Die Cocker Hündin Anja
Helden haben nasse Füße
Simone Kunde
Hinein ins Gedränge. Wieder hatte ich Probleme, am Ende der vielen Hundekörper die Tür zu erreichen, vor der sie sich versammelt hatten, um nach draußen zu gelangen. Ich ließ mich – wie schon so oft – nach vorn fallen, mit der ausgestreckten Hand auf den Türgriff zu. Geschafft. Langsam drückte ich die Klinke hinunter und zog die Tür vorsichtig auf. Ohrenbetäubender Lärm erfüllte den kleinen Flur. Dann schossen sie hinaus ins Freie. Mit ihnen die Geräuschkulisse. Es waren fünf Hunde, Bologneser Mama Amrei mit ihren drei Halbstarken und Cocker Spaniel Anja. Sie alle trieb es in die Natur. Heute schien endlich mal wieder die Sonne.
Menschen sind langsam. Als ich mit meiner dicken Jacke aus der Tür trat, erwartete Anja mich bereits. Hoffnungsvoll schaute sie mich mit ihren dunkelbraunen treuen Augen an. Cocker haben einen etwas traurigen Blick, was wahrscheinlich an den langen schweren Ohren liegt, die wie Zöpfe ihr Gesicht umrahmen. Ich fühlte mich ertappt und irgendwie schuldig. War ich es doch, die zu den Hunden gesagt hatte: „Jetzt fahren wir los.“ Anja war sicher, dass dieses „Jetzt“ sofort hätte beginnen müssen. Doch ich hatte sie warten lassen, wenn auch nur wenige Minuten. Der Blick eines Cockers öffnet das Herz und lässt einem jeden Egoismus bedauern. Anja lief voraus zum Auto, ihrem Auto. Freudig wedelte der Schwanz mit dem Hund. Ich kenne sonst keine Hunderasse, die solch eine Wedel-Technik beherrscht. Ähnlich einer Laolawelle zieht sich das Wedeln von der Schwanzspitze zur Hundenase.
Alle Hunde saßen auf ihren Plätzen. Es konnte losgehen. Das Frühjahres-Hochwasser hatte sich ins Flussbett zurückgezogen. Deshalb waren die Auen unser Ziel. Hierher kamen nur wenige Menschen. Das war ideal für einen Spaziergang mit einer Hundemeute. Während die Halbstarken ihrer Mutter zeigten, wie schwierig es ist, einen Sack Flöhe zu hüten, war Anja eine Wildfährte in die Nase gestiegen. Jagdhundtypisch ertönte das regelmäßige „Klack“-Geräusch beim Schnüffeln. Ein langer Spaziergang war nicht geplant. Dieser Ausflug diente einzig und allein dem Herumtoben. Aber ein kleines Stück wollten mein Freund und ich schon noch gehen. Nichts hielt unsere Hunde auf, sie waren in ihrem Element.
Die Wiese, nicht ganz eben, ließ die Aue in kleinen Geländewellen erscheinen. Hui, machte das den Halbstarken Spaß, über die kleinen Erhebungen hinwegzutollen. Gerade verschwanden sie hinter dem nächsten Wellenkamm, als wir ein lautes Platschen vernahmen. Wir rannten los und sahen einen See, den das Hochwasser zurückgelassen hatte. Seine Ränder boten keinen Abfluss und die Erde hatte noch nicht die Möglichkeit, große Wassermengen aufzunehmen. Amrei stand am Ufer. Die Hundemutter weinte und schrie. Mit flehendem Blick schaute sie zu uns. Ihren kleinen Sohn neben sich, tapste sie unruhig hin und her. Doch wir sahen die beiden kleinen Hündinnen. Sie befanden sich im eisigen Nass und paddelten wild um ihr Leben. Ihr weiches dickes Fell saugte sich voll mit Flüssigkeit. Wir mussten uns beeilen, bevor die Kleinen auskühlten oder ertranken. Lange konnten sie sich nicht mehr halten. Dessen waren wir uns sicher.
Wir liefen, als ginge es um unser Leben. Plötzlich schoss ein schwarzer Blitz an uns vorbei und stürzte sich in die Fluten. Anja. Sie wollte den Hundekindern helfen und war, ohne zu zögern, in das eisige Wasser gesprungen. Schon hatte sie einen der Welpen erreicht. Sie stupste das Tier mit der Schnauze an, um es ans Ufer zu bringen. Wieder und wieder startete sie einen neuen Versuch. Es gelang ihr nicht. Die Kälte tat das Übrige. Doch inzwischen stand Herrchen im Wasser. Mit einem Griff zog er die beiden Hundekinder aus der eisigen Gefahr. Eilig stopfte ich mir die Kleinen in die dicke Jacke. Herrchen hatte Anja gegriffen und im Eiltempo liefen wir zurück zum Auto.
