II
Paris
Josephine bei Proben auf dem Dach des Théâtre des Champs-Élysées, 1925.
„Vielleicht ist mir die Pariser Luft wirklich zu Kopf gestiegen.“
Die verrückten Zwanzigerjahre
„Picasso habe ich mehrfach Modell gestanden.“
Als Josephine Baker 1925 in Paris ankommt, sind die „Années folles“ („Die verrückten Zwanziger“) auf dem Höhepunkt: Paris ist die Partystadt Europas und feiert sich seit Ende des Ersten Weltkriegs durch wahrhaft verrückte Jahre. In der Rückschau sieht es so aus, als hätten sich in den Zwanzigern alle wegweisenden Literatur- und Kunstschaffenden in der französischen Hauptstadt versammelt. Ein Kreis verkörpert die englischsprachige Community: Die modernen Literaten Ezra Pound, T. S. Eliot, James Joyce, John Dos Passos, F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway gehen bei der Salonière Gertrude Stein ein und aus. Ein anderer Kreis betreibt die Suche nach Lebensformen jenseits der traditionellen Normen: Die Künstler Luis Buñuel, Tristan Tzara und Man Ray experimentieren mit Film und Fotografie, Salvador Dalí malt sein erstes surrealistisches Bild und André Breton schreibt das Manifest des Surrealismus. Paris ist das kreative Epizentrum Europas und ein Hort für Menschen mit dem Wunsch nach einem liberalen Umfeld und alternativen Lebensweisen. Die konventionellen Zwänge und Moralvorstellungen der Jahrhundertwende hat der Erste Weltkrieg gemeinsam mit der traditionellen Gesellschaftsordnung obsolet gemacht – all das war der Nährboden für den Krieg oder zumindest nicht so stabil, dass es ihn hätte verhindern können, warum also nicht ganz neu anfangen? Aus diesem sicher sehr urbanen und elitären Ansatz heraus erwächst eine Befreiung, die ihre eigenen Regeln erst noch definieren muss, und so blüht in den ersten Jahren in der Nachkriegszeit die Emanzipation von Normen in vielen Bereichen.
Die Musikwelt experimentiert mit Tonalität, Harmonie und neuen Rhythmen und die Grenzen zwischen klassischen Kompositionen und Unterhaltungsmusik beginnen zu verschwimmen. Mit den amerikanischen Soldaten hat der Jazz Einzug in die europäische Musik gefunden und entfaltet nun eine befreiende Kraft, die sich auch im Ballett und in klassischen Kompositionen niederschlägt. Uraufführungen von Claude Debussy über Maurice Ravel und Igor Strawinsky werden in Paris sowohl als Avantgarde gefeiert als auch lustvoll schockiert abgelehnt.
Exemplarisch für die Dynamik der Auseinandersetzung über moderne Kunstformen ist der Skandal des Balletts Parade – Ballet réaliste („Parade – ein realistisches Ballett“) von 1917: Erik Satie komponiert die Musik für das Tanzensemble Les Ballets Russes, das Libretto stammt von Jean Cocteau. Das Bühnenbild und die Kostüme entwirft Picasso und die Reaktionen sind ebenso wild wie das Finale von Parade, das mit einem schnellen Ragtime endet. Satie reagiert auf eine Musikkritik mit einer Postkarte an den Verfasser: „Mein Herr und lieber Freund – Sie sind ein Arsch, ein Arsch ohne Musik! Gezeichnet Erik Satie“, worauf dieser ihn verklagt. Vor Gericht poltert Satie weiter, worauf er verurteil wird und erst nach prominenten öffentlichen Interventionen die Strafe nicht antreten muss. Stattdessen eröffnet er 1918 mit seiner „Lobrede auf die Kritiker“ das Konzert der „Nouveaux Jeunes“. Die Protagonisten der Avantgarde haben sich wahrlich nichts geschenkt und jede Gelegenheit als Skandal zelebriert. Tatsächlich ist auch die Revue Nègre („Negerrevue“) nichts anderes als ein kalkulierter Skandal.
