Abraham kam etwa 2000 Jahre vor Christi Geburt in der Stadt Ur, im heutigen Irak, zur Welt. Über die genaue Datierung streiten sich die Gelehrten; für unser Thema tut sie nichts zur Sache.
Sein ursprünglicher Name lautete „Abram“ – das heißt etwas flapsig übersetzt: „Vater ist der Beste“, genauer „Vater ist hoch“. Vielleicht hat es sein Vater genossen, wenn er nach einem langen Tag den Sohn zum Essen gerufen hat mit den Worten: „Vater ist der Beste!“
Dieser Vater, dem Abram seinen Namen verdankt, hieß selbst Terach und hatte noch zwei weitere Söhne. Aus irgendeinem Grund brach er eines Tages mit seiner ganzen Sippschaft von Ur auf, um ins Land Kanaan zu ziehen. Es wird nicht ganz klar, was ihn zu dieser einschneidenden Entscheidung veranlasst, aber an zwei Stellen (1. Mose 15, 7 und Apostelgeschichte 7, 2) berichtet die Bibel, dass Gott in Ur zu Abraham gesprochen und ihn auf die Reise geschickt hat. Vielleicht lässt sich es sich so zusammenreimen, dass Abram seinen Vater mit Erfolg dazu überredet hat, Ur zu verlassen – wir wissen es nicht genau.
Auf jeden Fall beschließt Terach, als das Sippenoberhaupt, mit seiner ganzen Familie nach Kanaan umzusiedeln. Das war ein anspruchsvoller Plan, denn es galt, gut tausend Kilometer Luftlinie zu überbrücken. Da Terach nicht mit Sack und Pack die arabische Wüste durchqueren wollte, folgte er einer der alten Handelsstraßen, die am Ufer des Tigris entlang führten.
Dieser Weg war zwar wesentlich länger, aber dafür sehr viel angenehmer und ungefährlicher.
Die Bibel erzählt uns, dass ihre Reise sie bis nach Haran führte. Das liegt im Süden der heutigen Türkei. Dort blieb die Sippe dann irgendwie hängen.
Es war nicht so, dass sie nicht mehr weiterkonnten, weil sie einen Unfall gehabt hätten oder zu schwach für die Weiterreise waren, sondern sie haben es anscheinend einfach aufgegeben, ihr Ziel weiter zu verfolgen. Stattdessen richteten sie sich in Haran häuslich ein – und es lässt sich erschließen, dass es ihnen dort ganz gut gegangen ist. Sie brachten es zu Ansehen und Wohlstand.
Für mich steckt darin eine handfeste Symbolik.
Kanaan, das ist das Land des Glaubens. Ur in Chaldäa ist die Hochburg des Heidentums. Nun spricht Gott einen Menschen an, der im Bannkreis des Aberglaubens lebt. Er sagt ihm: „Trenne dich von diesen Dingen und leb mit mir, dann wirst du es viel besser haben!“ Und tatsächlich setzt sich der Mensch in Bewegung. Er wagt einen gewaltigen Schritt. Er lässt alles hinter sich, was sein Leben bislang geprägt hat und geht los. Aber dann, etwa auf der Hälfte der Reise, erlahmen die Kräfte, die Begeisterung lässt nach. Er verliert das Ziel aus den Augen, sagt, „ach, was soll ich noch weiter gehen, hier ist es doch auch ganz nett“ – und richtet sich häuslich ein in Haran, im Lande der Halbherzigkeit.
Manch einer lässt sich ansprechen von Jesus. Er öffnet ihm sein Herz, sagt: „Ja, ich will es wagen, ich will zu Jesus gehören, ich will als Christ in dieser Welt leben“, und geht los. Er verlässt das Land des Heidentums. Er sagt sich los vom Aberglauben, er wirft seinen Talisman weg und die Tarotkarten und die Musik, von der er weiß, dass sie den Satan verherrlichen will; er trennt sich von alten Freunden, die mit Drogen und Geisterbeschwörungen zu tun haben, er lässt all diese Dinge hinter sich, die vorher sein Leben bestimmt haben und macht sich auf den Weg in das Land des Glaubens.
Anfangs läuft alles prima, er engagiert sich in der Gemeinde, er macht tolle Erfahrungen mit Gott, er erlebt, dass Gebete erhört werden – aber irgendwann erlahmt sein Schwung.
