Wir machen in Teilen die »Gänsetour« – so heißt das in der Prignitzer Touristik – und fahren von Groß Pankow nach Wolfshagen, wobei wir Horst – die Ortschaft – rechts liegen lassen.
Beim Eintreten ins Schlossmuseum Wolfshagen müssen wir dem Werbeprospekt zustimmen: So hat ein märkisches Gutshaus von innen ausgesehen. Außerdem wird uns bestätigt, dass Wolfshagen an der Stepenitz liegt. Neu in unseren Bildungskanon fügen wir ein, dass die Familie Gans zu Putlitz aus der Altmark eingewandert ist und zum ersten Mal 1178 urkundlich erwähnt wurde. Ab 1147 hat sie beim Wendenkreuzzug die Prignitz kolonisiert und in Putlitz eine alte slawische Burg übernommen. Nach 1945 hat das Gutshaus als Flüchtlingsunterkunft gedient, zur DDR-Zeit wurde es als Schule genutzt, und 1995 wurde es zum Museum.
Vom Schloss Wolfshagen ist es nicht weit bis zum Königsgrab von Seddin, einem etwas mehr als sechzig Meter langen und zehn Meter hohen Grabhügel aus der Zeit um 800 v. Chr. Hier soll der legendäre König Hinz bestattet worden sein.
Reist man mit dem Auto über die B5 an, die vor dem Autobahnbau für alle West-Berliner der einzige Weg war, um durch die DDR nach Hamburg zu gelangen, kann man im Raum Groß Pankow schnell alle Orte aufsuchen, die wichtig sind. Zu nennen ist hier das bereits mehrfach erwähnte Laaske, heute Teil der Stadt Putlitz, wo Wolfgang Gans Edler Herr zu Putlitz, der »rote Baron« der DDR, aufgewachsen ist. Die Liste all derer zu Putlitz, die hier gelebt und gewirkt haben, ist lang, mir hat sich nur der Name Gödula Margarethe zu Putlitz eingeprägt, weil der so herrlich verschroben ist. Im stattlichen Schloss waren nach 1945 zunächst Geschlechtskranke und dann Waisenkinder einquartiert, bevor es zu einem Feierabendheim wurde. 2004 hat es ein Hamburger Unternehmer gekauft, der dort nun ab und an seine freien Tage verbringt.
In der Umgebung von Groß Pankow finden wir aber auch viel Christliches, so das Zisterzienserkloster Marienfließ und das Klosterstift Heiligengrabe. Das Kloster Marienfließ, heute ein Altenpflegeheim der Diakonie, ist von den Edlen Herren Gans zu Putlitz gestiftet und ab 1230 von Zisterzienserinnen geleitet worden. Sein größter Schatz ist eine Reliquie, die einen Tropfen des Bluts enthalten soll, das Jesus am Kreuz vergossen hat. Otto IV. hatte sie aus Palästina mitgebracht. Nach dem Tod des Kaisers fiel sie Johann Gans in die Hände, der mit dem Bau an der Stepenitz einen sicheren Aufbewahrungsort für das Kleinod schaffen wollte. Aber das Kloster hatte auch noch einen anderen Zweck: Adlige Damen, die nicht zu verehelichen waren, sollten hier ein sicheres Zuhause finden.
Das Klosterstift Heiligengrabe wurde 1287 von jenem Markgrafen Otto IV. gegründet, der einem meiner Bücher seinen Namen gegeben hat: Otto mit dem Pfeil im Kopf. Die Klosteranlage, kaum mehr als zehn Kilometer von Pritzwalk entfernt, ist mit ihren dunkelroten Backsteinbauten, etwa der Heiliggrabkapelle, für jeden ein Labsal, der die modernen Berliner Bauwerke um den Hauptbahnhof und den Potsdamer Platz scheußlich findet. Als ich zur DDR-Zeit einmal mit Freunden in Heiligengrabe war, sind wir mit der Äbtissin ins Gespräch gekommen, und es stellte sich heraus, dass sie mir mit einiger Wahrscheinlichkeit im nahen Groß Pankow Religionsunterricht erteilt hatte. Damals war sie noch Pfarrerin gewesen. Irgendjemand hat mir später erzählt, sie sei Ingeborg-Maria Freiin von Werthern gewesen.
Noch ein letztes Mal möchte ich auf das kleine Dorf Groß Pankow der Jahre 1944 bis 1946 zurückkommen. Ach, was war das für das Hinterhofkind Horst Bosetzky für ein herrliches Vergnügen gewesen, bei Martin Blumenhagen vorn auf dem Kutschbock seines Pferdefuhrwerks zu sitzen, wenn wir nach Perleberg fuhren, um Onkel Fritz zu besuchen! Rund 19 Kilometer hatten wir auf einer echten brandenburgischen Chaussee zurückzulegen, und Autos, denen auszuweichen gewesen wäre, gab es damals kaum bis gar nicht.
