„Sie selbst wollen diesen Vertrag nicht mehr?“
„Was? … Wieso? … Doch, doch, ich will auch. Das hatte ich doch schon gleich nach der Veranstaltung gesagt“, stammelte Olaf ängstlich.
„Dann sind es aber zwölf Verträge. Bitte seien Sie nicht böse. Es war nur ein Scherz. Natürlich weiß ich, dass Sie der Erste waren, der sich bereit erklärt hat. Deshalb wird der Bau auch bei Ihnen beginnen.“
Olaf war erleichtert. Er vertraute Wolfram und sah in diesem Ferienhausprojekt eine sichere Zukunft für sich und seine Familie.
„Wir werden mit allen, die sich für den Vertrag ausgesprochen haben, noch ein Treffen organisieren. Sagen wir übermorgen, am Sonnabend, 10.00 Uhr in der Dorfschenke. Dorthin werde ich die Verträge mitbringen. So kann jeder unterschreiben, wenn er das wirklich will. Ich möchte niemanden drängen! Würden Sie bitte allen Bescheid geben und natürlich auch den Wirt informieren?“
„Das werde ich tun. Sie können sich auf mich verlassen.“
„Olaf, Sie sind sehr fleißig. Ich bin überzeugt, dass Sie das nicht bereuen werden. So, jetzt schließen wir die Arbeit ab und sind wieder privat! Eines sollten Sie wissen: Marias Freunde sind auch meine Freunde. Schon deshalb möchten wir Ihnen helfen, so gut wir können.“
„Sie helfen uns schon so sehr“, sagte Ivonne unterwürfig.
„Bitte, Ivonne, ich bin nichts Besonderes. Betrachten Sie mich als einen guten Freund. Ich würde das für jeden meiner Freunde tun. Das ist doch selbstverständlich“, wehrte Wolfram ab.
„Hier gibt es einige Familien, die Hilfe sehr dringend brauchen. Sie alle vertrauen Ihnen und Maria. Es wäre für sie furchtbar, wenn die Sache nicht ehrlich wäre“, sagte Olaf sorgenvoll.
„Olaf, sollte irgendjemand finanziell benachteiligt werden, dann hafte ich mit meinem Privatvermögen. Das sage ich nur Ihnen. Aber ich werde es tun! Wissen Sie, ich empfinde Betrug als etwas Abscheuliches. Fragen Sie Maria. Sie kennt mich am besten.“
Da griff Maria in das Gespräch ein: „Wolfram ist genauso ehrlich wie ich! Im Scherz flunkert er auch mal, aber nie, wenn es ernst ist. Er hasst Lügen! Und wenn er sagt, er haftet im Notfall mit seinem Privatvermögen, dann ist das ernst gemeint.“
„Aber das können wir doch von euch nicht verlangen“, meinte nun Ivonne.
Da sagte Wolfram: „Darum geht es nicht. Ich trage hier eine Verantwortung. Deshalb muss ich auch dafür sorgen, dass alles so sein wird, wie ich es versprochen habe. Und ich werde dafür sorgen! Darauf können Sie sich verlassen!“
Olaf und vor allem Ivonne waren verwundert über diese Reaktion. Das passte so gar nicht zu dem, was sie über die Deutschen wussten. Und so sagte Ivonne zu Maria: „Ich verstehe dich immer mehr, weshalb du Wolfram liebst. Im Februar habe ich dich nicht verstanden. Ich glaubte, dass es wieder …“ Erschrocken hielt sie inne und blickte ängstlich zu Wolfram. Plötzlich war ihr bewusst geworden, dass er sie ja verstehen konnte.
Ihm war das nicht entgangen. Er sah Ivonne an und sagte dann: „Ich verstehe Sie sehr gut. Niemand konnte wissen, ob ich ehrlich bin oder nicht. Außer Maria und Andrea hat mir hier wohl niemand vertraut. Ich habe das vor einem Jahr sehr deutlich gefühlt. Besonders Marias Vater war sehr gegen die Verbindung zwischen Maria und mir. Heute ist er froh, dass er sich geirrt hat. Ich verstehe die Menschen hier sehr gut, die mit ansehen mussten, wie Maria immer wieder betrogen wurde. Wir haben uns ausführlich darüber unterhalten. Es ist einfach schlimm, dass es immer wieder Menschen gibt, die andere nur zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen. Besonders schlimm ist es, wenn das Frauen trifft, weil sie es ungleich schwerer haben. Das kann ihr ganzes Leben zerstören. Ich verstehe nicht, warum Männer so sein können.“
„Dann haben Sie Maria aus Mitleid geheiratet?“, fragte Ivonne.
