Gestörtes Vertrauen erzeugt Misstrauen. So wirft auch meine Vergangenheit beharrlich ihren extrem langen Schatten. Und immer dann, wenn ich über ihn springen will, spüre ich, dass er viel größer ist, als ich ihn in Erinnerung habe. „Seltsames Verhalten“, stellt ihr dann ein wenig enttäuscht fest, wenn ich noch immer nicht so zutraulich bin wie eure Lilis, Ricos und Winnies. Glaubt mir, das sind die Reste der Anpassung an meine frühere Umgebung. Dort gab es nur Herzen aus dem Steinbruch. Diese Erlebnisse kleben unsichtbar, aber hartnäckig wie ein Paketband in meinem Kopf. Sie sind in meinem Gedächtnis gespeichert wie die Daten auf euren Computern. Ihr aber ward trotzdem geduldig mit mir, der kleinen Podengo-Portugues-Hündin. Ihr habt mir Futter, einen Namen und eure Zuneigung gegeben, damals im Frühling unseres Kennenlernens. Seitdem wanderten für mich die Tage unbeschwert über die Insel.
Dann kam der Sommer. Und mit ihm auch die Zeit, in der euer Fressnapf nicht mehr der alleinige Ort meiner Sinne war. Die Natur rief. In meinem Gefühls-Tsunami vergaß ich meine Dankbarkeit. Gut genährt und paarungsbereit machte ich mich auf die Suche. Mein Duft bestellte viele Freier, zog sie magisch an. Anderen wiederum kam ich gelegentlich auf halbem Weg entgegen. Ein Caballero legte ein besonderes Feuer in mein Herz. Mit ihm machte ich lange Streifzüge durch die Gegend. Doch er und alle anderen waren eines Tages so schnell wieder untergetaucht, wie sie aufgetaucht waren. Und ich stand allein da. Ganz so allein allerdings nicht, wie sich bald herausstellte. Ja, für das volle, wuchtige Leben muss man zahlen. Leider immer erst hinterher.
Als der Herbst kam, war ich alleinerziehende Mutter von vier kleinen Kindern unterschiedlichster Gene. Das war ein hoher Preis. Zum Glück hatte ich euren Futternapf, den ich in der kurzen Zeit, die mir blieb, täglich aufsuchen konnte. Aber ich musste auch immer wieder ein sicheres Versteck für die Kleinen finden. Ich spürte, dass ihr sie unbedingt finden wolltet. Und der Dorn des Misstrauens nistete sich wieder bei mir ein.
Mein Riecher konnte euch lange an der Nase herumführen. So lange, bis Chica, mein neugieriges Mädchen, das Versteck verraten hat. Auf diese Weise habt ihr auch Toni, Pepe und Domingo entdeckt. Als ich sah, wie die Kleinen auf eurem Arm gestreichelt und verwöhnt wurden, war das natürlich ein schwerer Schock für mich. Mittlerweile verstehe ich: Sollen meine Kinder in eurer Welt leben, müssen sie sich frühzeitig an euch Menschen gewöhnen und eure Normen lernen. Ich aber musste mich erst daran gewöhnen, sie jetzt bei euch zu besuchen. Heute freue ich mich, dass meine Kinder von euch all das bekommen, was ich nicht hatte. Jetzt sind die Kleinen fort, in guten Händen, wie ihr gesagt habt. Trotzdem fehlen sie mir noch sehr. Ich weiß: Loslassen können ist etwas Entscheidendes im Leben und es kostet weniger Kraft als das Festhalten, dennoch ist es viel schwieriger. Wie einfach trennt sich dagegen im Herbst der Feigenbaum von seinen Blättern, weil er spürt, dass in ihm bereits die neuen angelegt sind.
Neues Leben wird aus mir nicht mehr entstehen. Dafür habt ihr in eurer menschlichen Voraussicht gesorgt. Ihr habt aber auch dafür gesorgt, dass es meinen Kindern gut geht.
Manchmal strecken sich meine Gedanken noch nach der kleinen Krawalltruppe aus. Meine Sehnsucht kommt und geht wie eine unstete Brise. Mal warm, mal kalt, mal sanft, mal stürmisch. Doch eines Tages werde ich sie ablegen wie einen lang getragenen Mantel. Irgendwann macht mein Herz einen großen Sprung über die Vergangenheit und die Angst hinweg. Meine Liebe und mein Zutrauen werden dann nur noch euch gehören. Habt Geduld.
Anmerkung: Nach langer Zeit ist Lucy über ihren Schatten gesprungen. Heute hat sie nicht nur einen festen Platz im Herzen ihrer Menschen, sondern auch auf deren Sofa. Für sie trifft das chinesische Sprichwort wirklich zu: Mit Geduld und Zeit wird ein Maulbeerblatt zum Seidenkleid.