Perleberg an der Stepenitz war und ist eine Perle, denkt man an Marktplatz, Jacobikirche, Rathaus, Gottfried- Arnold-Gymnasium und Gänsebrunnen. Mich, der ich jahrelang in Bremen gelebt habe, entzückt natürlich ganz besonders der Perleberger Roland, der seinem Pendant an der Weser in nichts nachzustehen scheint. Ob er von Angela Merkel und Eva-Maria Hagen, die in ihrer Kindheit für einige Jahre in Perleberg gelebt haben, auch so bewundert worden ist? Oder von der weltberühmten Opernsängerin Lotte Lehmann, die hier 1888 zur Welt gekommen ist?
Da Groß Pankow nun einmal im Reiche der Edlen Herren zu Putlitz lag, möchte ich dieses Kapitel auch mit ihnen schließen. Höre ich den Namen, erinnere ich mich zuerst an Kaspar Gans zu Putlitz (1360–1429), der, als Raubritter verteufelt, mit den Quitzows, den Bredows und den Rochows zusammen verhindern wollte, dass die Mark Brandenburg unter die Herrschaft der Schwaben, also der Hohenzollern fiel. 1411 hatte König Sigismund den Nürnberger Burggrafen Friedrich VI., einen Hohenzollern-Spross, zunächst als Verweser, dann als Kurfürsten und Markgrafen in Brandenburg eingesetzt. Der Burggraf nahm den Titel Friedrich I. an und setzte sich bis 1414 erfolgreich gegen den aufsässigen brandenburgischen Adel durch, weil er über die besseren Waffen verfügte, beispielsweise über eine neumodische Kanone, die »Faule Grete«, die die Festungen der Aufständischen in Schutt und Asche legte.
Johann Gans zu Putlitz (1430–1518) hat es auf der Berliner Siegesallee zum »Seitendenkmal« des Markgrafen Otto II. gebracht. Und selbstverständlich haben wir in Berlin eine Putlitzstraße, bis 1999 trug sogar der S-Bahnhof Westhafen diesen Namen.
Von der Burganlage in Putliz ist nur der Turm erhalten geblieben, und nachdem wir den bei unserem letzten Besuch in Augenschein genommen hatten, stiegen wir wieder ins Auto und fuhren zurück nach Berlin.
Ferch und der Schwielowsee
Ferch ist ein hügeliges Dorf am Schwielowsee. Hier auf einer Endmoräne, den Fercher Bergen, hatten nahe Verwandte meiner ersten Ehefrau, Onkel Bertie und Tante Biene aus Leipzig, ihre Datsche, und da waren wir einige Male zu Besuch. Onkel Bertie war »Verdienter Erfinder« – beispielsweise hat er eine Notbremse für Rolltreppen erfunden – und als ehemaliger Mittelstreckenläufer Gegner des Meisterläufers Otto Peltzer, der sogar den großen Paavo Nurmi besiegt hatte. Darüber haben wir beim Spaziergehen immer viel geplaudert. Anschließend haben wir meist mit unseren Kindern im Strandbad Ferch gebadet und in einem Restaurant am Seeufer gespeist.
Ferch hat zusammen mit Lienewitz einen eigenen Bahnhof, der vom Bahnhof Potsdam aus mit der RB23 in rund einer Viertelstunde zu erreichen ist. Man muss nicht lange durch den prächtigen Wald gehen, um zu den beiden Lienewitzer Seen zu gelangen. Dort kann man trefflich schwimmen und baden. Einmal haben wir bei unseren Ausflügen einen Frosch gerettet, der sich im Schlund einer Schlange verklemmt hatte. Ein andermal bin ich mit meinem Freund Peter Heinrich in dieser Gegend gewandert, und als wir wieder in Ferch waren, haben wir uns vor lauter Jucken die Arme blutig gekratzt – beim Betreten des Forsts hatten wir die Warnung vor dem Eichenprozessionsspinner übersehen. Deshalb konnten wir die Fercher Obstkistenbühne, ein bekanntes Theater, auch nicht mehr besuchen.
Kommt man auf den Schwielowsee zu sprechen, müssen Theodor Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg (Band 3, Havelland) zumindest mit folgenden Sätzen zitiert werden:
Der Schwielow ist gutmütig, so sagten wir; aber wie alle gutmütigen Naturen kann er heftig werden, plötzlich, beinahe unmotiviert, und dann ist er unberechenbar. Eben noch lachend, beginnt ein Kräuseln und Drehen, nun ein Wirbel, ein Aufstäuben, ein Gewölk – es ist, als führe eine Hand aus dem Trichter, und was über ihm ist, muß hinab in die Tiefe … Es gibt ganze Linien, wo die gescheiterten Schiffe liegen.
Fontane wurde auf seinen Wanderungen von einem Fährmann aus Caputh begleitet und hat auch den gleichnamigen Ort besucht, der am Templiner See gelegen ist, aber mit dem Schwielowsee durch einen an die fünf Kilometer langen Kanal verbunden ist, den Caputher Gemünd.
Der Name Caputh wird meist mit Albert Einstein und dem »Fährhaus« assoziiert, da dieser in seinem Caputher Sommerhaus von 1929 bis 1932 einen großen Teil jedes Jahres verbracht hat. 1931 hat er seinen Sohn Eduard dorthin mit folgendem Vierzeiler eingeladen:
Sei ein gutes