Harka. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические приключения
Год издания: 0
isbn: 9783957840004
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Sohn, ein Bursche von fünfzehn Jahren, nackt bis auf den Gürtel. Harka senkte den Blick. Er mochte Schonka nicht. Es war jene Art von Abneigung zwischen den beiden entstanden, die in hundert unwichtigen Anlässen ausbricht und in keinem einzelnen davon ihre Ursache hat. Harka wollte jetzt nicht daran denken. Es lag ihm nur daran zu erreichen, dass Weißer Büffel der Bitte von Harkas Vater nachkam und einen Wachposten an der Bergquelle zurückließ, wenn das Dorf aufbrach.

      Der Junge berichtete kurz und sachlich.

      Der kranke Häuptling schien nicht alles erfasst zu haben, was Harka sagte, denn er bewegte den Kopf unruhig und hilflos hin und her, um sich schließlich an Schonka zu wenden.

      »Wir können keinen Krieger entbehren – sagt mein Vater«, bemerkte der Bursche zu Harka, aber dieser begriff, dass die Ablehnung nur eine Willkür Schonkas war, und der Zorn stieg in ihm auf.

      »Geh«, befahl Schonka. »Mein Vater hat gesprochen, hau.«

      Harka schaute noch einmal zu dem Kranken. Dieser hatte die Augen mit den Lidern bedeckt; es war keine Hoffnung, dass er selbst sprechen werde. Da wandte sich der Junge ab und ging hinaus.

      Was sollte er tun?

      Er schaute sich um. Das Dorf war lebendig; er hatte das bei seinem Kommen als etwas Altgewohntes und in diesem Augenblick nicht eben Wichtiges kaum wahrgenommen. Aber als er jetzt mit den Augen überall umhersuchte, ließ er jedes Wesen und jeden Vorgang vor seinem Bewusstsein die Reihe passieren; die unruhigen Hunde, die ebenso hungrig waren wie der Junge selbst, die mageren Knaben, die ein Ballspiel mit Stöcken spielten und laut johlten, die kleinen Mädchen, die in den aufgeschlagenen Zelten den Müttern und großen Schwestern halfen, endlich die zahlreichen Pferde, die an Gesträuch, kargem Gras und Rinde knabberten, und vor einigen Zelten die Kriegs- und Jagdtrophäen – Büffelhörner, Skalpe –, die an hohen Stangen aufgehängt waren und sich im Morgenwind bewegten. Am reichsten war die Stange vor Harkas väterlichem Zelt mit Trophäen versehen.

      Es dauerte nicht lange, bis Harka seinen Freund, den Falken, entdeckte. Dieser war älter als Harka, schon sechzehn Jahre, lang gewachsen und hager. Harka ging auf ihn zu, und Falke unterbrach seine Arbeit. Er war damit beschäftigt gewesen, Pfeilspitzen zuzurichten.

      Harka kauerte sich neben den anderen, denn wenn er auch Eile hatte, so war es doch nicht ziemlich, eine wichtige Sache mit Hast zu betreiben. Er wiederholte den Bericht, den er Weißem Büffel gegeben hatte, fast wörtlich. »Nun sprich du, Tschetan«, so schloss er. Tschetan war das Wort für Falke.

      »Dein Vater ist unser Kriegshäuptling«, sagte der hagere und dunkelhäutige Bursche energisch. »Mag er doch befehlen. Ein fremder Mann ist in unseren Jagdgründen – das bedeutet Kampf! Mattotaupa hat dazu selbst das Wort.«

      Harka schoss das Blut in die Wangen und bis zu den Schläfen hinauf. Er spürte aus den Worten des Freundes den Vorwurf, dass Mattotaupa nicht entschlossen genug sei, und weil er im Tiefsten spürte, dass dieser Tadel gegenüber dem bewunderten Vater irgendeine Berechtigung habe, erbitterte er sich umso mehr darüber.

      »Mein Vater weiß, was er tut. Hau. Würdest du die Wache an der Quelle übernehmen, obgleich du noch kein Krieger bist?«

      »Das würde ich tun, wenn mein Vater Sonnenregen es erlaubt. Komm, wir gehen zusammen zu ihm.«

      Harka machte sich mit dem Freunde zusammen auf den Weg. Sonnenregen, der Vater des Falken, befand sich nicht im Dorf. Er war auf die Prärie hinausgeritten, die sich weithin um den waldigen Bergstock zog, und die beiden jugendlichen Freunde holten sich daher ihre Pferde, um der Spur zu folgen. Falke wusste, dass sein Vater gegen Südwesten hin spähen wollte, ob Büffel in Sicht seien. Er brauchte mit Harka zusammen nur durch den Wald und durch den seichten Fluss zu reiten, der das Bergmassiv im Süden umfloss. Nach Durchquerung des letzten Waldstreifens entdeckte er auf dem unendlichen, welligen, braungrünen Grasland sofort die Reiterfährte des Vaters. Harka und Tschetan trieben ihre zierlichen, halbwilden Scheckenpferde, die sie ohne Sattel ritten, zum Galopp an. Die Spur im Gras war für ihre Augen deutlich wie ein gezogener Pfad.