Die kleinen Abenteurer und ihre Retterin packten wir in dicke Decken und fuhren nach Hause. Dort gab es für alle Hunde eine große Wurst, und für unsere Heldin sogar zwei. Anja schaute mich mit ihren treuen, aber traurigen Augen vorwurfsvoll an. Sie schienen zu sagen: „Ist das alles, dieses bisschen Wurst?“ Ich wusste, dass Cocker einen unbändigen Appetit haben. Doch sie hatte mir an diesem Tag gezeigt, was ich so sehr an diesen Hunden liebe. Es war ihre intelligente, zuverlässige und furchtlose Art, ihr temperamentvolles und anhängliches Wesen sowie die Treue und Liebe ihrer Familie gegenüber. Ich ließ mich nicht lang bitten und gab ihr noch ein Stück Wurst mehr, was sie mir mit einer Laolawelle dankte.
Der Collie Sky
Lassie
oder: Wie heißt diese Rasse noch gleich???
Elke Parker
Sarah Rewald war für ihre elf Jahre nicht nur zu klein geraten, sondern zu allem Unglück auch noch dick. Weder pummelig noch mollig, nein, wirklich dick. Kinder sind untereinander grausam ehrlich, da war es kein Wunder, dass Sarah jeden Tag von ihren Mitschülern gehänselt wurde. Am schlimmsten gestalteten sich die wöchentlichen Sportstunden für das kleine Mädchen. Aufgrund ihrer Körperfülle hatte Sarah ohnehin schon Riesenprobleme, die geforderten Leistungen zu erbringen, und hinzu kam die Scham, sich, nur mit einer Sporthose und einem T-Shirt bekleidet, den anderen zeigen zu müssen. In der Umkleidekabine gab es dann auch prompt immer lautes Gelächter und Gegröle. Noch auf dem Nachhauseweg hallten dem Kind die gesungenen Spottreime der Klassenkameraden in den Ohren. Tränen kullerten Sarah über die Wangen und sie wollte nur noch heim, ganz schnell, sich am liebsten in einem Erdloch verkriechen und nie wieder herauskommen.
Dabei hatte Sarah durchaus ein hübsches Gesicht, dessen Mittelpunkt ihre wunderschönen dunkelbraunen Augen bildeten. Widerspenstige, brünette Locken kringelten sich bis auf die Schultern. Doch all das wurde angesichts ihrer unförmigen Figur überhaupt nicht wahrgenommen. Zu Hause führte der erste Weg die Elfjährige zum reichhaltig gefüllten Kühlschrank. Sarahs Mutter arbeitete bis spät in den Nachmittag, der Vater, ein Fernfahrer, verbrachte oft nur jedes zweite oder dritte Wochenende daheim. Ein gemeinsames Frühstück, Mittag- oder Abendessen war bei den Rewalds fast so selten wie Weihnachten. Sarahs Mutter plagte oft genug das schlechte Gewissen, aber da die Familie auf ihren Hinzuverdienst angewiesen war, wollte sie ihrer Tochter wenigstens all das gönnen, was ihr richtig schmeckte. So türmten sich Pizzas zum Aufwärmen neben fertigem Kartoffel- und Nudelsalat, Hotdogs, Fast-Food-Burgern, Vanillepuddingbechern und jeder Menge Schokolade. Obst und Joghurts dagegen suchte man genauso vergeblich wie Mineralwasser. Stattdessen standen etliche stark zuckerhaltige Limonaden zur freien Auswahl. Sarah bediente sich, nahm den gut gefüllten Teller samt einem Glas Cola mit ins Wohnzimmer, schaltete den Fernseher ein, stellte ihn so laut, als sei sie schwerhörig, und versuchte auf diese Weise, die Spottreime der anderen Kinder zu vergessen. Ganz nebenbei aß sie sich quer durch eine eigenwillige Zusammenstellung aus Nudelsalat mit Frikadelle, mehreren Hotdogs und zwei Bechern Pudding. Zum krönenden Abschluss gönnte sie sich noch einen der frisch gekauften Donuts. So verbrachte sie mehrere Stunden mit Essen, Fernsehen und natürlich der Erledigung ihrer Hausaufgaben. Sarah war eine gute Schülerin, wären da nur nicht diese Sportstunden … Sarahs Mutter kam meist recht müde von der Arbeit, ließ es sich aber nicht nehmen, Gespräche mit ihrer Tochter zu führen. Immer fragte sie: „Na, wie war dein Tag, Kind? Erzähl doch mal, war alles okay in der Schule? Hast du mit den anderen was unternommen?“ Keine Ahnung, nicht die leiseste, hatte sie, wie es Sarah in der Schule erging. Nie hatte sich ihre Tochter beschwert, nie ihre Traurigkeit offen herausgelassen. Das Mädchen wollte ihre Mutter nicht mit solchen Problemen belasten. „Ja, es war alles okay, Mum, ich hatte einen echt tollen Tag!“
Solch ein Teufelskreis machte eine Gewichtsabnahme einfach unmöglich. All das wäre wohl noch Jahre so weitergegangen, wenn da nicht eines Tages auf dem Nachhauseweg von der Schule dieser Hund hinter einem Gartenzaun gestanden hätte. Sarah war,