Wenn wir morgen früh Petersburg, das auf den Norweger Peter Buschmann zurückgeht, der 1897 mit Sägewerk und Fischkonservenfabrik den Grundstein legte, gegen drei Uhr erreichen, werden wir sicherlich noch schlafen, denn der Ort ist ohnehin nicht aufregend. Es sei denn, man begeistert sich für seine große Kutterflotte, die mit etwa 400 Booten nicht nur Heilbutt anlandet, oder man möchte unbedingt das wunderschöne Panoramafoto vom „Hammer Slough“ haben. Lohnenswert ist Letzteres auf alle Fälle, doch braucht es auch die passende Tages- und Liegezeit. Jetzt werden wir vom Rest des wunderschönen Tages noch etwas an der Reling verbringen und die an uns vorüberziehende Natur genießen, in der das Bergmassiv der Coast Mountains mit seinen schneebedeckten Gipfeln und eisblauen Gletschern den Blick weit in die Ferne lenkt. Aber auch das Schiff selbst, seine Fahrt durch das klare Wasser unter uns und der bezaubernde Abendhimmel, dessen Färbung von Türkis bis zu hellem, klarem Blau ganz oben reicht, fesseln Gedanken und Blick. Dazwischen glänzen, von der tief stehenden Sonne angestrahlte, vereinzelte hohe Wolken in zartem Gelb-Rosa. Die leichte Brise, das eintönige Rauschen des durchpflügten Wassers und die fast greifbare Ruhe und Unendlichkeit fesseln ebenfalls. Derartige Momente beeindrucken, machen zufrieden aber auch nachdenklich und lassen vermuten, was die Suquamish-Indianer mit ihrem Sprichwort „ die Erde haben wir nicht von unseren Eltern geerbt, sondern von unseren Kindern geliehen“, gemeint haben könnten.
Gestern Abend habe ich meinen Wecker doch noch auf drei Uhr dreißig gestellt, denn die 37 Kilometer der kritischen Wrangell Narrows, die die Taku in den nächsten eineinhalb Stunden zwischen den Inseln Kupreanof und Mitkof passieren muss, wollte ich doch nochmals erleben. Die Passage wird sehr schnell gewaltig eng, und eine ganze Armada von Seezeichen weist den Weg. Oft bleiben nur eine schiffsbreite Rinne oder ein Slalom übrig, bei dem Bootsführer Kommandos schreien, mit langen Stangen hantieren oder Kuttersirenen aufheulen, um sich unserem Koloss gegenüber bemerkbar zu machen. Ich persönlich finde es grandios, wie sich die Taku „Schritt für Schritt“ durch dieses Gewirr aus Inseln und Stein windet, und danach sehr schön, dass ich mir nach der erheblichen Frische an der Reling die Bettdecke nochmals über die Ohren ziehen kann.
In Wrangell gehen nur wenige Leute von Bord, wir zum Frühstück, die drei oder vier LKW sind schnell verstaut, und nach kurzem Tuten drehen die Motoren der Taku schon wieder hoch. Für uns heißt das Fensterplatz, vor uns ein ordentliches Frühstück und sechs Stunden gemütliche Fahrt, mit Wald, Wasser und Inseln. Die Clarence Strait wirkt hier zwar wie offenes Meer, doch ist es immer noch die Inside Passage, und die hat heute zur Rechten das Prince of Wales Island, ein Paradies für Fischer und Wanderer, und hält kurz vor Ketchikan die Tongass Narrows bereit. Ketchikan, das sich auf schmalem Streifen zwischen Meer und Dear Mountain ausbreitet, hat im Zentrum neben Häusern auch „Straßen“ auf Stelzen, besitzt viele Totempfähle und kann sich über Regenmangel nicht beklagen. Nach wie vor lebt der langgezogene Ort von Fisch und Holz, und der Regenwald beginnt direkt hinter der Haustür. Das dritte Standbein, der Tourismus, hat sich aber schon gewaltig bemerkbar gemacht. Mit dem Flieger lässt sich auch von hier aus alles und schnell erreichen, von Anchorage bis Seattle, mit Haines, Juneau, Skagway oder ganz speziellen Attraktionen dazwischen. Ketchikan zeigt sich auch mit seinen Wasserflugzeugen, die ihre Rundfluggäste auch direkt abholen und längsseits der Kreuzfahrtschiffe landen, sehr geschäftig. Für uns spielen diese Möglichkeiten heute jedoch keine Rolle. Wir waren schon hier, wollen direkt weiter. Die eine Stunde Liegezeit reicht gerade aus, um von dem im Zentrum gelegenen Fährterminel 300 Meter über die Straße zum Supermarkt zu sprinten und für die nächsten beiden Tage Proviant einzukaufen. Was wir dort für fünfzehn Dollar bekommen – Wurst, Käse, Baguette, Croissants, Tomaten, Paprika, knackige Schwarzkirschen, Bananen und einen 6er-Pack Budweiser – war äußerst billig. Eintopf und Gebratenes zum Mitnehmen wurde auch angeboten, doch kostet eine Schüssel Chilibohnen mit viel Fleisch auf der Fähre auch nur 1.75 Dollar.
Im Schritttempo legt unser Schiff rückwärts wieder ab und wird in etwa sechs Stunden Prinz Ruppert erreichen. Momentan scheint Ebbe zu herrschen, denn die nassen Steine am Rand, über denen hohen Fichten wie Frontsoldaten zwischen Meer und Land in Reihe und Glied dem Wind trotzen, signalisieren, dass der Wasserstand in der letzten Stunde erheblich gesunken sein muss. Eine Rolle spielt das hier, wo uns im Revillagigedo Channel rechterhand die Inseln Anette und Duke als größere Gebilde begegnen, aber nicht. Auf der Westseite des Chatham Sounds wird sich uns noch Dundas Island zeigen und linkerhand auch der Südzipfel der im Tongass National Forest liegenden Misty Fjords National Monument Wilderness, deren 2,3 Millionen Acker völlig unerschlossen sind. Ab Ketchikan starten allerdings Wasserflugzeuge und zeigen Touristen, was unter ihnen zu sehen ist: Bis zu 300 Meter tiefe Fjorde, Granitwände, 1.000 Meter hoch und senkrecht abfallend, von Gletschern rund geschliffenen Berge der Boundary Ranges und Regenwald, in dem Sitkafichten und Hemlocks dominieren. In das Herz des Wildnisgebietes zieht auch ein langer und tiefer, von Tourbooten genutzter Wasserweg, während für die Benutzung der von der Forstverwaltung im Schutzgebiet unterhaltenen Hütten Führer und Seekajak unbedingte Voraussetzungen sind, um die mit Grizzlys, Schwarzbären, Maultierhirschen, Bergziegen, Elchen und Wölfen bestückte Wildnis sicher zu erleben.
Unterwegs hat es heute Nachmittag fast immer leicht geregnet, doch könnte der helle Himmel im Süden signalisieren, dass es morgen wieder besser wird. Mit dieser Hoffnung verdrücken wir uns in die Snack-Bar und bestellen zwei große Schüsseln Chilibohnen, die wir mit der Creme Fresh aus dem Supermarkt noch etwas aufwerten. Es ist letztlich ein guter Eintopf mit viel Fleisch und zwei Scheiben Toastbrot für jeweils 1.76 Dollar. Kostenlos ist allerdings das „Amüsement“ am Tisch gegenüber. Dort sitzen „zwei Vierecke“, die uns später erzählen, dass