Olaf wies sie sofort zurecht: „Ivonne!“
„Olaf, lassen Sie Ihre Frau. Die Frage ist doch berechtigt. Ivonne, ich hätte Maria auf jeden Fall geholfen, so gut es mir möglich gewesen wäre. Aber geheiratet hätte ich sie deshalb nicht. Man kann keine Beziehung auf Mitleid aufbauen. Eine solche Beziehung hält nicht ewig. Sie wird früher oder später zerbrechen. Damit wäre Maria ganz sicher nicht geholfen gewesen.“
„Sie sind anders als die Männer hier“, stellte Ivonne fest. Sie wollte noch mehr sagen, aber als sie dem Blick ihres Mannes begegnete, schwieg sie lieber.
„Olaf. Ich möchte nicht, dass durch dieses Gespräch Probleme zwischen Ihnen entstanden sind. Bitte glauben Sie mir. Es ist besser, seine Frau nicht von oben herab zu betrachten. Ich habe hier im Dorf gesehen, dass sich fast alle Männer über ihre Frauen stellen. Von Maria weiß ich, dass das hier normal ist. Versuchen Sie mal, Ihre Frau gleichwertig zu sehen. Sie würden sich wundern, wie das eine Beziehung festigt. Vielleicht unterhalten wir uns ein andermal ausführlicher darüber. Wir werden drüben bei Marias Eltern erwartet.“
„Ja, natürlich“, sagte Olaf versonnen. Irgendwie gaben ihm Wolframs Worte zu denken.
Da klopfte es an die Haustür. Es war Julia. Sie hatte ausgeschlafen und wollte jetzt mit den anderen spielen.
Wolfram klopfte Olaf auf die Schulter. „Sie haben eine wundervolle Frau. Seien Sie stolz auf sie und verwöhnen Sie sie ruhig ein wenig. Ich glaube, sie wird es Ihnen tausendfach danken. Bei uns sind die Frauen anders. Sie sind sehr selbstbewusst. Manchmal stört mich das auch, aber sie haben das gleiche Recht wie wir Männer. Keiner ist besser als der andere. Das bedeutet natürlich nicht, dass sie gleich sind. Frauen und Männer sind sehr unterschiedlich. Die einen können dieses besser, die anderen jenes. Nur wenn beide Hand in Hand arbeiten und sich gegenseitig respektieren, wird ihre Beziehung zu ungeahnter Größe wachsen.“
„Jetzt hast du Olaf genug Tipps gegeben“, sagte Maria lachend. „Am besten wäre es, wenn ihr euch das selbst mal anschaut. So, wie Wolfram gestern gesagt hat, ist es sowieso notwendig, dass du, Olaf, deinen neuen Arbeitgeber persönlich kennenlernen musst. Sicher wird man dich irgendwann einladen. Na ja, im Winter vermutlich nicht, aber vielleicht im Sommer. Dann könnt ihr alle zusammen kommen und bei uns wohnen. Und glaube mir, nicht nur unsere Kinder würden sich freuen. Dazu wäre es vielleicht nützlich, wenn ihr etwas Deutsch lernen würdet.“
„Wo sollen wir denn das lernen? Du weißt doch, was Unterricht kostet!“
„Ivonne, bei Andrea und meiner Mutter kostet das gar nichts. Und selbst Sven, Andreas Mann, würde euch sicher helfen. Es ist doch keine Bedingung, sondern nur ein Vorschlag.“
Ivonne war etwas verwirrt. Noch vor Tagen hatten sie Wolfram und Maria vorgerechnet, dass sie es sich nie leisten könnten, nach Deutschland zu fahren, und jetzt war es schon fast sicher, dass sie hinfahren würden. Vorsichtig fragte Ivonne Maria: „Glaubst du wirklich, dass sie Olaf einladen werden?“
Maria lächelte. „Ganz sicher. Und oft laden sie die ganze Familie ein. Damit musst du rechnen.“
„Die ganze Familie? Aber wieso?“
„Unsere Firma macht sehr viel für die Familien der Belegschaft. Vor Weihnachten zum Beispiel gab es eine Weihnachtsfeier, bei der jedes Kind, dessen Eltern in unserer Firma arbeiteten, ein Geschenk bekam.“
„Ja, Tante Ivonne“, bestätigte Eva. „Wir durften alle auf die Bühne und dort hat sich jeder ein Spielzeug heraussuchen dürfen. Ich habe mir eine Barbie genommen.“
„Und ich einen Ken“, sagte Laura.
„Ich eine Puppe“, meldete sich jetzt auch Julia.
„Siehst du, dass ich recht habe?“, fragte Maria. „Und was meinst du, weshalb sie diese Ferienhäuser hier bauen wollen? Sie werden alle mit Kinderzimmern ausgestattet sein, damit Familien hier Urlaub machen können. Im Hotel ist doch alles so unpersönlich.“
„Ich weiß nicht“, gab Ivonne zu. „Ich war noch nie in einem Hotel.“