereitet, sondern das Verhältnis, das sie zu ihm einnehmen, die Bewertung, die sie ihm geben, und die Prognosen, die sie ihm anheften. Tatsächlich ist der ständig bewertende, nach Urteil bohrende und problemverliebte Verstand das größte Hindernis, wenn sich eine Schmerzsituation verändern soll.
Vielleicht haben Sie das bereits ganz von selbst beim Ausgießen der beiden Gläser sehen können. Dieser Fakt potenziert sich dann noch einmal, wenn es bereits eine Reihe negativer Erfahrungen und schiefgegangener Therapieversuche gab. Dann ist es schwer, wieder von vorn zu beginnen und sich in eine offene Stimmung zu versetzen. Aus genau diesem Grund gebe ich Ihnen hier eine Zenparabel mit auf den Weg, die Sie gern im Hinterkopf behalten können. Wie es bei diesen überlieferten Kurzgeschichten üblich ist, geht es nicht darum, die Inhalte wörtlich zu nehmen, sondern ihren Sinngehalt „intern“ zu verstehen, ihn mehr zu erfühlen, als den Sachverhalt im Detail auf die Goldwaage zu legen. Lehnen Sie sich nun noch entspannter zurück und lassen Sie die Essenz der Parabel in sich einsickern.
„Ja, vielleicht …“
Ein Farmer arbeitete über lange Zeit hart daran, den Boden für die Getreideaussaat optimal vorzubereiten. Gewissenhaft kümmerte er sich darum, dass er nichts übersah.
Kurz vor der Aussaat aber lief sein Pferd davon, das sein Hauptarbeitsmittel war. Ohne Pferd war er aufgeschmissen. Sollte denn alle Mühe umsonst gewesen sein?
Die Nachbarn des Farmers hatten davon gehört und waren voller Mitgefühl. Sie kamen, um ihn zu trösten: „Was für ein Unglück!“, riefen sie. „Was für eine Tragödie! Wie konnte das nur passieren!“
Doch der Farmer blieb ruhig. Dann nickte er und sagte: „Ja, vielleicht …“
Am nächsten Morgen hörte der Farmer das Geräusch von Pferden auf seinem Hof. Als er das Fenster öffnete, sah er, dass sein Pferd zurückgekommen war. Es hatte drei Wildpferde mitgebracht, die ihm auf seinem Ausflug offensichtlich gefolgt waren.
Wieder kamen die Nachbarn zu ihm. Dieses Mal riefen sie: „Wie toll! Großartig! Was für ein Glück, dass dein Pferd wiedergekommen ist! Und was für ein Wunder, dass du jetzt sogar gleich mehrere Pferde hast! Was für ein Glück!”
Der Farmer blieb wieder sehr ruhig. „Ja, vielleicht …”, antwortete er erneut.
Einige Zeit später versuchte der Sohn des Farmers auf einem der neuen wilden Pferde zu reiten. Dieses warf ihn aus dem Sattel und er brach sich ein Bein. Der Sohn konnte dem Farmer bei der Arbeit, die in vollem Gange war, nicht mehr helfen, sodass der Farmer die Ernte allein bewältigen musste. Dadurch würde er den größten Teil der Ernte einbüßen, was für ihn eine Existenzfrage war.
Wieder kamen die Nachbarn und gaben ihre Kommentare ab: „Was für ein Pech!”, riefen Sie. „Was für ein Unglück, dass das ausgerechnet jetzt inmitten der Ernte passieren muss!”
Der Farmer entgegnete wieder: „Ja, vielleicht …”
Gerade einen Tag später erschienen Offiziere auf dem Grundstück, um den Sohn des Farmers in die Armee zu holen, um in den Krieg zu ziehen. Doch weil dieser ein gebrochenes Bein hatte, sahen sie davon ab.
Die Nachbarn freuten sich für den Farmer und seinen Sohn. Ich denke, Sie wissen genau, was ihnen der Farmer geantwortet hat.
Bevor Sie die dreißig Tage nicht beendet haben, versuchen Sie einmal, die innere Haltung des Farmers einzunehmen und sich bewusstzumachen, dass alles, was Sie erfahren, nicht das Ende Ihrer Erfahrungen ist.
1. KAPITEL
Die Vorbereitung des
30-Tage-Programms:
Damit Ihr Neuanfang ein neuer wird
„Warm-up“ fürs Gehirn
Die Vorbereitung macht’s
Vor Ihnen liegen nun vier Wochen bewusstheitsorientierte Schmerzintervention, in denen Sie sich in Innenschau und Selbstreflexion üben werden. Der erste Schritt besteht in einer sorgfältigen Vorbereitung des Schmerzprogramms. Während ich mich um die inhaltlichen Aspekte gekümmert habe, passen Sie das Programm Ihrer konkreten Lebenssituation an und geben den Rahmen vor, in dem Sie explorativ tätig werden möchten. Gemeinsam sorgen wir dafür, dass Ihre Meditationspraxis nach dem Startschuss reibungslos vonstattengeht.
Sicher erinnern Sie sich an die einzelnen Aspekte der Schmerzintervention, die ich anfangs mit dem Ausgießen der beiden Gläser angesprochen habe. Einer bestand darin, dass Sie sich im Rahmen des 30-Tage-Programms von einem rein symptomorientierten Vorgehen lösen. Und das wird nun konkret. Damit Sie in der Vorbereitungsphase diesbezüglich die richtigen Entscheidungen treffen, möchte ich Ihnen vor dem Start aufzeigen, worum es im Inneren Ihres Organismus geht und was dieser braucht, wenn Symptombekämpfung als Strategie entfällt. Ich zeige Ihnen, welche Implikationen das auf das Schaffen der richtigen äußeren und inneren Bedingungen im Vorfeld hat.
Ihr Schmerz und Ihr Gehirn
Zuerst möchte ich Sie noch einmal darauf aufmerksam machen, dass das Empfinden von Schmerz aus neurophysiologischer Sicht kein lokaler, auf den schmerzenden Körperbereich bezogener Vorgang ist. Das ist es nicht, weil der Schmerz als solcher nicht an der sensiblen Stelle im Körper entsteht, wo Sie ihn spüren, sondern die Verarbeitung von Schmerzsignalen im Zentralen Nervensystem, also fernab vom Schmerzherd, geschieht. Bevor die Meldung von Schmerzen in Ihre Wahrnehmung eingeht, wurde ein Mix aus Impulsen an Ihr Gehirn als Kontrollzentrum des Organismus weitergeleitet, das diese verarbeitet und in eine entsprechende Empfindungsqualität übersetzt. Es ist ein Fakt: Schmerzempfinden entsteht im Gehirn.
Indem Sie diese Tatsache als Ausgangspunkt für das vor Ihnen liegende Schmerzprogramm anerkennen, wird auch klar, worauf sich Ihr Fokus beim praktischen Vorgehen richten muss: Eben weil Schmerzverarbeitung im Verantwortungsbereich des „Dirigenten“ des menschlichen Organismus liegt, richten sich die Impulse im Übungsteil genau auf diesen, das Schmerz produzierende Gehirn. Weil das so ist, sind alle Praxistools neurologisch durchdacht und