Froststurm. Jan-Tobias Kitzel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan-Tobias Kitzel
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Научная фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783957770615
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Sie nicht meine Intelligenz. Oder meine Kontakte.«

      Er nahm die Visitenkarte vom Terrassentisch. Melanie Griesinger. Eine Nummer. Eine nichtssagende Emailadresse. Kein Titel, keine Berufsbezeichnung. Eine schlichte, bei ihren Worten aber eher beeindruckende Geste.

      »Gut, hätten wir das also auch geklärt. Also, wie kann ich der unbekannten Schönheit helfen?«

      Sie lachte. Ein angenehmes Geräusch.

      »Ein echter Charmeur der alten Schule. Gefällt mir. Seien Sie nur nicht so kess zu meinem Boss.«

      »Ihr Boss? Ich dachte, Sie seien Ihre eigene Chefin.«

      »So in der Art. Dennoch habe auch ich eine Hand, die mich füttert. Es kommen harte Zeiten auf uns zu, Herr Born. Da sollte man sich seinen Futterspender warm halten.«

      »Weiß Ihr Chef, wie Sie über ihn reden?«

      »Alles andere würde mich verwundern. Aber lassen Sie uns zur Sache kommen. Sie haben mit Ihrer Rede Aufsehen erregt. Bei den richtigen Leuten. Wenn Ihre Forschungsergebnisse jetzt noch aussagekräftig sind und Ihre Expertise untermauern, hätte ich einen Job für Sie.«

      Unterbewusst wischte sich Sebastian die feucht gewordenen Hände an der Hose ab.

      »Für wen würde ich dann arbeiten?«

      »Tststs, immer einen Schritt nach dem anderen. Versorgen Sie mich erst mal mit Ihren Dateien. Dann sehen wir weiter.«

      »Ich kenne Sie doch gar nicht. Warum sollte ich Ihnen das anvertrauen, woran ich Jahre gearbeitet habe?«

      Eine kurze Pause in der Leitung.

      »Offensichtlich ist meine Anfrage nicht nur ein Test Ihres professionellen Könnens, Herr Born. Sondern auch Ihrer Menschenkenntnis. Es ist Ihre Entscheidung. Meine Mailadresse haben Sie ja. Ich erwarte Ihre Dateien. Andernfalls werde ich das ebenfalls akzeptieren und Sie nicht erneut kontaktieren. Es ist Ihre Entscheidung.« Dann legte Sie ohne jede Verabschiedung auf.

      Sebastian nahm einen Schluck seines nun nur noch lauwarmen Glühweins. Er hatte noch nicht genug getrunken, um ohne Nachzudenken auf den Senden-Knopf zu drücken. Er kannte die Frau nicht, wusste nicht, ob seine Forschungsergebnisse bei ihr in guten Händen waren.

      »Sei kein Idiot«, murmelte er vor sich hin. Er war arbeitslos, hatte seinen Ruf in der Szene für Jahre verbrannt. Und seine Dateien waren kaum zu missbrauchen. Wetterforschungen, Klimavoraussagen. Nichts für aufrüstungswillige Dritte-Welt-Diktatoren. Er ließ seinen Blick über das Umland schweifen, von der Dachterrasse seiner Eigentumswohnung hatte man einen netten Blick über sein Berliner Wohnviertel. Nicht die beste, aber auch nicht die schlechteste Lage. Er musste Arbeit haben, um die Wohnung abbezahlen zu können. Aber er wollte sich nichts vormachen. Mehr als das Geld reizte ihn, herauszufinden, für wen er bei Frau Giesinger arbeiten könnte. Und das Wiedersehen mit ihr. Er lächelte, nahm einen weiteren Schluck, zögerte einen Moment. Dann sendete er die Dateien.

      Der Duft nach Kaffee und Kuchen lag in der Luft, untermalt von leiser Jazz-Musik und dem vielstimmigen Gemurmel der Starbucks-Besucher. Sebastian nahm einen kräftigen Schluck seines Kaffees – nein, er korrigierte sich, seines »Grande Tall Latte Irgendwas mit Vanille« – und genoss, wie die warme Flüssigkeit seine Kehle hinunterrann.

      »Kaum zu glauben, oder?« Seine Mutter sah ihn erwartungsfroh an und Sebastian bemühte sich, schnell zu nicken. Mist, nicht aufgepasst.

      Sie lächelte ihm zu, beugte sich über den kleinen Couchtisch, der zwischen ihren Ledersesseln stand und streichelte ihm über die Wange. Sebastian musste sich bemühen, die Hand nicht wegzustoßen. Nicht in der Öffentlichkeit!

