Medica. Ernst Künzl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Künzl
Издательство: Автор
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Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783943904451
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Studium fort. Sie promovierte 1754 im Alter von fast 40 Jahren in Halle mit einer auf Latein verfassten Dissertation; ihre lateinisch gehaltene Dankesrede rühmte der Dekan als einer antiken Römerin würdig. Die ausnahmsweise erteilte Promotionserlaubnis kam direkt vom preußischen König Friedrich II. Frau Dr. Erxleben meisterte danach in Quedlinburg ein Leben als Ärztin, Pfarrersfrau und Mutter von neun Kindern (vier eigenen und fünf Stiefkindern). Die Universität Halle-Wittenberg ehrte sie mit einer bronzenen Bildnisbüste und mit einem seit 1994 vergebenen Dorothea-Erxleben-Preis für hervorragende medizinische Dissertationen oder entsprechende Leistungen (Abb. 1).

      Abb. 1 Dorothea Christiane Erxleben. Bronzebüste Universität Halle-Wittenberg, von Marianne Traube, 1994. Universitätsklinikum Halle-Kröllwitz, Foyer.

      Der Fall Erxleben war ein Monument persönlicher Tüchtigkeit und Integrität. Als Ärztin war sie ein historisches Versprechen an die Frauen der Zukunft, aber kein Zeichen einer konkreten Möglichkeit. Eben weil die Hochschulen den Frauen noch versperrt waren, konnte sie nur durch königliche Förderung ihren Weg finden. Die Ärztinnen des Altertums brauchten keine königlichen oder adeligen Wohltäter, denn sie hatten keine Universitätshürden zu überwinden. Die Hindernisse der Frauen im Altertum lagen in der rechtlich minderen Stellung der Frau allgemein, und an der hat kein Kaiser Roms etwas geändert – Heide oder Christ. Für Frau Dr. Erxleben war die Ausnahmeerlaubnis des Preußenkönigs entscheidend, der dabei die Rolle des fürstlichen Wohltäters spielte. Aber das war nur ein vorläufiges, einsames Zeichen am Himmel. Der nächste wirklich wichtige Schritt war dann der Aufstieg des Dritten Standes nach den Revolutionen zwischen 1789 und 1848, an dem die studierwilligen Frauen allerdings wieder erst mit einiger Verzögerung teilhaben durften.

      Der Erfolg moderner Ärztinnen ist umso bemerkenswerter, als man in Deutschland erst seit etwas mehr als hundert Jahren Frauen das Medizinstudium erlaubt. Den Geburtsjahrgängen der Zeit um 1850, die im Zweiten Deutschen Kaiserreich nach 1871 an die Universitäten hätten gehen können, war die medizinische Promotion noch nicht erlaubt. Die beiden deutschen „Fräulein Doctores“, Emilie Lehmus aus Fürth (1841–1932) und Franziska Tiburtius aus Rügen (1843–1927), promovierten 1875 und 1876 an der Universität Zürich, nicht in Deutschland.

      Dennoch war insgesamt die zweite Hälfte des 19. Jh. der Durchbruch. Frauen wurden an den Hochschulen zum Medizinstudium zugelassen, die Zeit der weiblichen Parallelwelten der Hebammen und Kräuterfrauen ging zu Ende. Das wilhelminische Deutschland war der letzte Staat des Abendlandes, der sich dazu durchrang: Erst 1899 ließ man in Deutschland Frauen zum Medizinstudium zu, und dies später als nicht nur in den USA (wo dies schon seit 1850 möglich war), sondern auch später als in Frankreich (1863), in der Schweiz (1864) und sogar später als in Griechenland (1890). Im Berliner Reichstag verursachte 1876 die Erwähnung der Möglichkeit von Ärztinnen minutenlange Heiterkeit.

      Wie rasch sich die Dinge in wenigen Jahren entwickeln konnten, verrät ein Schlaglicht auf die „Frauenfrage“ an der Harvard-Universität in Cambridge/USA. Als in Deutschland noch lange keine Rede davon war, dass Frauen Medizin studierten, sprach man in Harvard im Jahre 1878 bereits vom Problem einer zu starken Zahl von Frauen in der Medizin. Anderthalb Jahrhunderte später lag im Jahre 2012 der Frauenanteil unter den Medizinstudenten in Harvard bei ca. 50 %; die vorausschauende Sorge der Männer war begründet.

      Eine der unerfreulichen, unerwarteten und dennoch großen Chancen für Ärztinnen war der Erste Weltkrieg. Als die Welt des europäischen Adels in den Schlammfeldern Flanderns, den Gräben Verduns und den Weiten Galiziens zugrunde ging, waren die Frauen zur Stelle, in vorher unerhörter Weise die Rolle der Männer zu übernehmen. Das britische Women’s Hospital Corps richtete schon im September 1914 im Pariser Hotel Claridge ein Militärkrankenhaus ein, das nur verwundete Männer von der Front als Patienten aufnahm und das nur Frauen als Chirurginnen, Ärztinnen und Betreuerinnen aufwies. Andere Einrichtungen dieser Art kamen unter dem Zwang des Großen Krieges hinzu. Trotz aller Hindernisse konnte man nach 1918 nicht wieder auf den Status quo ante zurückkehren. Heute, hundert Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges, sind Ärztinnen zu einem bestimmenden Faktor des Medizinbetriebes geworden.

