Ich empfahl ihr, einen schönen Ort zu finden, an dem sie spazieren gehen und auf diese Weise meditieren könnte. Sie sollte weiterhin sich des Denkens bewusst werden, wenn sie es bemerkte. Aber statt ihre Aufmerksamkeit auf den Atem zu richten, sollte sie alle ihre Sinneswahrnehmungen als Anker nutzen. Ich empfahl ihr, sich des Drucks ihrer Füße auf der Erde bewusst zu werden und die Bilder und Gerüche und Geräusche der Natur um sich herum zu bemerken. Ich riet ihr, jedes Mal innezuhalten, wenn ihr etwas Schönes oder Interessantes auffiel, und dieser Erfahrung dann ihre volle Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Als wir uns einige Monate später wieder sprachen, berichtete Frances von ihrer Meditation. »Meine Spaziergänge sind ein einziges langes Schlendern!«, erklärte sie und erzählte, wie sehr sie auch andere Dinge in ihrem Leben genießen gelernt habe: ganz langsam einen Pfirsich zu essen und seinen Geschmack und sein Fleisch zu genießen, lange heiß zu duschen und immer mehr während der Sitzmeditation sich einfach mit der Bewegung ihres Atems zu entspannen. Doch vor allem nahm sie ihre Töchter auf neue Weise wahr. Sie genoss das ansteckende Lachen der einen und die anmutigen Bewegungen der anderen. »Ich freue mich an ihnen«, sagte sie mit einem Lächeln. »Und sie scheinen Spaß daran zu haben, mit mir zusammen zu sein!« Frances entdeckte die Segnungen der Präsenz – eine innige Nähe zu dem Leben hier und jetzt.
Dem Herzen und dem Gewahrsein vertrauen
Bei einer Konferenz mit dem Dalai Lama in Indien fragte ihn eine Gruppe buddhistischer Lehrer aus dem Westen nach der wichtigsten Botschaft, die sie für ihre Meditationsschüler mit nach Hause nehmen könnten. Der Dalai Lama besann sich einen Moment, nickte dann und sagte mit einem strahlenden Lächeln: »Sagt ihnen, dass sie darauf vertrauen können, dass ihr Herz und ihr Gewahrsein unter allen Umständen erwachen werden.« Wir möchten uns so gerne auf unsere Fähigkeit verlassen können, Schwierigkeiten gut zu bewältigen, zu wachsen, zu lieben und alles zu sein, was uns möglich ist.
Viele fangen an zu meditieren, um sich mehr mit ihrem Herzen und ihrem Gewahrsein zu verbinden und mehr Selbstvertrauen zu entwickeln. Und doch liegt für die meisten die mit Abstand größte Herausforderung bei der Aufrechterhaltung der Meditation in ihren Zweifeln: »Ich mache das nicht richtig. Ich kapiere das nicht. Das funktioniert so nicht.« Von Menschen, die sich darum bemühen, eine regelmäßige Praxis aufzubauen, höre ich immer wieder, dass sie ihr Denken nicht kontrollieren könnten oder sich unfähig fühlen, eine Erfahrung offenherziger Präsenz aufrechtzuerhalten. Und dann fragen sie, warum Meditieren so schwer sei.
Es ist schwer, unsere Aufmerksamkeit zu trainieren. Wir arbeiten gegen den Strom unzähliger Stunden von Gedankenverlorenheit und unbewusster Getriebenheit durch Wünsche und Ängste. Es ist, als hätten wir unser Leben auf einem Fahrrad verbracht, auf dem wir ständig heftig von dem gegenwärtigen Augenblick wegzuradeln versuchen. Wir strampeln, um uns nicht auf das einlassen zu müssen, was gerade vor sich geht; wir strampeln, damit etwas so geschieht, wie wir wollen; wir strampeln, um woandershin zu kommen. Je mehr wir das Gefühl haben, dass etwas fehlt oder verkehrt ist, desto schneller strampeln wir. Selbst mitten in der Meditation merken wir manchmal, wie wir weiter in die Pedale treten – angestrengt darum bemüht, beim Atem zu bleiben, einer Fantasie nachjagend.
Solange wir die Macht unserer Konditionierung zum Weglaufen nicht anerkennen, kann Meditation ein prima Anlass für Minderwertigkeitsgefühle sein. Diese Neigung zu falschen Zufluchten ist unseren neuronalen Pfaden enorm stark eingeprägt. Es ist nicht unser Fehler! Wie können wir angesichts dieser Konditionierung dem Rat des Dalai Lama folgen und unserem Herzen und unserem Gewahrsein trauen?
