Schauen wir auf den meditativen Grundsatz Nummer zwölf:
Verabschieden Sie sich davon, dass Sie an Meditation glauben müssen. Wenn Sie offen für neue Erfahrungen in Ihrem Innern sind, reicht das für das Wahrnehmen neuer Impulse vollkommen aus.
13. Angst vor Kontrollverlust
Ich erinnere mich gut daran, als Hebammen die ersten Akupunkturnadeln setzten, um Geburtsschmerzen zu lindern, als Zahnärzte in ihren Praxen Hypnose zur Angstlinderung vorstellten oder Homöopathen damit begannen, Erkrankungen mit kleinen weißen Kügelchen zu behandeln. Es war, als erschütterten gleich mehrere Erdbeben das Hoheitsgebiet der Medizin. Und so war es auch mit der Legitimierung von Meditation.
Als die ersten Meditierer aus Asien zurückkamen und über ihre Erlebnisse sprachen, hatten sie nicht nur mächtig viel Gegenwind, sondern wurden auch mit öffentlich akzeptierter Feindseligkeit und Arroganz konfrontiert. Warum? Weil viele Menschen das Gefühl hatten, das, was sie da an anderen erlebten, sei ein Beweis dafür, dass sich ihr Leben durch Meditation ihrer Kontrolle entzöge. Etwas Dubioses muss da im Gange sein, etwas Unfassbares, das nichts als Gehirnwäsche und Willenlosigkeit erzeugt.
Tatsächlich beobachte ich, dass solche Befürchtungen oder die Angst vor Kontrollverlust einer der meistgenannten Gründe dafür sind, dass viele Menschen dem Thema Meditation immer noch mit Distanz begegnen oder es sogar mit Argwohn beäugen. Und ja, Meditierende verändern sich. Sie verändern ihre Ausstrahlung, ihre Gewichtung, ihre Maßstäbe, ihre Werte. Und das passiert deshalb, weil die Kontaktaufnahme mit der inneren Welt tatsächlich andere Maßstäbe setzt. Wie Sie mittlerweile ahnen mögen, unterscheiden sie sich von denjenigen, mit denen wir in der Schule, in der Berufsausbildung oder in der Universität vertraut gemacht wurden. Insofern bewegen sich angehende Meditierer zunächst einmal auf ungewohntem Terrain. Und ja, das kann verunsichern und zu dem Empfinden führen, das Leben entgleite den eigenen Händen.
Vielleicht kennen Sie das ja auch schon. Vielleicht haben Sie es mit dem Meditieren sogar praktisch versucht, aber das Gefühl gehabt, ins Bodenlose zu versinken. Sie fürchteten sich, wurden unsicher oder bekamen sogar Angst. Sie konnten sich nicht orientieren, wussten nicht, wohin mit Ihrem inneren Blick. Andrea, eine Klientin, sagte, dass sie einige Anläufe genommen, aber gar nicht gewusst habe, wie sie es „anstellen” solle. „Ich habe mich hingesetzt, die Augen zugemacht und gewartet. Als nichts passiert ist, habe ich Panik gekriegt und es als eine der blödesten Sachen der Welt abgehakt.“
Solche Bedenken sind nicht selten und gewissermaßen normal. In einer Welt, in der viele Menschen ein mangelndes Sicherheitsempfinden beklagen, weil sie täglich mit Ereignissen konfrontiert werden, die für ihr Dasein bedrohlich sind, haben sie vielleicht ohnehin das Gefühl, dass ihnen alles außer Kontrolle gerät. Und jetzt schlage ich vor, auch noch im Inneren die Kontrolle aufzugeben und sich freizumachen für das, was im Bereich des Unbekannten liegt?
Auch wenn ich vollstes Verständnis für diese Bedenken habe, kommen wir um einen wichtigen Fakt nicht herum: Wenn Sie die Wirkung Ihrer meditativen Explorationen zu kontrollieren beabsichtigen wie den Bau eines Hauses, die Reparatur Ihres Rasenmähers oder die Hausaufgaben Ihrer Kinder, dann setzen Sie sich gleichzeitig starke Grenzen. Während die Schärfe Ihres Kontrollblicks im Außen durchaus gerechtfertigt sein kann, muss sie sich im Zuge der Innenschau zurückziehen und Ihnen ein offenes Erfahrungsfeld gewähren.
Das bedeutet aber nicht, dass Sie dadurch kontrollierbar, hörig oder willenlos werden und sich Ihrem Einfluss auf sich selbst entziehen. Nein. Im Gegenteil. Erst mit dem Aufgeben Ihres wasserdichten Kontrollbedürfnisses werden Sie in die Lage versetzt, sich wirklich kennenzulernen und infolgedessen das „Kommando” über sich zu übernehmen. Das klingt wie ein Widerspruch. Ich weiß. Doch so ist das nun einmal: Genauso wie ein Vogeljunges aus dem Nest geworfen werden muss, damit es merkt, dass es fliegen kann, oder wie Sie beim Fallschirmspringen erst einmal aus einem Flugzeug herausspringen müssen, bevor der sichernde Fallschirm Sie auffängt, müssen Sie die Kontrolle aufgeben, um zu erfahren, worin Ihre wahre innere Sicherheit besteht.
