RAF oder Hollywood. Christof Wackernagel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christof Wackernagel
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783866746800
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Freundin besuchen zu wollen, ihr heimlich gefolgt. Als sie in der Nähe des Hauptbahnhofs in ein kleines Restaurant gegangen war, hatte er von außen hineingelugt und gesehen, dass sie sich dort mit einem »finsteren Negerkerl« getroffen hatte. Dann hatte er in einer Türnische gewartet, bis die beiden aus dem Lokal rauskamen, war ihnen bis zum Hotel gefolgt und dann genau in dem Moment dazugekommen, als sie ihren Hotelzimmerschlüssel in Empfang genommen hatten.

      »Es war so furchtbar, das kannst du dir überhaupt nicht vorstellen«, erzählte Sabine, als wir endlich wieder alleine waren. »Ich wäre am liebsten tot umgefallen.« Er hatte Calistus beschimpft und angedroht, ihn anzuzeigen, wenn er seine Tochter noch einmal auch nur versuchen würde zu kontaktieren, dabei war Sabine gar nicht seine Tochter. Er werde dafür sorgen, dass Calistus seine Aufenthaltsgenehmigung verliere. Wenn Sabine schwanger sei, werde er sein blaues Wunder erleben.

      »Aber die Nazis als Rassisten beschimpfen«, regte ich mich auf, »ist doch selber kein Deut besser!« – Aber Sabine hatte andere Probleme: Sie hatte Hausarrest! Meine neunzehnjährige Schwester durfte das Haus nicht verlassen – unfassbar! »Nach außen hin geben sie sich ganz toll und fortschrittlich«, erregte ich mich, »aber in Wirklichkeit sind sie genauso spießig wie die, die sie als Spießer verachten!«

      Ich ging zu Franz Müller und beschwerte mich über Heiners Verlogenheit. Lächelnd sagte er: »Dr Heiner isch hald a aldr Seggl«, aber er meine es gut: »Vielleicht würde die Sabine es ja hinterher doch bereuen, aber dann wäre es zu spät!« Er lehne Heiners Vorgehensweise ab und werde mit ihm reden – aber in der Sache sei es vielleicht doch das Beste für Sabine. Manche Dinge ließen sich eben nicht von heute auf morgen verwirklichen:

      »Als wir zusammen mit den Kommunisten nach dem Krieg ein neues, besseres Deutschland aufbauen wollten, sind wir auch gescheitert. Die alten Nazis waren einfach stärker! Adenauer war zwar sauber, die Nazis hatten ihn ja sogar am Schluss noch eingesperrt, aber hinterher hat er sie alle gedeckt, ihnen sogar Posten gegeben – während die Antifaschisten im angeblich demokratischen Deutschland keinen Fuß auf den Boden bekommen haben.«

      »Ja und? Warum sagst du das, wenn es um Sabine geht?«

      »Weil es das gleiche Problem ist: Die Zeit war noch nicht reif!«

      Es kam eben bei jeder Gelegenheit und von allen nur die eine ewig gleiche Botschaft: »Das dauert noch«, »du musst Geduld haben«, »ist doch nur Utopie!«, »muss erst erkämpft werden«, »das ist doch völlig unrealistisch!« – und so weiter.

      Wie lange sollte man denn noch warten? Und auf wen? Wer sollte denn eine neue Welt verwirklichen, wenn nicht wir? Und hieß das alles nicht, dass es nicht umgekehrt allerhöchste Eisenbahn war, endlich mit dem neuen Leben anzufangen?

      Die Beatles wollten keine Konzerte mehr geben. Auch eine Art von Anfang – ich fand es spannend, nachdem mir ihre Indienausflüge zu wichtigtuerischen Gurus eher unkoscher vorgekommen waren. Ihre letzte Konzerttour hatte als vorletzte Station den Circus Krone in München.

      Es war praktisch unmöglich, Karten zu bekommen. Außerdem kosteten sie die astronomische Summe von über sechzig Mark, was jegliche Taschengelddimension überstieg. Aber meine Mutter kannte einen Redakteur des Bayrischen Rundfunks, der sie verehrte und ihr regelrecht nachlief: Er hatte Freikarten! Und überließ sie ihr!

      Die öffentliche Anteilnahme an dem sensationellen Ereignis war größer als beim Eichmann-Prozess. Ich konnte live im Fernsehen die Ankunft der Beatles auf dem Flughafen München Riem, ein paar Kilometer von unserem Haus in Englschalking entfernt, miterleben. Sie stiegen aus dem Flugzeug, winkten in die Kameras und stiegen direkt in ein offenes Mercedes Cabrio, das neben dem Flugzeug auf dem Flugfeld stand, ohne Kontrolle, ohne alles! Damit fuhren sie im Sonnenschein unter Münchens blauem Himmel direkt ins Hotel »Vier Jahreszeiten«, dem vornehmsten und teuersten in ganz München, in dem die ganze oberste Etage für sie reserviert war. Die schönsten Mädchen Münchens warteten dort auf sie!

