»Dann muss ich doch nach Hamburg umziehen!«, rief er, breitete seine Arme aus und ließ sie kraftlos auf seine Schenkel fallen.
»Aber das ist doch toll!«, rief ich begeistert, »mal was anderes: das Gegenteil von München!«
»Das ist doch das Problem«, kam es kleinlaut von ihm zurück und er sank noch tiefer in seinen Sessel.
Nun verstand ich gar nichts mehr. »Sei doch froh, immer das Gleiche ist doch furchtbar!«
Er fuhr in seinem Sessel hoch: »I bi aus Minga!«111, rief er und funkelte mich anklagend an. »I bin a Bayer!«
Ich zuckte mit den Achseln. Meine Mutter lachte wohlwollend. »Christof hat recht«, sagte sie milde, »das ist doch eine enorme Erweiterung deines Horizonts.«
»Erika!«, rief Heinz Höfl, »Du kennst mich doch jetzt lange genug, das halte ich nicht aus mit den Hamburgern!«
Langsam ging mir ein Licht auf. »Die können nicht richtig Deutsch sprechen«, bestätigte ich ihn lachend. »Das gilt aber auch für die Bayern und Sachsen!«
»Ach was!«, schimpfte Heinz Höfl, ärgerlich werdend. »Bayern ist meine Heimat, hier bin ich aufgewachsen, hier gehör ich hin!«
»Heimat?«, fragte ich entsetzt. Diesen Begriff kannte ich nur von den »Heimatvertriebenen«, den ganz Rechten, die sich einmal im Jahr trafen und die Rückeroberung der Ostgebiete forderten, Schlesier und ähnliche verkappte Nazis – ein solcher Begriff aus dem Munde von Heinz Höfl?
Meine Mutter lenkte ein. Nachdenklich sagte sie: »Ja ja, jeder hat seine Wurzeln, das ist schon wahr.«
»Menschen haben doch keine Wurzeln«, widersprach ich, »früher gab es Völkerwanderungen!«
»Das ist doch nur im übertragenen Sinne gemeint«, herrschte mich meine Mutter an, »sei doch nicht immer so pingelig, ich weiß gar nicht, woher du das hast!«
Ich zuckte mit den Achseln. »Man kann nicht was sagen und was anderes meinen. ›Heimat‹, ›Wurzeln‹ da kann ich nichts mit anfangen.«
»Man kann nicht über seinen Schatten springen!«, stellte meine Mutter abschließend fest, ungeduldig verärgert.
»Und was ist mit Lisl?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln, es hatte eh keinen Sinn, mit meiner Mutter zu diskutieren, wenn sie so daherkam. »Bleibt sie dann in München?«
»Oh nein doch!«, rief Heinz Höfl lachend. »Dann wäre ja alles aus! Nein, nein – sie kommt mit – und wir werden heiraten.«
Eine Welt brach für mich zusammen.
Heinz und Lisl – das Beispielpaar, die beiden, von denen ich gelernt hatte, dass Heiraten das Gegenteil von dem erzeugte, was es behauptete, dass man um eine Liebe täglich kämpfen muss, dass nichts fest und sicher sein darf, sie machten eine Kehrtwende? Heinz Höfl, das Vorbild, die Leitfigur, der Mann, der zeigte, dass es auch anders geht, dass man einfach nur damit anfangen musste, den neuen Weg zu gehen, dass es möglich war, das Alte hinter sich zu lassen – gab auf? Resignierte? Wurde nun selbst zum Spießer?
Tief betrübt sagte ich, dass ich meine Hausaufgaben machen musste, und verließ das Wohnzimmer.
Auf dem oberen Wohnzimmertisch lag die »Süddeutsche Zeitung«. Ich blätterte ziellos darin herum und blieb bei einem Artikel über Wassernot in Israel hängen. Raffinierte Techniker hatten Methoden entwickelt, jeden Tropfen Regenwasser zu retten, Meerwasser zu entsalzen und dreckiges Wasser zu säubern.
Hans Lamm hatte mir von den Kibbuzim in Israel erzählt. Dort lebten die Menschen in einer Gemeinschaft von Gleichen und teilten sich Arbeit wie Ertrag derselben. Man konnte sich ihnen anschließen, wenn man wollte, ich mit meiner jüdischen Herkunft allemal.
Vielleicht sollte ich in ein Kibbuz gehen, um endlich etwas wirklich Sinnvolles zu tun!
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