Er überlebte Berta, half mir sehr über diesen Verlust hinweg. Schließlich kam der Tag, als der große Kerl gar nicht mehr aufstehen konnte. Mühte sich, knickte ein, jammerte. Die Ärztin sagte: »Er hat doch viel mehr gehabt, als er erwarten konnte.« Dann gab sie ihm die Spritze. Sein großer Kopf lag auf meinem Schoß und sog die Tränen auf.
Ohne diese außergewöhnlichen Ereignisse und Erfahrungen wäre mein Leben geradlinig und langweilig gewesen und ich müsste ihnen noch heute nachjagen.
Ein bisschen dement schützt davor,
nachtragend zu sein.
Leicht dement?
Es geht dahin; wie’s kommt, ist’s recht.
Bei Hunger wird gegessen.
Da malmt die Kuh, dort schluckt der Specht
und ich kau selbstvergessen.
Ja, selbst vergessen ist nicht schlecht,
wenn grad die Launen stressen.
Mich wiederfinden, wär mir recht.
Wen könnt ich sonst vergessen?
Die meisten Fehler der jungen Jahre
kann man erst im Alter
genießen.
Altersstarrsinn
Zu wissen, wo man etwas ändern kann, was anderen nützt, ist ein edles Ziel.
Ich wollte edel sein und begann Grassys Fell zu kürzen. Dieser Sommer zeigte nämlich die Wirkung des Klimawandels von morgen. Stückchen für Stückchen, Strähne für Strähne fiel dem Kleinen vom Körper. Seine Geduld war begrenzt, meine auch.
Wir einigten uns auf Teilzeitarbeit, sind schließlich beide Rentner, müssen uns von nichts mehr treiben lassen. So blieb Grassy halbfertig: sein Körper edel geschoren, sein Kopf löwenwollig und die kurzen Beine sehen wie mittelalterliche Pluderhosen aus. Das hat was.
Mit abnehmender Haarfülle wuchs Grassys Selbstbewusstsein (bei mir wäre das umgekehrt), angefangen bei der stolzen Körperhaltung über die Wandergeschwindigkeit bis zu nachdrücklichen Willensäußerungen und Bestimmer-Tendenzen. Er macht jetzt Sofa und Schoß zur Chefsache und wer hier Chef ist, steht mittlerweile auch fest.
Er weiß einfach, mit welchem Charme er auf die Nerven geht, hat mich voll im Griff.
Caro nennt das Altersstarrsinn.
Ich nenne das Selbstfindungsergebnis.
Wo Humor und Menschlichkeit verschmelzen, wächst akute Infektionsgefahr.
Von Menschen nicht mehr gebraucht,
vermisst, gefragt zu sein,
machte mich erst traurig und lähmte.
Da merkte ich,
wie sehr mich die Hunde brauchen,
und ich wurde wieder interessant,
sogar für mich.
Nasenschein
Seitdem ich weiß, dass Grassy das Großvatergetrödel beim Spaziergang gar nicht braucht, stellt sich die Frage, warum er’s tut. Zumal er durchaus in der Lage ist, auf dem Nachhauseweg die Leine richtig fest nach vorn (!) zu straffen.
Ich denke, die Beantwortung der Frage hängt mit seinen Defiziten zusammen. Bekanntlich sieht er sehr schlecht und hört noch schlechter. Aber seine Nase ist überragend. Kira guckt, riecht, hört am Anfang jeder Wanderung nach allen Seiten. Unwichtiges lässt sie unbeachtet, kann es ganz schnell ignorieren. Nur bei Interessantem lässt sie sich Zeit. Grassy kann das nicht. Er muss dem Geruch ein Bild zuordnen oder, noch komplizierter, dem Geruch ein Geräusch und dem Geräusch ein Bild. Und das dauert eben.
Außerdem ist er alt, hat Lebenserfahrung, kennt ja schon so viele bemerkenswerte Erscheinungen. Der Kleine muss Ereignisse suchen, in denen er die erschnüffelten Bilder findet. Daraus könnten dann ganz besondere Erinnerungen zutage treten. Aber das dauert noch länger.
Nicht dass ich ungeduldig bin. Aber meist sind Kira und Blacky schon vom Horizont verschluckt, wenn Grassy den zweiten Strauch in Nasenschein nimmt (Augenschein geht ja nicht).
All das Gedenke ist mir sowieso zu umständlich, ich erfreue mich einfach an Grassys Schnüffelerleben.
Solange mir der Kopf noch Fragen stellt und Antworten anbietet, ist das Leben lebenswert.
Fröhlichkeit
geht künstlich
nicht.
Schwingungsbarometer
Es war vorschnell und deshalb wahrscheinlich falsch: Ich glaubte nämlich, Grassys Nase sei das einzig richtig funktionierende Sinnesorgan. Nein, das Erspüren, Erfühlen, Empfangen geringster Erschütterungen ist noch so ein Informationsmagnet.
Dass Hunde Mitgefühl haben und auf unseren Seelenzustand reagieren, habe ich ja schon beschrieben. Aber aus hauchhaften Regungen, z. B. dem Husten einer Ameise, Mitteilungen zu entnehmen, ist doch bemerkenswert.
Neulich trat ich leicht, aber sinnlos-trotzig auf den Waldboden. Der Zwerg ärgerte mich mal wieder, wandertechnisch. Er guckte erstaunt auf, als sei etwas nicht ganz so Gutes in seinen Körper gedrungen, hatte das Treten als Vibration wahrgenommen, hatte es gefühlt.
Sein Langzeitgedächtnis fing an zu arbeiten. Es suchte nach ähnlichen Ereignissen aus der Vergangenheit, wie er sich damals verhalten hatte und was richtig war. Danach konnte er entscheiden, was heute von Vorteil wäre. Genauer gesagt: Ob er mich weiter ärgern könnte oder nicht. Ganz schön durchtrieben. Oder?
Woher stammt eigentlich die Behauptung, der Mensch sei die Krone der Schöpfung? Tiere können mit übler Nachrede, Hass, Neid, Missgunst, Gier nicht viel anfangen. So haben sie’s mir auch vermiest.
Grassy
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