Auf dem Strand brannte ein großes Feuer, das Dreibein mit dem Kochkessel stand fast darüber. Ahmik hatte tatsächlich drei Saiblinge gefangen, Shonessi war kurz zuvor im Wald verschwunden und kam mit vielen Kräutern in der Hand zurück.
„Tee, gut und gesund.“ Sprach´ s und gab die Kräuter in den Kessel. Der Fisch wurde aufgeteilt, schmeckte allen vorzüglich. Ahmik zollte Hartmut Respekt, der den Fisch zubereitet hatte. Nach dem Essen wandte sich Gerhard an Hartmut. Sie zogen sich auf den höchsten Punkt der Insel, auf den Felsen, zurück. Ahmik blieb am Feuer und Shonessi und Marc saßen im Sand, direkt am Fluss.
Nur widerwillig folgte Hartmut Gerhard, er machte sich Luft. Mit grimmigem Unterton und zutiefst gekränkt schleuderte er Gerhard die Worte ins Gesicht:
„Was willst du? Du bist mein Freund, das dachte ich bis jetzt jedenfalls. Ihr habt alles zerstört. Insbesondere Marc. Er ist doch dieser Schlampe verfallen. Langsam verstehe ich die Amerikaner. Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer…“
Gerhard sah den Hass im Gesicht von Hartmut.
„Hartmut, ich verstehe dich nicht. Er hat sich verliebt, ich denke, sie liebt ihn auch. Beide haben dir nichts getan. Wir sollten uns über Marc freuen.“
„Ha, nichts getan? Er hat mir Ella weggenommen. Sie ist eine Hure, hat unsere Freundschaft zerstört, wird Marc vernichten. Das weiß ich! Wie lange kennen sie sich? Zwei Tage, zehn Stunden? So ein Schwachsinn. Am liebsten würde ich sie… Nein, ich sage es lieber nicht.“
Gerhard änderte die Taktik.
„Mal angenommen, sie wäre auf dich eingegangen und die wärst in der Rolle von Marc. Würdest du dann auch so denken?“
Er blickte Hartmut dabei genau an. Der schwieg, stierte auf den Boden.
„Ist sie aber nicht. Die fasse ich nicht mal mit der Kneifzange an. Verrecken soll sie …“
Er stand ohne ein weiteres Wort zu verlieren auf und verzog sich in sein Zelt.
Gerhard ging nachdenklich zurück zum Feuer und zu Ahmik, er bekam es unterschwellig mit der Angst zu tun. Er musste sich mit jemandem austauschen. Marc auf keinen Fall, blieb nur noch Ahmik.
„Hi, Gerry. Du siehst bedrückt aus. Willst du reden?“
Gerhard nickte. Er erzählte ihm von seiner Unterhaltung mit Hartmut, von seinen Ängsten Shonessi betreffend.
„Danke für dein Vertrauen zu einem 'Indianer', der Hass ist groß bei ihm. Wir müssen achtsam sein. Solange ich bei ihm schlafe, wird er nichts unternehmen. Noch hat er zu viele Hemmungen. Wenn diese Schwelle fällt, dann wird es gefährlich. … Halte bitte die Küchenmesser gut unter Verschluss.“
„So schlimm?“
„Sicher ist sicher.“
Shonessi und Marc bekamen von diesen Gesprächen nichts mit. Sie hatte sich dicht an ihn gekuschelt. Ihr Kopf lag auf seiner Schulter, beide schauten verträumt in den sternenklaren Himmel.
„Lakota?“
„Mhmm?“
„Ist Deutschland schön? Wo lebst du, in einer Stadt? Erzähl mir von deinem Leben.“
Marc zog Shonessi noch fester an sich.
„Ja, ich lebe in einer Stadt, für eure Verhältnisse hier eine sehr große Stadt…“
„Größer als Yellowknife?“
„Ja, bestimmt siebenmal so groß. Sie liegt im Süden von Deutschland, die Stadt heißt Ulm. Direkt an einem schönen Fluss. Hast du schon einmal von der Donau gehört?“
Sie schüttelte den Kopf, auch Ulm sagte ihr nichts.