Der Weg der Griechen zur Medizin als Wissenschaft

      Das zweite Jahrtausend v. Chr. ist im modernen Geschichtssystem die Bronzezeit der Ägäis, die Epoche der kretisch-mykenischen Kultur. Für die Griechen war der Kampf um Troia bedeutende Geschichte, keine Legende, und es war – wie wir heute dank der Ausgrabungen Heinrich Schliemanns und seiner Erben wissen – der historische Kern in der Tat real. Troia war ein die Meerengen zwischen dem Schwarzen Meer und der Ägäis kontrollierender Staat, der mit den Mächten Griechenlands in Konflikt geriet und ihnen unterlag.

      Die beiden Epen Homers, die Ilias mit dem Kampf um Troia und die Irrfahrten des Odysseus in der Odyssee, entstanden im 8. bis 7. Jh. v. Chr., geben also eine Welt wieder, die seit vielen Jahrhunderten versunken war. Bei Homer vermischen sich Elemente, die aus der Vorzeit des 2. Jahrtausends stammen, mit solchen aus seiner Zeit. Die in der Ilias häufig sehr drastisch geschilderten Kriegsverletzungen wird man zum Mindesten auf ein Interesse des 8. Jh. v. Chr. an solchen Dingen beziehen dürfen.

      Der Kampf um Troia war ein Dauerthema der griechischen Kunst. Auf einer bemalten Keramik aus Athen in den Jahren um 500 v. Chr. erscheint Achilleus, der im Lager vor Troia eine Oberarmwunde seines Freundes Patroklos verbindet (Abb. 2). Es ist eine der ältesten medizingeschichtlichen Darstellungen der Geschichte. Achilleus legt einen kunstvollen, schneeweißen Verband an; die Wunde war eine sicher sehr schmerzvolle Pfeilverletzung: Der Pfeil wird links neben Patroklos’ Knie gezeigt.

      Hier handelte es sich um Kameradenhilfe und wir dürfen davon ausgehen, dass es wie zu allen Zeiten die erste Hilfe war, die ein Verwundeter auf dem Schlachtfeld bekommen konnte. Homer kennt freilich auch schon den Arzt als einen Berufsstand. Von Frauen ist dabei noch nicht die Rede; es sind Männerberufe, wie der Zimmermann, der Seher und der fahrende Sänger (Rhapsode). Der Arztberuf als Handwerk erscheint zuerst in der Odyssee Homers, wo ganz selbstverständlich „ein Arzt gegen die Übel“ in einer Reihe von Berufen aufgezählt wird.

      Abb. 2 Achilleus verbindet den von einem Pfeil getroffenen Patroklos, bemaltes Innenbild einer Keramikschale des sog. Sosiasmalers. 500/490 v. Chr. Dm. 17,8 cm. Berlin, Staatliche Museen, Antikensammlung.

      Dass der Kriegschirurg besondere Leistungen bieten musste, ergibt sich auch daraus, dass Homer als Ärzte an der Front vor Troia zwei Göttersöhne nennt, Machaon und Podaleirios, die Söhne des Heilgottes Asklepios. Asklepios‘ Tochter Hygieia trat erst später in Erscheinung, als man dem weiblichen Element größere Aufmerksamkeit widmete. Die meisten bei Homer in der Ilias geschilderten Kampfverletzungen waren tödlich, andere konnte man noch behandeln. Erwähnt wird die Pfeilwunde des getroffenen Menelaos, die der Arzt Machaon versorgt; in einem anderen Fall ist es Patroklos, der sich um die Pfeilwunde seines Kameraden Eurypylos kümmert.

      Eine prominente Frau mit medizinischen Kenntnissen bei Homer war keine Ärztin von Beruf, sondern Königin: Helena, Auslöserin des Krieges um Troia, kannte aus Ägypten ein kummerstillendes Heilmittel (phármakon). Dem wegen seines Vaters Odysseus bekümmerten Telemachos, der das Königspaar Menelaos und Helena in Sparta besuchte, gab sie ein Mittel gegen seinen Seelenschmerz. Helena mischte eine Droge in seinen Wein, welche ihn für eine Zeitspanne alles vergessen ließ, ein Mittel, welches man ihr aus Ägypten mitgebracht hatte, jenem Ägypten, „wo die Fluren gute wie schädliche phármaka in Mengen erzeugen“ (Homer, Odyssee 4, 229–230). „Dort (in Ägypten) ist jeder ein Arzt und übertrifft an Erfahrung alle Menschen“, behauptet Homer in der Odyssee (4, 231–232). Die hohe Meinung der Griechen von der Medizin der Ägypter war sprichwörtlich.

      Mit Helenas ägyptischer Droge im Wein für Telemachos hat Homer