Die Wüstenzeit fängt an. Das ist oft so im Glauben. Nach einer anfänglichen Hoch-Zeit kommt unweigerlich eine Wüstenzeit, in der es darum geht, Geduld zu lernen. Gott prüft uns: „Was ist dir wichtiger, die Beziehung zu mir oder meine Geschenke? Bleibst du mir auch dann noch treu, wenn die Dinge schwieriger werden?“
Das ist hart, Gott scheint weit weg zu sein, nichts bewegt sich so recht und man beginnt sich zu fragen, ob man nicht einem gewaltigen Irrtum erlegen ist, als man beschlossen hat, Jesus zu folgen.
Gut, wenn man in solchen Zeiten eine Gemeinschaft hat, die einen trägt. Christliche Freunde oder ein Hauskreis oder erfahrene Christen, die einen ermutigen und immer wieder sagen: „Bleib dran, es lohnt sich, Wüstenzeiten gehen auch wieder vorbei!“
Die große Versuchung in solchen Zeiten besteht darin, sich in Haran niederzulassen, im Lande der Halbherzigkeit, und zu sagen: „Ach was soll’s, ich bin doch getauft und konfirmiert und sogar bekehrt, das können nicht viele von sich sagen, warum soll ich mich weiter abmühen? Es gibt noch andere schöne Dinge im Leben als den Glauben, auf die will ich mich jetzt konzentrieren.“ Oft sieht man in solcher Lage dann ein wenig herab auf die jungen Christen, die noch voller Begeisterung stecken: „Ja, ja, so war ich auch mal – aber glaubt mir, das gibt sich mit den Jahren!“
Haran ist ein gefährlicher Ort. Gerade weil es sich dort nett und bequem leben lässt. Es ist der Ort der Gleichgültigkeit, der Ort der Selbstrechtfertigung. Wer dort lebt, ist nicht Fisch und nicht Fleisch, ist nicht heiß und nicht kalt, er ist lau. Ungenießbar.
Abram hängt fest in Haran, wo sein Vater, das Oberhaupt der Sippe, die Reise zu Ende gehen ließ. Es geht ihm gut dort. Viele Jahre haben er und seine Familie an diesem Ort gelebt, haben sich eingewurzelt, nette Nachbarn gefunden und es zu Ansehen und Reichtum gebracht. Aber schließlich kommt der Tag, an dem Terach stirbt.
Kurze Zeit später hört Abram die Stimme Gottes: „Geh Abraham. Verlass deine Heimat und deine Verwandtschaft und geh in das Land, das ich dir zeigen werde!“
Dieser Auftrag ist die totale Zumutung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Abram gleich begeistert davon war. Wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre, hätte ich vermutlich erst einmal versucht, mit Gott zu diskutieren:
„Gott, das kann doch nicht dein Ernst sein!“
„Doch, das ist mein Ernst!“
„Woher weiß ich denn, dass es wirklich von dir kommt und nicht bloß meine eigene Einbildung ist?“
„Du weißt, dass es von mir kommt.“
„Aber wieso sollte ich das hier aufgeben? Alles was ich habe, sind Geschenke von dir, das kann doch nicht plötzlich alles schlecht sein!“
„Das ist auch nicht schlecht, aber jetzt sollst du es loslassen.“
„Aber es wäre die pure Verschwendung, alles aufzugeben, das kannst du doch nicht wollen!“
„Was ist dir wichtiger: ich oder meine Geschenke?“
„Dann sag mir wenigstens, wohin die Reise gehen soll!“
„Das wirst du noch früh genug erfahren. Fürs Erste möchte ich, dass du einfach die Schritte tust, die ich dir zeigen werde. Sieh nicht auf das, was du zurücklassen musst. Sieh auf meine Verheißungen!“
„Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Ich will dich zu einem großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“
(1. Mose 12, 2-3)
Gott verspricht Abram nichts weniger, als dass er zu einer Schlüsselfigur der Heilsgeschichte werden soll. Und wir können zweifelsfrei feststellen, dass dies auch eingetroffen ist. Noch 4000 Jahre später kennen Milliarden von Menschen den Namen Abrahams – während die Könige und Fürsten seiner Zeit, die sich für große Leute gehalten haben, längst vergessen sind. Oder kennen Sie den Namen eines sumerischen Potentaten?
Noch konnte Abram das nicht wissen. Er hatte nichts als das Versprechen, das Gott ihm gegeben hatte, und konnte nur hoffen, dass dieser sein Wort auch halten würde.
Er wusste nichts über Gott. Die Bibel war ja noch nicht geschrieben. Alles was Abram kannte, waren die heidnischen Kulte seiner Umwelt. In Ur und in Haran wurde der Gott des Mondes