Wer noch mehr für die Schönheit tun will, der greift immer häufiger zu drastischeren Maßnahmen: Operative Eingriffe und die plastische Chirurgie sind mittlerweile kein Tabu mehr, sondern gesellschaftsfähig geworden: Rund 23 Millionen chirurgische und nicht chirurgische Eingriffe werden jährlich durchgeführt. Meist sind es auch hier Frauen, nämlich 80 Prozent, die sich für die Schönheit das Fett absaugen, die Augenfalten mit Botox unterspritzen oder die Brüste vergrößern lassen. Zwar ist auch beim männlichen Geschlecht eine steigende Bereitschaft zu Schönheitseingriffen zu verzeichnen, aber mit 17,5 Prozent ist der Anteil der Männer, die sich dafür entscheiden, dennoch merklich geringer. Schönheit ist also ein Riesenthema. Das heutige Ideal von Frauen sieht in den meisten Köpfen so aus, wie es uns durch die Bilder der Models auf den Plakaten eingeimpft wird: schlank, hellhäutig, aber gebräunt, lange Haare, große Augen, kleine Nase, volle Lippen, hohe Wangenknochen, blitzweiße Zähne, unbehaart, mit runden, stehenden Brüsten und einem möglichst knackigen Po.
Was wir beim Anblick dieser »Überwesen« aus den Werbeplakaten und Modezeitschriften vergessen, ist, dass selbst Models im Normalfall nicht so aussehen, wie sie auf diesen Bildern wirken. Was noch nicht dem Idealbild entspricht, wird per Photoshop und Co. ideal gemacht. Was in unseren Köpfen geschieht, ist das, was man eine »mediale Gewöhnung« nennt. Bilder, die wir unablässig sehen, führen zu einem Gewöhnungseffekt. Obwohl also der Körper eines Models für eine Frau mit einer durchschnittlichen Statur, wenn überhaupt, oft nur mit größter Anstrengung und Entbehrungen erreicht werden kann, weil er im Schnitt 20 Prozent dünner ist als der von Frauen mit Normalgewicht – und weil der Körper blutjunger Models oft wenig mit den Maßen einer erwachsenen Frau zu tun hat –, beginnen wir zu glauben, dass das Extrem normativ ist. Also das zeigt, was wir gesellschaftlich als Norm betrachten. Die Maße 90–60–90, die man über viele Jahre so gern als Körperideal bezeichnet hat, sind für erwachsene Frauenkörper tatsächlich eine extreme Seltenheit. Denn während bei der Brust der reale Umfang einer erwachsenen Frau tatsächlich 90 Zentimetern entsprechen könnte, spiegeln die Maße 60 und 90 bei Taillen- und Hüftumfang eher den Durchschnittswert eines jugendlichen Mädchens wider.
Was haben diese unrealistischen Ideale mit unserem Selbstwert gemacht, und wie weitreichend sind die Folgen? Auch hier sind die Ergebnisse alarmierend und zeigen, wie dringend ein Umdenken nötig ist.
Der »Dove Beauty Confidence Report« aus dem Jahre 2016 zeigt, dass der Selbstwert von Frauen weltweit stetig abnimmt. 86 Prozent der Frauen in Deutschland gaben an, aufgrund eines negativen Selbstbildes bereits soziale Aktivitäten gemieden und sich freiwillig isoliert zu haben. Bei 91 Prozent der Frauen hat ihr negatives Körperbild dazu geführt, dass sie bereits auf Nahrung verzichtet oder ihre Gesundheit durch andere Maßnahmen gefährdet haben. Dass ein negatives Selbstbild über die Körperwahrnehmung hinaus tief ins Seelenleben eingreift, zeigt die Aussage, dass sechs von zehn Frauen den Druck verspüren, keine Schwäche zeigen zu dürfen. »Immer perfekt sein zu müssen«, das ist es, was viele von uns tagtäglich spüren. Nun wissen die meisten Frauen (72 Prozent) laut dieser Studie aber auch, dass die Ideale, die von den Medien kommuniziert werden, unrealistisch sind, und wünschen sich eine Veränderung, um den Druck nach Schönheit aufzulockern. Die Body-Positivity-Bewegung ist hierbei ein wichtiger Schlüsselfaktor. Denn der Ruf nach einer Welt, in der sich Frauen sich selbst und ihrem Körper liebevoll zuwenden können, ohne in eine Schablone gezwängt zu werden, wird immer lauter. Wer sich über viele Jahre an hohen Maßstäben orientieren musste, beginnt nun, sich immer mehr dem Druck von aufoktroyierten Idealen zu widersetzen. Obwohl die sozialen Medien natürlich auch ein Ort sind, in denen das Ideal vom perfekten Körper propagiert wird, hat sich durch die Demokratisierung der Mode- und Medienwelt durch die Digitalisierung auch eine neue Diversität herausgebildet.
