Mickys Frage, wo ich gewesen sei, beantwortete ich sicherheitshalber nicht mit »Wurde fast mit einem Mädchen erwischt«.
Tommy erzählte ich hinterher natürlich alles, aber er konnte sich auch keinen Reim auf die Sache machen.
Manchmal war ein echter Freund vermutlich etwas hilfreicher als ein eingebildeter.
Ich blätterte noch ein bisschen in Homecomputer-Zeitschriften, bis ich einschlief und von Amok laufenden Pixeln träumte.
Freitag
Es schüttete wie aus Eimern. Auch mein Regenmantel verhinderte nicht, dass ich durchnässt in der Schule ankam. Da die Stadt vor vier Jahren auf die grandiose Idee gekommen war, das alte Gymnasium in der Innenstadt zu schließen und weit draußen auf der grünen Wiese aus Beton und vier Eimern oranger Farbe ein neues zu bauen, war ich nicht als einziger Radfahrer an Regentagen automatisch schlecht gelaunt.
Die Hälfte der Schüler roch nach nassen Klamotten, der Plastikfußboden war eine einzige Pfütze und was mit feuchten Socken in Plastik-Turnschuhen während sechs Stunden Schulzeit geschieht, möchte ich nicht näher ausführen.
Ich hatte mir vorgenommen, Anna in der Pause anzusprechen, aber das war leichter gesagt als getan. Bei strömendem Regen durften alle Schüler die Pausen in der engen Eingangshalle verbringen, die dank bunt behängter Pinnwände und Betonsäulen-Architektur alles andere als übersichtlich war.
Unzufrieden ließ ich mich von Micky in ein Gespräch über Tims neuen C 64 verwickeln. Tim war Mickys Cousin. Er ging auf die Realschule, aber seine Oma hatte eine Menge Geld und kaufte ihm alles, was er wollte.
»So, einen 64er hat er. Und, kann er programmieren?«
»Natürlich nicht«, sagte Micky empört.
Wir waren uns einig, dass dieses Oma-Geschenk in die Kategorie »Perlen vor die Säue« gehörte. Tim war unwürdig, und hätte er vor uns gestanden, hätten wir ihm das sehr deutlich gemacht, denn er war ein Jahr jünger und zehn Zentimeter kleiner als wir.
Erst in der zweiten großen Pause, als der Regen nachgelassen hatte, fand ich Anna auf dem Schulhof. Sie stand in einer Traube Mitschülerinnen. Mein Mut genügte nicht, um sie in dieser Situation anzusprechen. Neugierige bis skeptische Blicke aus acht Mädchenaugen gleichzeitig würde ich garantiert nicht ertragen. Gar nicht zu reden von dem Fragenkatalog, mit dem mich meine eigenen Freunde hinterher beglücken würden.
Hey girl
Move a little closer ... (vi)
Ich wartete schließlich nach Schulschluss am Fahrradständer. Anna tauchte erst nach ausführlicher Verabschiedung von ihren Freundinnen auf. Bis dahin tat ich so, als müsse ich dringend meine vordere Bremse justieren.
Als sich Anna endlich näherte, machte mein Herz »Bum Bum«, und in meinem Kopf sang Stefan Remmler im Takt dazu das neue Lied von Trio. Ich war fast so aufgeregt wie damals, als meine Luftpumpe ihren Tag rettete.
»Hi«, machte ich.
»Hi«, kam die ebenso einsilbige Antwort. Ich strich die Frage nach einer Verabredung für kommenden Montagnachmittag.
»Warum erzählst du mir nicht, worüber du nachgedacht hast? Auch wenn das mit den Bildern vielleicht schwierig wird?«
Anna schloss ihr Fahrrad auf und vergewisserte sich, dass beide Reifen Luft hatten. »Komm«, sagte sie, »machen wir uns auf den Weg.«
Wir schoben unsere Räder nebeneinander den steilen Weg hinauf, der von der Schule zur Straße führte. Wer nach sechs Schulstunden noch Kraft hatte, hier rauf zu trampeln, war vermutlich auf der Flucht vor einem schlecht gelaunten Lehrer.