      Nach einer Viertelstunde erreichten sie den Gesuchten. Er war längst auf das dumpfe Geräusch, das die Hufe der beiden galoppierenden Pferde verursachten, aufmerksam geworden und hatte die jungen Reiter erspäht. Er hatte angehalten und erwartete die beiden zu Pferd.

      Harka wiederholte seinen Bericht wörtlich zum dritten Mal, ohne etwas auszulassen und ohne etwas hinzuzufügen.

      Sonnenregen schaute nachdenklich über die Prärie. Das Sonnenlicht war schon hell und blendend, und der Wind biss in die Augen, so dass die Indianer blinzelten.

      »Wir gehen zu dritt«, entschied der Krieger. »Harka führt uns. Ich will diese Stelle sehen, und Mattotaupa soll dann entscheiden, wer von uns die Wache übernimmt. Wenn nicht unterdessen schon etwas geschehen ist.«

      Zu Pferd waren der Wald und das Zeltdorf bald wieder erreicht. Die Indianer glitten von den Mustangs, und Harka und Tschetan brachten alle drei Tiere zur Herde zurück. Dann machten sie sich zu Fuß auf den Weg zu der Quelle und dem Häuptling Mattotaupa. Wie Wildkatzen huschten sie durch den Wald bergan, Harka als erster, ihm folgte Sonnenregen, und Falke beschloss die Reihe.

      Sobald sich die Dreiergruppe der Umgebung der Quelle näherte, wurde Harka als Führer sehr vorsichtig. Seine Vorsicht entsprang einer schon zum Instinkt gewordenen Erfahrung, dass man überall, wo etwas Unbekanntes am Werk sein konnte, selbst so unerkannt wie möglich bleiben musste. In Deckung hinter Bäumen und Sträuchern leitete er seine beiden Begleiter zu einem Felsvorsprung am Berghang, von dem aus sie zu der Quelle hinabspähen konnten. Harka Steinhart Nachtauge freute sich sehr bei der Vorstellung, dass es ihm gelingen würde, den Vater zu beobachten, ohne selbst von ihm entdeckt zu werden. Ein solches kleines Meisterstück würde der Vater später lachend loben.

      Jäh brachen Harkas Gedanken und Wunschträume ab, als er, zwischen Gebüsch am Boden liegend, den ersten Blick auf die Bergquelle und den Steilhang warf, den das Wasser hinunterschoss.

      Bei dem sprudelnden, hell plätschernden Wasser lag die mächtige Gestalt Mattotaupas; der Kopf war abwärts-, die Füße waren am Hang aufwärts gelagert, die Arme und Hände wirkten schlaff. Der Häuptling lag auf dem Gesicht.

      Blut war nicht zu sehen, eine Verletzung – aus der gegebenen Entfernung – nicht zu bemerken. Das Messer steckte noch in der am Lederband getragenen Scheide. Harka spähte nach Spuren, aber sein Blick konnte keine finden.

      Am liebsten wäre er sofort zum Vater hinuntergesprungen, denn es quälte ihn eine entsetzliche Angst, dass Mattotaupa tot sei. Aber Sonnenregen, der Harkas Empfindung verstand und vielleicht auch teilte, hielt den Knaben durch eine Berührung mit der Hand zurück und gab dann in der lautlosen Zeichensprache seine Anweisungen für Harka und den jungen Tschetan. Tschetan sollte an dem Beobachtungsplatz bleiben, während Sonnenregen und Harka von rechts und links, die Quelle im Kreis umgehend, das Terrain sondieren und sich bei dem Quellbach wieder treffen wollten.

      Der elfjährige Harka hatte damit eine verantwortungsvolle Aufgabe, und er war sich bewusst, dass Sonnenregen auf ihn zählte wie auf einen Krieger. Dieses Vertrauen stärkte den Jungen, und der Anblick des Vaters, der ohnmächtig oder tot auf dem Waldboden lag, erbitterte ihn gegen den unbekannten Feind. Er empfand Spannung und zugleich jene Ruhe, wie sie der starke Mensch in dem Augenblick behält, in dem er einer Gefahr zu begegnen vollständig entschlossen ist.

      Vorsichtig schlich der Indianerknabe von dem buschbewachsenen Felsvorsprung, der als Ausguck gedient hatte, waldabwärts, immer in Deckung gegen den freien Platz um die Quelle. Bald kroch, bald huschte er weiter, gedeckt von Stämmen und Stämmchen. Er trat auf keinen dürren Zweig, und er vermied es, einen Ast zu bewegen. Nicht ein Blatt sollte sich rühren und den unbekannten Feind aufmerksam machen. Vielhundertmal hatte Harka schon einen solchen Gang geübt, im Spiel mit den Altersgenossen, auf der Kleinwildjagd im Walde mit dem Vater. Ein Junge der Dakota machte eine strenge Schule durch, in der er alles für das Leben eines Jägers und Kriegers Notwendige lernte. Harka war der Anführer seiner Altersgenossen im Bunde der Jungen Hunde. Das war er geworden, nicht weil er der Sohn des Kriegshäuptlings war, sondern weil er sich umsichtig, entschlossen und gewandt zeigte. Darum vertraute ihm heute