Viele Menschen beginnen, sich gegen ein vordiktiertes Ideal zu wehren. Sie wollen sie selbst sein dürfen. Die Individualisierung kommt also langsam auch bei unseren Körperidealen an. Wir selbst werden Herr oder Herrin unseres Wertes – und lassen keine Industrie, keine Medien und keine anderen Menschen darüber bestimmen. Die Botschaft der Body-Positivity-Bewegung ist:
DU BIST SCHÖN,
weil du wertvoll bist. Und nicht wertvoll, weil du schön bist.
Bin ich schön?
Kommt ganz darauf an, in welcher Epoche du fragst. Vielleicht muss man ein wenig in die Vergangenheit reisen, um sich dem Begriff Schönheit von einem erfrischenden Standpunkt aus zu nähern und sie ein wenig von der starken Fokussierung auf ein heutiges Ideal zu lösen. Denn die Schönheit »von heute« ist nicht unbedingt die Schönheit »von früher«.
Wenden wir uns, bevor wir uns später wieder mit den heutigen Schönheitsidealen und der Body-Positivity-Bewegung beschäftigen, zuerst der Vergangenheit zu und tauchen ein wenig in die Geschichte der Schönheit ein. Die Suche danach, Schönheit zu begreifen, ist wohl so alt wie die Existenz des Menschen selbst. »Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet«, sagte der Dichter Christian Morgenstern, was sich sehr idealistisch und romantisiert anhören mag. Doch wenn man sich bei der Frage danach, was die ideale Schönheit eigentlich ist, auf Spurensuche begibt, zeigt sich in der Zeitgeschichte ein Bild der Diversität. Schönheit hat eben tausend Gesichter …
DIE ÄGYPTER
Im alten Ägypten, in einer Zeit vor mehr als 5000 Jahren, herrschten ironischerweise ähnliche Schönheitsideale wie heute. Man könnte sagen, die alten Ägypter waren, was Schönheitspflege anbelangt, ziemliche »Pros«. Schlank, haarlos und möglichst top-gestylt galt im alten Ägypten als absolut »en vogue«. Wie sich auf zahlreichen Gemälden oder Reliefs zeigt, wurden die Frauen meist mit langen Haaren, feinen Gesichtszügen, großen, ausdrucksstarken Augen, schmalen Hand- und Fußgelenken und feinen Fingern abgebildet. Im Gegensatz zu alten indischen oder asiatischen Abbildungen von Frauenkörpern wurden in Ägypten keine üppigen Brüste und breiten Hüften gezeigt, die körperlichen Merkmale zeichneten sich ab, waren aber dennoch eher subtil und grazil. Geradezu besessen ging man im ägyptischen Reich mit der Körperpflege um: Schonungslos wurde auch das noch so kleinste Haar von Mann und Frau abrasiert und gezupft, der enthaarte Körper anschließend gebadet. Seife war damals noch nicht bekannt, deshalb mussten sich die Ägypter mit ziemlich hartem, aber dennoch höchst wirksamem Zeug wie Natron, Asche und Soda im Nil baden. Übrigens: Die Männer im alten Ägypten würde man heute wahrscheinlich als »metrosexuell« bezeichnen: Ein gut geschminktes Gesicht war für beide Geschlechter ein Ausdruck von hohem sozialem Rang, und ein gut ausgestatteter Kulturbeutel gehörte in den Schrank eines jeden ägyptischen Mannes – und war ganz und gar kein Zeichen von Unmännlichkeit.
DIE GRIECHEN
Nicht für alle Kulturen war Schönheit allein mit dem Körper verbunden. Die alten Griechen zum Beispiel verstanden unter dem Begriff Schönheit eher ein universelles Gesamtkonzept. Das Wort Kosmetik leitet sich vom altgriechischen Wort »kosmos« ab, was, je nach Kontext, Welt, Weltall, Schönheit, Schmuck und Glanz, aber auch Ordnung bedeuten kann. Alles, was existiert, also alle Abbilder des Kosmos, der universalen Ordnung, gehörten für die alten Griechen zum Bereich des Schönen. Die Schönheit war fast immer mit anderen Eigenschaften als mit der reinen Ästhetik assoziiert. Auf die Frage, nach welchem Kriterium Schönheit zu bewerten sei, sagte das Orakel von Delphi der Legende nach: »Das