Für den beruflichen Erfolg sind solche Anstrengungen nicht förderlich. Oder doch? Der Beruf als Studienrätin sollte für mich zur Mission werden, und jeder Missionar trägt ein Gewand, das ihn von der Menge, die im falschen Glauben verharrt, unterscheidet und durch das er seinen Glauben unverhohlen kundtut. Im bayerischen Schuldienst gab es viele Mängel, gegen die ich nun meinte, antreten zu müssen, und ein abweichender Kleiderstil sollte dies ankündigen. In der Tat wurde dies auch von allen Kollegen so verstanden. Lange bevor die Studentenbewegung die Ideen der Aufklärung in der marxistischen Version verkündete, habe ich mit allerlei Frechheiten, angefangen beim Kirchenaustritt bis hin zu meinem Aussehen, das Schulsystem in Frage gestellt. Dreimal wurde ich strafversetzt; das eine Mal, weil ich beim Morgengebet die Hände nicht faltete, dann weil ich Kindern linke Theorien anhing, und noch einmal, weil mein Rock zu kurz war.
Der Auftritt spielte damals unter Intellektuellen eine große Rolle, vielleicht sogar die wichtigste, und die heftigen Diskussionen in der Schule über meinen Aufzug bewiesen mir, dass dieser als politische Geste gut geplant war. Lehrern, Schülern, Eltern wurde so mit einem Blick offenbar, dass ich abweichende Ansichten hatte, einen anderen Lebensstil vertrat. Die armen unverheirateten Lehrerinnen, die einst mich als Schülerin im Gymnasium (einer reinen Mädchenschule) unterrichteten, hatten noch für ihre geistigen Ambitionen zu büßen gehabt. Sie wurden verspottet als »alte Jungfern« und waren dies wirklich im Aussehen wie im Denken. Die intelligente Frau sollte in den frühen Epochen der Emanzipation keinen Mann haben. Zunächst wurde überhaupt keine Frau, die studiert hatte und noch dazu einen Beruf ausübte, geheiratet; Volksschullehrerinnen, so hieß das, »blieben sitzen«. Die Frauen, die herablassend von ihnen sprachen, taten es mit dem befriedigenden Gefühl, dass Intelligenz bei einer Frau Hybris sei und sie zur Einsamkeit verdamme. In vorauseilendem Gehorsam hatten denn auch Berufstätige ihr Äußeres so unscheinbar gestaltet wie möglich, nur um das Gerede zu bestätigen, sie seien wegen ihrer Reizlosigkeit nicht geheiratet worden und müssten deswegen durch eine Berufstätigkeit ihren Unterhalt sichern. (Wenn ich damals, als Studienrätin, meine Mutter besuchte, war ihre stehende Frage: »Musst du denn arbeiten? Du hast doch einen Mann, der gut verdient!« Für sie konnte eine Frau, die arbeiten »musste«, vom Schicksal nur benachteiligt sein.)
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es schon unter den Volksschullehrerinnen die eine oder andere, die einen Mutigen fand, der sich ihr gewachsen fühlte und sie heiratete. Studienrätinnen aber waren in meiner Schulzeit noch alle unverheiratet, man hätte es fast unanständig gefunden, wenn sie einen Mann gehabt hätten. Als ich selbst Lehrerin wurde, waren hingegen alle Kolleginnen bereits verheiratet – die jedoch, die eine Stelle an der Universität anstrebten, mussten noch immer mit Ehelosigkeit rechnen, und sie hatten auch durch ein möglichst unerfreuliches, ja unfrauliches Aussehen zuzugeben, dass ihre soziale Einsamkeit zu Recht bestand. Der Geist konnte unmöglich eine weibliche Gestalt haben. Lehrende Frauen sollten fleißige Bienchen sein und nicht einmal so hübsch wie diese.
Die Angst des Mannes vor der attraktiven Klugen haben erst die Studenten der Achtundsechziger überwunden. Die bürgerliche Schönheit gab es freilich immer schon, an wen sonst hätte Dior seine Kreationen verkauft, aber sie durfte nicht denken. Die Gattin des reichen und erfolgreichen Mannes war gut gekleidet und so schmuck, wie eben ein Geschenkpaket auszusehen hatte, denn das war sie für ihren Mann. Die Frau aber, die sich selbst entwarf und selbst bezahlte, die das begann, was heute jede junge Frau praktiziert, die ihre Kleider aus Vorschlägen zusammenstellt, diese Schöpferin der eigenen Erscheinung wurde erst von der Studentenbewegung hervorgebracht und sogar von ihren männlichen Kommilitonen besonders geschätzt.
Mode, an sich schon und aller männlichen Verachtung zum Trotz, eine vergnügliche Beschäftigung, wurde nun auch noch zu einer befriedigenden, weil der neueste »Look« sich immer sogleich mit dem verband, was der Geist an revolutionären Neuigkeiten vertrat. Die Mode trug dazu bei, dass diese öffentlich in Erscheinung traten. Auffällige Frauen wurden von den linken Studenten wie Fahnen vor sich hergetragen. Die Schönheit hatte sich der Revolte verbündet; schön sein zu wollen, das war keine unterwürfige Werbung um den Mann, sondern das Design neuer Ideen. So waren denn auch Carolas forscher Schritt notwendig und meine Kombinierlust gerechtfertigt als Ankündigung des Umdenkens, das von der Gesellschaft gefordert wurde.
Von nun an war Mode für mich eine Leistung, jeder Schritt auf die Straße erforderte Standhaftigkeit. Die Frage, die jede anständige Frau an sich zu richten hatte, wenn sie in die Öffentlichkeit ging: »Kann ich das tragen, falle ich nicht zu sehr auf?«, durfte überhaupt nicht aufkommen – man wäre ein Feigling gewesen und hätte Verrat am fortschrittlichen Geist begangen. Jeder Auftritt musste eine Mutprobe sein, sonst wäre er nicht berechtigt gewesen. Nie habe ich revolutionäre Taten vollbracht, nie war ich ein Held, außer wenn ich auf die Straße trat, und das hatte ich nicht nur den umstürzlerischen Ideen der Männer, sondern auch meinen weiblichen Idealen, Bildern, Vorbildern und Freundinnen zu danken, die sich in der Sprache der Mode verständigten.
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