„Die Donau ist noch länger als der Yukon…“
Shonessi unterbrach ihn, „ich kenne in Deutschland nur drei Städte, das sind Berlin, Frankfurt und München. Ist eine davon in der Nähe von deiner Stadt?“
„Ja, München.“
„Wie weit weg?“
„Ungefähr einhundertdreißig Kilometer…“
„Mehr nicht? Das liegt ja direkt daneben.“
„Äh, ja. … Nein, nicht ganz. Für dich ist das direkt daneben. Für uns nicht. Weißt du, Deutschland ist klein, noch nicht einmal halb so groß wie British Columbia. Das kann man so nicht vergleichen. Du musst es einfach kennenlernen. Wir haben viel Wald, Wasser, Berge und Städte.“
„Ja, das möchte ich sehr gerne, Lakota. Ich will mit dir zusammen sein, will mit dir leben. Ich liebe dich. Wir gehören zusammen“, sie blickte in den Himmel und zeigte auf die Sterne, „wie diese beiden sich anleuchtenden Sterne. Siehst du das?“
Marc verschlug es die Sprache. Was für ein Gleichnis!
„Lakota? Was fühlst du?“
„Was ich fühle? So … ich kann es gar nicht sagen. … Ich versuche es.“ Er sah sie dabei direkt an, ihre braunen Augen schienen zu leuchten. „Shonessi, ich fühle sie, deine Liebe zu mir. Wenn ich dir in die Augen sehe, tauche ich tief in dein Innerstes hinein. Wenn du mit mir sprichst, bekommt deine Stimme eine andere Klangfarbe. Wenn du mich berührst, fühle ich deine Zärtlichkeit in jeder Fingerspitze. Wenn du…“
„Ohh, Lakota, hör auf. Das halte ich nicht aus. So hat mit mir noch kein Mann gesprochen. Genau das will ich dir geben, Tag für Tag. Ich liebe dich, wie eine weiße Wölfin ihren weißen Wolf. Sie lassen sich nie im Stich.“
Marc war etwas verwirrt, „der weiße Wolf?“
Sie nickte, „die weiße Wölfin und der weiße Wolf sind unzertrennlich, wenn wir Menschen an sie glauben, beschützen sie uns, helfen uns aus hoffnungslosen Lagen.“
„Ist das so? Bisher habe ich an so etwas…“
„Pscht, Lakota. Lass dich darauf ein. Das ist uralt. Wir Kinder wachsen damit auf. Glaub mir, eines Tages wirst auch du den weißen Wolf brauchen und ihn sehen.“
Sie lächelte ihn dabei so überzeugend an, dass er nickte und einfach fortfuhr.
„Lass mich deine Frage wenigstens noch beantworten. Ich bin so glücklich … mit dir! Auch ich möchte mit dir mein Leben verbringen. Egal wo, hier oder in Deutschland, das ist mir egal.“
„Du redest wie ein First Nation, könntest einer von uns sein mit deinen Vergleichen. Mit mir wirst du einer von uns, daran glaube ich fest. Dann wirst du auch an die weißen Wölfe denken.“
Das hatte er schon wieder verdrängt, zu fremd für ihn die Vorstellung an Wölfe zu glauben. Das kannte er nur unter Aberglauben. Shonessi las ihm seine Gedanken in den Augen ab. Sie lächelte, sprach leise, „eines Tages wirst auch du es verstehen.“
Er drehte sich zu ihr, konnte seine Augen nicht von ihr lassen. Dieser Augenblick brannte sich in sein Gehirn ein, unauslöschlich. Sie lächelte nicht mehr, war ernst, ihre Augen strahlten eine Zuneigung aus, die ihn bannte. Er beugte sich zu ihr, seine Lippen berühren die ihren, ein nicht endend wollender Kuss beglückte ihn bis in sein tiefstes Inneres.
Ohne ein Wort zu sagen, erhob sie sich, ging zum Wasser, bis dieses ihre Fußspitzen berührte. Sie breitete die Arme aus, begann wie an den heißen Quellen mit einem Singsang, drehte sich dabei. Nur diesmal sehr leise und sich immer weiter steigernd bis hin zu einer unendlichen Harmonie, dann plötzlich abbrechend und mit noch leiseren Tönen beginnend sich dreimal wiederholend. Sie drehte und wirbelte, stützte sich endlich mit beiden Armen an einen Baum, legte den Kopf in den Nacken, dass ihre langen schwarzen Haare bis zu den Hüften fielen. Hob das linke Bein im Stile einer Balletttänzerin so gewinkelt an, dass ihre Fußspitze die Haarspitzen berührte. Ihre Stimme verhallte über dem Fluss, die Natur schien den Atem anzuhalten. Ein Zauber lag flirrend in der Luft,