      Ich schwang mich aufs Fahrrad und strampelte so schnell es ging in die Stadtmitte, wo sich auf der kleinen baumbestandenen Wiese vor dem Hotel schon hunderte von Fans versammelt hatten, die lautstark riefen, John, Paul, George und Ringo sollten ans Fenster kommen. Ich mochte Ringo am liebsten und hatte etxtra Schlagzeug gelernt, um Julia zu imponieren, die ich auch in der Menge sah. Aber die Beatles vergnügten sich wahrscheinlich mit den hübschen Mädchen. Die Polizei drängte uns immer wieder zurück, wenn wir die Straße blockierten, und es gab auch hier unten viele hübsche Mädchen, deren Blicke aber nur in den vierten Stock gerichtet waren.

      Endlich wurde ein Vorhang beiseite gezogen und ein ohrenbetäubendes Gebrüll brach aus, bevor überhaupt jemand zu erkennen war! Es war natürlich Ringo, der sich zeigte – ich hüpfte vor Freude und brüllte aus vollem Halse, er war der normalste und netteste von allen! Nachdem die anderen es nicht für nötig hielten, sich auch zu zeigen, verlor ich die Lust: Ihnen war der Ruhm zu Kopf gestiegen, dann interessierten sie mich auch nicht!

      Die Stimmung im Circus Krone war eine ganz andere als bei den Rolling Stones. Viel nüchterner, fast geschäftsmäßig. Es gab inzwischen Lautsprecher, aus denen Musik zu hören war, solange noch keine Band spielte. Ihr neuester Song »Paperback writer« war gerade rausgekommen und wurde wieder und wieder wiederholt.

      Der Moment, in dem die berühmtesten Menschen der Welt auf die Bühne kamen, war zwar spannungsgeladen, aber lange nicht so aufregend wie bei den Stones. Sie hatten zwar die durch sie berühmt gewordenen Pilzköpfe – wie ich auch! –, aber sauber und adrett, irgendwie angepasst. Sie nahmen ihre Gitarren, sagten eine kurze Begrüßung auf und one two three ging’s los. Es war schon irgendwie toll, das live zu hören, was ich nur von der Schallplatte kannte, aber auch ernüchternd. Das Getobe klang pflichtgemäß, ich beteiligte mich nur moderat daran. Ich verstand, warum sie sich auflösten, sie hatten recht und ich bewunderte ihre Konsequenz.

      Nach dem Ende der Beatles begann eine neue Zeitrechnung. Eine Art neuer Freiheit brach an. Jetzt waren wir selbst dran.

      Unser Mitschüler »Buuz« Unseld war der Klassenclown. Im neugebauten Kaufhaus Hertie an der »Münchner Freiheit« gab es eine aus Amerika eingeführte Erfindung: Rolltreppen. Manchmal gingen wir dort nach der Schule hin und fuhren einfach nur rauf und runter; zu Stoßzeiten standen dort Kontrolleure, die uns zurückwiesen, wenn deutlich war, dass wir gar nichts kaufen wollten.

      Buuz machte sich ein Vergnügen daraus, wenn er runterfuhr, etwa in der Mitte der Treppe, auf der gegenüberliegenden Seite hochfahrenden Leuten, die sich am Band festhielten, auf die Finger zu hauen, um dann höhnisch lachend nach unten zu laufen, während die Leute sich ohnmächtig aufregten.

      Mit ihm, Fips, Thomas Zauner, dessen Vater Sciencefiction-Romane schrieb, und unserer neuen Mitschülerin Mi, der Tochter eines Akkupunkturarztes, die von der oberen Klasse in unsere durchgefallen war, ließen wir ein Happening auf dem Garagendach meines Elternhauses in der Lützenkirchenstraße steigen.

      Wir zogen uns schwarze Anzüge an, Mi ein rosa Spitzenkleid, ich stellte das Schlagzeug meiner »sad classics« auf, Buuz hatte eine Trompete mitgebracht, Mi spielte Bach auf ihrer Querflöte, über Mikrophon von einem Verstärker so laut gemacht, dass es quietschte, ich trommelte, was das Zeug hielt, Thomas Zauner zerquetschte rohe Eier und kreischte zum Himmel, Fips gab improvisierte Lautfolgen zum Besten und las Zahlengedichte von Schwitters, die wir, im Unterricht uns gegenseitig unter den Bänken zuschiebend, gelesen und uns darüber halb totgelacht hatten. Ebby saß am Rande und rauchte – ab und zu holte er eine Maultrommel aus seiner Tasche und quäkte damit ins schrille Mikrophon.

      Es dauerte nicht lange, bis wir unser Ziel erreicht hatten und die erwünschte Aufmerksamkeit bekamen: Nachbarn alarmierten die Polizei, unsere Personalien wurden aufgenommen und meine Alten, die natürlich nicht anwesend waren, bekamen eine Abmahnung. Heiner fand das überhaupt nicht komisch, aber meine Mutter war stolz auf mich. Sabine hatte mir bei den Vorbereitungen geholfen.

      Eines Tages besuchte Heinz Höfl meine Mutter völlig verzweifelt und bat sie um Rat. Der »Spiegel« hatte ihm ein Angebot gemacht – normalerweise ein Traum für einen Journalisten im besten Alter. Aber Heinz Höfl, dieses breitschultrige Trumm von einem Mann, saß wie ein Häufchen Elend am großen Couchtisch im Wohnzimmer und drehte seine