Das Interesse an afrikanischer Kunst ist in Paris bereits um die Jahrhundertwende erwacht. Unter den ersten Künstlern, die sich mit „Negerkunst“ befassen, befinden sich Henri Matisse und Pablo Picasso, die Gründe dafür sind in einer Anekdote von Matisse festgehalten: „Oft besuchte ich Gertrude Stein in der Rue de Fleurs. Auf dem Weg dorthin befand sich ein kleines Antiquitätengeschäft. Eines Tages sah ich dort im Schaufenster einen kleinen, aus Holz geschnitzten Negerkopf (…). Ich hatte das Gefühl, dass hier zwei Kulturen, so fremd sie einander auch sonst sein mochten, die gleichen Methoden der Formgebung verwendeten. Ich erwarb den Kopf für ein paar Francs und nahm ihn mit zu Gertrude Stein. Dort traf ich auf Picasso, der ebenso fasziniert davon war, wie ich. Wir diskutierten lange darüber und seither interessierten wir uns alle für Negerkunst – was auch mehr oder weniger in unseren Bildern zum Ausdruck kommt.“54
Die Vertreter des Fauvismus und die Kubisten verarbeiten ihre Faszination künstlerisch und 1919 macht der Kunsthändler Paul Guillaume afrikanische Kunst salonfähig: Er organisiert eine Ausstellung mit „Negerskulpturen“, publiziert in seiner Kunstzeitschrift Les Arts à Paris eine Abhandlung über die Ästhetik und die Hintergründe der Objekte und er organisiert das erste „Negerfest“ in Paris, zu dem alle eingeladen sind, die Rang und Namen haben. Diesem Vorbild folgend, wird der Jazzclub Le Bal Nègre in Montparnasse ab 1924 zum Treffpunkt des Who is Who der Nachtschwärmer. Und spätestens als Citroën auf der Pariser Weltausstellung 1925 in einem Pavillon die Transafrikaexpedition Croisière Noire („Schwarze Expedition“) zelebriert, ist klar, dass Afrika und schwarze Kunst ein Publikumsmagnet sind.
Zur selben Zeit suchen die Direktoren des Théâtre des Champs-Élysées, André Daven und Paul Achard, nach der kriegsbedingten Flaute nach einem neuen Konzept für ihr Haus, um ein breites Publikum anzusprechen. Dafür muss das Programm weniger elitär und anspruchsvoll gestaltet werden – weniger Theater, mehr Music Hall, mit Bühnenspektakel, Restaurant und Tanz, entspricht dem Geschmack der Zeit. Im Frühjahr 1925 versuchen sie mit einer „Saison Opéra Music Hall“ an alte Publikumserfolge anzuknüpfen.
Zeitgleich zu Davens und Achards Experiment klopft Caroline Dudley Reagan an die Türen der Theateretablissements Casino de Paris, Folies Bergère und Odéon. Reagan gehört zur frankophilen amerikanischen Community in Paris und bewegt sich im Umfeld von Gertrude Stein, ist aber auch eine Schirmherrin der Harlem Renaissance. Seit ihrem ersten Besuch einer All-Black-Show in Washington D. C., die sie nachhaltig fasziniert hat, trägt sie sich mit dem Gedanken, eine solche Revue nach Europa zu bringen: „Acht schwarze Mädchen in schwarzen Trikots, eine prächtiger als die andere, tanzen, tanzen, tanzen. Es war der Charleston (…). Ich war überwältigt, wie von einem unsichtbaren Magneten angezogen, eine Kompanie zusammenzustellen, um solche Künstler zu zeigen, um Paris zu begeistern, zu verblüffen, sprachlos zu machen.“55
Die Theaterdirektoren teilen Caroline Reagans Begeisterung jedoch nicht und lehnen ihr Angebot, La Revue Nègre zu inszenieren, ab. Erst als sie im Théâtre des Champs-Élysées vorstellig wird, trifft sie auf Gegeninteresse. Sie schlägt André Daven und Paul Achard vor, für sie in New York eine Kompanie zusammenzustellen. Die beiden riechen den Erfolg und engagieren sie.
Erste Allüren
„Als die Freiheitsstatue am Horizont verschwand, wusste ich, nun bin ich frei.“
Caroline Reagan stürzt sich sofort in die Arbeit. Sie sieht ihre Chance, als Producerin mit einem Äquivalent zu Shuffle Along in Paris für Furore zu sorgen. Sofort als sie 1925 in New York ankommt, schließt sie sich mit dem Jazzmusiker Spencer Williams zusammen, der sowohl in der Stadt als auch in der Musikszene etabliert ist und ihr Türen öffnen kann. Er übernimmt die Aufgabe, die Musik für ihre Show zu komponieren und sie bei der Besetzung von La Revue Nègre zu beraten. Drei Monate lang ziehen sie Nacht für Nacht durch die Jazzclubs und Theater am Broadway und in Harlem.
Mitte September haben sie es geschafft: Als Pianist und Leader der sechsköpfigen Band ist der erst zweiundzwanzigjährige Claude Hopkins engagiert, der trotz seiner jungen Jahre bereits einen Namen in New York hat: „Crazy Fingers“. Auch die anderen Musiker sind exzellent besetzt: Die Klarinette spielt Sidney Bechet, der bereits Europaerfahrung hat