      »Was hast du eigentlich mit deinen Haaren gemacht? Du hattest doch so schöne Locken, wenn du sie halblang trägst. Ist kurz jetzt angesagt im Ministerium?«

      Sebastian schüttelte den Kopf. Die »Frisur«, wenn man die paar Millimeter mit der Maschine geschnitten so überhaupt nennen wollte, war wirklich gewöhnungsbedürftig. Aber sein Ding. »Nein, ist morgens einfach nur schneller.« Ein weiterer Schluck Kaffee gesellte sich zu seinen Brüdern und Schwestern im Magen. »Du weißt ja.«

      »Jaja, du hast keine Lust auf lange Bad-Sessions wie deine Schwester. Wann hast du eigentlich das letzte Mal mit ihr telefoniert?« Seine Mutter zögerte einen Moment und ein Ausdruck der Sorge schlich sich auf ihr bereits von einigen Altersfalten gezeichnetes Anfang-Sechziger-Gesicht. Wenigstens hatte sie die Haare heute vernünftig und nicht wieder diesen Topfschnitt mit »angesagten« lila Strähnen wie beim letzten Mal, als sie zusammengesessen hatten. Wie lang war das her? Ein halbes Jahr? Immer noch zu kurz. Nur in seinen wirklich guten Momenten konnte er sie an den Füßen haben. Ihre überfürsorgliche Art, ihre überschwängliche Freude über Kleinigkeiten. Sebastian krampfte sich ein Lächeln zurecht, das selbst ihm künstlich vorkam.

      »Letzte Woche, Mum.« Was sogar der Wahrheit entsprach. Mit Marie konnte man deutlich vernünftiger als mit Mutter sprechen. Beide hatten sich früh von den Eltern emotional abgenabelt. Bei dem ständigen Kleinkrieg im Elternhaus war das die einzige Methode gewesen, nicht allzu emotional vernarbt durchs Leben zu gehen. Dennoch hatte er manchmal das Gefühl, dies nicht vollständig genug getan zu haben. Oder zu spät. Manche Wunden brauchten lange, um zu verheilen.

      »Letzte Woche«, wiederholte er und seine Mutter beugte sich vor und tätschelte sein Knie.

      »Das ist schön. Ihr müsst Kontakt halten. Auch wenn es jetzt ein paar Kilometer sind, nach ihrem Umzug nach München!«

      »Ja, Mum, keine Sorge.« Wie kam er bloß aus der Angelegenheit halbwegs zügig raus? Was hatte ihn geritten, diesem Kaffeeplausch zuzustimmen? Ach ja, die unausgesprochene Androhung, ihm sonst täglich mit Emails oder Anrufen auf dem Anrufbeantworter ein schlechtes Gewissen einzujagen. Sebastian unterdrückte ein Seufzen und wischte sich die schwitzigen Handinnenflächen an der Jeans ab.

      »Und wie läuft es auf der Arbeit?«

      Sebastian hielt sich am Pappbecher fest und genoss die Hitze, die sich scharf in seine Haut brannte. Er zögerte den Moment des Abstellens hinaus, immer weiter und stellte den Becher erst weg, als seine Hände zu zittern begannen. Er sog den Schmerz auf, leitete ihn in sein Innerstes, hielt sich daran fest. Sein treuester Begleiter. Der, der ihm half, klar zu denken in bestimmten Momenten.

      »Mach dir keine Sorgen. Läuft.« Dass er arbeitslos war, hatte er ihr natürlich nicht erzählt. Auf ihr Mitgefühl konnte er verzichten.

      Das Klingeln eines altmodischen Telefons. Er sah den Apparat aus den Fünfzigern des letzten Jahrhunderts beinahe vor sich und musste grinsen. Nichts passte weniger zu einem modernen Handy, darum hatte er den Ton gewählt. Zügig zog er das Mobiltelefon aus der Hemdtasche und nahm den Anruf an, was ihm einen missbilligenden Blick seiner Mutter einbrachte.

      »Born.«

      »Griesinger hier, Herr Born. Schön, dass ich Sie erreiche.«

      Sebastian lächelte erneut. Der Tag endete vielleicht doch nicht so beschissen, wie er bisher gelaufen war.

      »Für Sie jederzeit.«

      Ein freundliches Lachen auf der anderen Seite der Leitung schickte ein warmes Kribbeln in Sebastians Magen.

      »Immer noch ein Charmeur. Ich mag Menschen, die sich vom Schicksal nicht entmutigen lassen. Wussten Sie, dass auf lange Sicht das Karma alles ausgleicht?«

      Nun war es an Sebastian, ein Lachen durch den Äther zu schicken, auch wenn es vielleicht etwas zynischer ausfiel, als gewünscht.

      »Ist dem so?«

      »Auf jeden Fall. Ich werde es Ihnen beweisen. Hätten Sie heute Abend Zeit für ein Treffen? Nur ein Wort der Warnung vorab. Es wird ein Gespräch über Ihre Forschungen. Wenn auch bei einem Glas Wein.«

      Da musste er nicht lange überlegen.

      »Jederzeit gern, Frau Griesinger. Jederzeit gern.«

      »Wunderbar.« Ehrliche Freude lag in ihrer Stimme. »Dann sagen wir heute Abend um acht bei Ramayana,