Das bewusste »Tun« während der Meditation (das Benennen unserer Erfahrung, das achtsame Scannen unseres Körpers oder der Fokus auf den Atem) hilft uns, innezuhalten und uns dem Leben in diesem Augenblick zu öffnen. Doch weil wir uns so leicht von dem Drang, »mehr zu tun«, einfangen lassen, ist es sehr hilfreich, die Absicht darauf zu richten, loszulassen. Indem sie sich zuflüsterte: »Ich stimme zu«, öffnete sich Pam in den letzten Tagen ihres Mannes der liebevollen Präsenz; indem ich mich bewusst »den Wellen anvertraute«, entspannte ich meinen Drang, das Leben kontrollieren zu wollen, und verband mich mit einem erweiterten Gewahrsein. In letzter Zeit erinnere ich mich manchmal an eine Zeile von Rainer Maria Rilke: »Lass dir alles geschehn: Schönheit und Schrecken …« Experimentieren Sie damit, was Ihnen hilft, sich zu erinnern. Welches Wort oder welcher Satz hilft Ihnen, mit dem Strampeln aufzuhören, Ihr gewohnheitsmäßiges »Tun« loszulassen und einfach zu sein?
Ein Schüler fragte einst den hinduistischen Lehrer Swami Satchidananda, ob er Hindu werden müsse, um tiefer in die Praxis des Yoga einzutauchen. Satchidananda antwortete: »Ich bin kein Hindu, ich bin ein Undo« [engl. Wortspiel: undo = das Tun auflösen, ungetan (Anm. d. Übers.)]. Wenn uns die Meditation befreit, macht uns das nicht zu etwas Besserem oder anderem, und sie bringt uns auch nirgendwo hin. Es geht nicht darum, einer spirituellen Leistung entgegenzustreben. Meditation schenkt uns vielmehr die Gelegenheit, unser kontrollierendes Verhalten aufzulösen, unsere einschränkenden Überzeugungen aufzulösen, unsere gewohnten körperlichen Anspannungen aufzulösen, unsere Wehrmauern aufzulösen und vor allem unsere Identifikation mit einem kleinen, bedrohten Selbst aufzulösen. Indem wir alles Tun unterlassen, entdecken wir das weite Herz und das weite Gewahrsein jenseits aller kleinen Identitäten; das Herz und das Gewahrsein, in denen wir in jeder Lebenssituation Zuflucht finden können. Dies ist das Geschenk der Meditationspraxis – wir merken, wir können dem vertrauen, was wir in unserem tiefsten Inneren sind.
Geführte Meditation
Zurückkommen
Die Praxis der Achtsamkeit ist ein direkter Zugang zur natürlichen Präsenz. »Zurückkommen« hilft Ihnen, zur Präsenz zurückzukehren, wenn Sie abgelenkt waren. Es unterstützt Sie darin, sich im gegenwärtigen Augenblick zu fokussieren.
Setzen Sie sich bequem hin. Sie werden besonders wach und aufmerksam sein, wenn Sie auf einem Stuhl, Kissen oder Kniebänkchen sitzen, mit geradem Rücken, aufrechter Haltung und so ausbalanciert wie möglich. Lassen Sie in dieser aufrechten Haltung die nicht benötigten Muskeln los und entspannen Sie sich. Die Hände ruhen bequem auf den Oberschenkeln oder im Schoß. Schließen Sie die Augen oder lassen Sie sie mit weichem, empfänglichem Blick offen, wenn Ihnen das lieber ist.
Atmen Sie ein paarmal tief durch. Lassen Sie mit jedem Ausatmen bewusst los und entspannen Sie das Gesicht, die Schultern, die Hände und den Bauch. Wenn Ihr Atem seinen natürlichen Rhythmus gefunden hat, wählen Sie einen Anker für Ihre Meditation. Die wirksamsten Anker sind an die sinnliche Wahrnehmung gebunden. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit zum Beispiel auf …
• den Atem, wie er durch die Nasenlöcher ein- und ausströmt;
• andere Empfindungen, die mit dem Atmen verbunden sind, wie das Heben und Senken der Brust oder der Bauchdecke;
• die Geräusche in Ihnen oder um Sie herum;
• andere körperliche Wahrnehmungen, die Sie in dieser sitzenden Haltung innerlich erfahren: vielleicht ein Kribbeln in den Händen, Wärme oder Kühle bestimmter Körperregionen, Anspannung oder Entspannung bestimmter Muskelgruppen.
Nehmen Sie sich etwas Zeit, sich Ihrem Anker mit voller, entspannter Aufmerksamkeit inniglich zuzuwenden. Sie können sich vorstellen, Ihr gesamtes Gewahrsein sei genau hier, offen für den Strom Ihres Atems (oder anderer Empfindungen oder der Geräusche) von Augenblick zu Augenblick. Sie brauchen Ihre Aufmerksamkeit nicht zu erzwingen, schauen Sie vielmehr, ob es Ihnen möglich ist, die Erfahrung einfach zu empfangen und sich mit den wechselnden Ausdrucksformen des von Ihnen gewählten Ankers zu entspannen. Spüren Sie, wie Sie Ihr Anker mit der Wachheit und dem »Hier-Sein« an der Nabe des Rades verbindet.
Welchen Anker Sie auch gewählt haben, Sie werden schnell merken, dass Ihr Geist