»Ich habe eine Herleitung versucht«, sagte Anna. »Was für ein Spiel würde garantiert ein großer Erfolg werden?«
»Eins mit Bildern?«
»Lass mich ausreden«, sagte Anna. »Wer kauft Computerspiele? Atari-Besitzer. Was sind das für Leute?«
»Ich weiß nicht«, gab ich zu, »ich kenne keine.« In diesem Moment schaute die Sonne durch eine Wolkenlücke. Der steile Berg, der Regenmantel und die allgemeine Situation kurbelten meine Schweißproduktion ohnehin schon an. Jetzt auch noch die warme Frühlingssonne!
Tommy würde die Nase rümpfen, so sehr stank ich. Mit etwas Glück würde er sogar wegrennen.
»Halt mal an«, befahl Anna. »Ich glaube, ich habe es dabei.« Sie griff in die Schultasche auf ihrem Gepäckträger und wühlte darin herum. Zu meiner Verwunderung zauberte sie ein Homecomputer-Magazin hervor. »Da, siehst du den Typen hier?«
»Den auf dem Titelbild? Äh ja, er ist nicht zu übersehen.«
»Der Kerl ist ein typischer Atari-Besitzer.«
Ich sah genauer hin. »Okay, er sitzt vor einem VC 20, aber ich verstehe, was du meinst.« Der Mann auf dem Titelbild trug einen Pullover, eine Brille, einen Oberlippenbart und war vielleicht 30 Jahre alt.
»Was ich damit sagen will, ist: Du musst ein Spiel schreiben, auf das einsame junge Männer total abfahren.«
»Woher weißt du, dass er einsam ist?«
»Hätte er eine Freundin, wäre er anders angezogen.«
»Wirklich?« Ich sah automatisch an mir hinunter und fragte mich, ob auch ich andere Klamotten tragen würde, wenn ich eine Freundin hätte. Ich musste dringend mit Tommy darüber reden. Der kannte sich mit Mode aus. Behauptete er. Als unsichtbarer Freund kam er selten in die Verlegenheit, ein neues Hemd kaufen zu müssen.
Anna drückte mir die Zeitschrift in die Hand. »Überleg mal, was junge, einsame Männer noch so für Interessen haben könnten.«
»Außer Homecomputer?«
»Ja. Und ich meine weder Briefmarken noch Modelleisenbahnen.«
Ich hoffte, ich wurde nicht rot. »Du meinst ...«
Anna nickte. »Genau. Jeder junge Kerl möchte gerne ein hübsches, nacktes Mädchen sehen und dann am liebsten …«
»Ich nicht!«, beeilte ich mich zu versichern.
»Du kennst doch sicher Eis am Stiel ... Man sieht es an euren Blicken. Guck nicht so!«
»Tu ich gar nicht!«
»Ein Computerspiel, in dem ein nacktes Mädchen vorkommt, würde uns reich machen.«
»Uns?«
»Klar. Du programmierst das Spiel, und ich ...« Sie zuckte mit den Schultern.
»Du bist das Mädchen?«
»Denk nicht mal dran! Ich bekomme einen Anteil für die Idee.«
Ich malte mit dem Finger einen imaginären Kreis in die Luft zwischen uns. »Deshalb hast du mich gestern gefragt, wie man ein Bild in ein Programm bekommt.«
»Denk dir was aus. Hausaufgabe für Montag.«
»Und du findest ein Mädchen, das sich …« Aus irgendeinem Grund flüsterte ich, als ich fortfuhr: »… auszieht?«
Anna zeigte auf die Zeitschrift. »Hier drin sieht man, wie pixelig Computer-Bilder sind. Man kann gar nichts erkennen. Das meiste findet in der Vorstellung statt. Könnte bloß sein, dass der Programmierer dieses Spiels das Modell umständehalber nackt zu sehen bekommt. Motiviert?«
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Kein Mädchen der Welt würde … ich meine … ihr seid verklemmt und tragt weite Pullover und würdet euch nie freiwillig auch nur die linke Socke ausziehen, wenn ein Junge in der Nähe ist.«
Anna lachte. »Dann brauchen wir ein Modell von einer anderen Welt.«
»Das erklärt es natürlich: Du bist in Wirklichkeit Prinzessin