Leeren Sie Ihr Glas weiter, doch lassen Sie noch einen letzten Tropfen drin. Verinnerlichen Sie den Grundsatz Nummer dreizehn ganz und gar:
Indem Sie beim Meditieren die innere Kontrolle aufgeben, werden Sie nicht schwächer, sondern stärker. Sie erfahren, worin Ihre wahre innere Sicherheit liegt.
14. Individualität
Moment, werden Sie sagen, hier kommt es nochmals zu einer Wiederholung! Auch das Thema der Individualität haben Sie bereits ausgegossen. Das stimmt. Doch nicht nur Schmerzen sind eine individuelle Erscheinung, auch das Erleben von Meditation.
Holen wir hier kurz aus: Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass ich Ihnen den Unterschied zwischen dem „Zustand Meditation” und dem Praktizieren einer Meditationstechnik aufgezeigt habe. In diese Zweiteilung haken wir uns hier ein, denn nicht jede Meditationstechnik ist für jeden Menschen gleichermaßen gut: Ein von Stress geplagter Mensch beispielsweise, der unter Dauerspannung steht, braucht andere Impulse als jemand, der sich müde und lethargisch fühlt. Ein mental beanspruchter Mensch muss eine andere Tagesroutine entwickeln als jemand, der eine physisch herausfordernde Tätigkeit hat. Ein Mensch, der einer repetitiven, wenig herausfordernden Arbeit nachgeht, muss sich innerlich anders ausrichten als jemand, dessen Hauptaktion in vielseitigster kreativer Beanspruchung besteht. Meditationstechniken müssen das konkrete Nervensystem ansprechen, und weil Nervensysteme individuell sind, ist Meditationspraxis, was Techniken und Methoden anbelangt, nicht weniger individuell. Diese Notwendigkeit potenziert sich dann noch einmal, wenn Schmerzen beim Meditieren eine Rolle spielen: Meditationspraxis zur Schmerzlösung greift nur dann, wenn sie somatisch stimmig, weil maßgeschneidert für das entsprechende Nervensystem ist.
Und weiter geht‘s: Während es also auf die Auswahl der adäquaten Meditationstechnik ankommen wird, ist das Erleben des Zustandes von Meditation ebenfalls kein einheitlicher Prozess. Das Eintreten des Zustandes von Meditation muss Ihnen nämlich nicht, wie das sehr viele Meditierende erwarten, während der Meditationspraxis unmittelbar widerfahren! Das kann es, muss es aber nicht. Es kann Ihnen genauso gut nach dem Praktizieren oder zu einem späteren Zeitpunkt geschehen.
Ein Beispiel: Sie haben eine Meditationstechnik praktiziert. Alles war stimmig, aber Sie konnten verfolgen, dass Ihre Gedanken währenddessen hellwach und auf demselben Erregungslevel geblieben sind. Irgendwann öffnen Sie die Augen, stehen auf und gehen vielleicht in den Garten hinaus. Und puff! Sie staunen. Erst im Vergleich mit der Außenwelt bemerken Sie, dass das Klima in Ihnen doch ganz still geworden ist.
Genauso gut kann es Ihnen passieren, dass Ihnen im direkten Zusammenhang mit Ihrer Übungspraxis, also weder währenddessen noch unmittelbar danach, rein gar nichts Nennenswertes geschieht. Doch ein paar Tage später, während Sie inmitten des Citytrubels stehen, in der Einkaufsschlange warten oder in der vollen S-Bahn stecken, wundern Sie sich, wie ruhig Sie sich fühlen und dass Sie das turbulente Treiben um Sie herum überhaupt nicht erreicht. Sie stehen wie in der Mitte eines sich drehenden Kreisels und sind einfach nur „da”, anwesend und zentriert.
Und schließlich greife ich noch auf meine eigene erste Meditationserfahrung zurück: Vor mehr als zwanzig Jahren rutschte ich in einem Feldenkrais-Training in der Pause einer Bewegungssequenz ganz unvorbereitet in einen Zustand der Stille hinein. Ich habe das damals gar nicht als meditative Erfahrung anerkannt, weil in meinem Kopf das Raster saß, dass einem solche Momente nur dann geschehen, wenn man eine „ordentliche” Meditationstechnik praktiziert.
Es gibt also sehr viele unterschiedliche Versionen, wie, wann und wodurch Ihnen der Zustand Meditation geschehen kann. Tatsächlich ist das ein absolut individuelles Geschehen, auf das