Die Couch
Christa Burow
Gestatten, dass ich mich zunächst kurz vorstelle? Ich heiße Jaska und bin eine „Malahusk-Hündin“. Im Rasselexikon findet man diesen Begriff allerdings nicht. Er ist nur ein Wortmix aus Malamute und Husky, denn das sind meine Vorfahren. Und von diesen beiden nordischen Rassen habe ich einige ausgeprägte Eigenschaften geerbt, die sich zudem auch noch decken. Dummerweise, wie meine Menschen finden. Fantastischerweise, wie ich meine. Denn diese Eigenschaften wie z. B. Jagdleidenschaft oder Eigenständigkeit (meine Menschen sagen meistens Sturheit dazu) im Doppelpack, das hat schon was für sich. Zum Ausgleich besitze ich aber auch die doppelte Menge der den Menschen genehmen Eigenarten. Das versöhnt sie dann wieder. Seit acht Monaten lebe ich bei meinem Husky-Kumpel Ronny und unseren Zweibeinern Ronald (auch kurz Boss genannt) und Christa.
An dieser Stelle möchte ich unbedingt betonen, dass ich meinen Lebensabschnittsgefährten wirklich mag. Doch – ich mag ihn sogar sehr. Aber manchmal kann er mir auch den letzten Nerv rauben. Da ist zum Beispiel die Geschichte mit meiner Couch. Jawohl, ich besitze eine eigene (!) Couch. Die habe ich damals, als ich hier einzog, einfach in Beschlag genommen. Der Boss und Christa haben sie mir dann – wenn auch nicht gerade freudig– überlassen, damit ich mich wohlfühlen und schneller einleben sollte. Ist auch prima gelungen! Auf dieser Couch verbringe ich einen Teil des Tages und der Nacht. Sie ist ziemlich bequem und ich kann wunderbar darauf entspannen. Inzwischen habe ich verschiedene Liegetechniken entwickelt. Besonders erholsam ist diese:
Anfangs hat Christa noch eine Decke über die Couch gelegt. Die habe ich jedes Mal wieder heruntergezogen. So lange, bis unsere Zweibeinerin endlich begriffen hat, dass ich einfach keine Decke möchte.
Diese Couch war also immer die meine und keiner hat sie mir in der Zeit, die ich jetzt hier lebe, je streitig gemacht. Ronny erst recht nicht, der geht nie auf irgendwelche Möbel. Nun liegt unsereiner aber nicht nur auf der Couch. Nein, da gibt es auch noch verschiedene andere Ruheplätze in der Wohnung. Und ab und zu müssen selbige mal inspiziert werden, damit alles seine Ordnung hat.
Aber gestern ist etwas Ungeheuerliches geschehen! Als ich mich nach solch einem Kontrollgang wieder zu meinem Lieblingsplatz begeben wollte, war dieser besetzt!!! Und kein anderer als Ronny grinste mich an: Weggegangen – Platz vergangen … Ich dachte, ich sehe und höre nicht richtig. Zwar kann ich manchmal auch ziemlich albern sein, aber was meine Couch betrifft, bin ich sehr empfindlich.
Zum Glück funktionieren meine kleinen grauen Zellen noch sehr gut, auch wenn ich nicht mehr die Jüngste bin. Ich brauchte nur ganz kurz zu überlegen, dann wusste ich, was zu tun war. Mitspielen durfte ich auf keinen Fall und schon gar nicht Ronny zeigen, dass ich mich ärgerte. Das hätte er dann immer wieder bei Bedarf ausgenutzt. Ich kenne meinen Kumpel da inzwischen sehr gut. Ganz spontan fiel mir der Korb ein, den die Unbepelzten zu Anfang für mich gekauft hatten. Doris, mein Pflegefrauchen, hatte ihnen nämlich erzählt, dass ich einen solchen heiß und innig lieben würde. Das traf damals bei Doris auch zu. Ihr Rüde Cosmo ist nämlich ein Gentleman. Als ich dort ankam, hat er mir sofort sein Körbchen zur Verfügung gestellt. Na ja, kann sein, dass ich ihn ein wenig dazu genötigt habe … Jedenfalls hat er den Korb nie zurückverlangt und ich habe mich sehr wohl darin gefühlt.
Aber was ist schon ein Korb, wenn man als Alternative eine ganze Couch zur Verfügung hat! Folglich wurde er hier auch nicht weiter beachtet und stand eigentlich nur im Weg herum. Denn auch Ronny zeigte keinerlei Interesse daran. Jetzt jedoch kam das