Frage Der Osteopath sollte also bei der Untersuchung von Bewegung und Struktur in dieser Reihenfolge vorgehen?
Dr. Frymann: Ja, weil er in seinem eigenen Kopf zwischen Beiden unterscheiden muss. Es geschieht zu oft, dass wir als Osteopathen dazu tendieren, bei unserer Diagnose und der Behandlung automatisch vorzugehen. Wir halten nicht ein und fragen uns: „Wie steht es um das Gewebe dieses Patienten? Was sagen mir diese Gewebe?” Außerdem müssen wir dafür offen sein, das zu palpieren, was in diesem Moment in diesem Patienten vorgeht – nicht was uns die Bücher vorschreiben. All dies bedeutet eine Steigerung der Wahrnehmung in den Fingern, während sie auf dem Körper liegen.
Frage Sie haben einmal über ein besonderes „totes” Gefühl im Bereich des Thorax bei einem Patienten, der einen Herzinfarkt erlitten hatte, berichtet. Könnte das als Illustration dafür dienen, welche Art der Veränderung in der Funktion man erwarten könnte?
Dr. Frymann: Ja, aber ich denke, wir könnten das sogar noch weiter verallgemeinern. Ein Beispiel, das ich hierbei nützlich finde ist der Schock. Stellen Sie sich vor, jemand sitzt in seinem Auto an einem Stoppschild und ein anderes Auto fährt mit hoher Geschwindigkeit von hinten auf. Bei dieser Person ist dann der offensichtlichste palpatorische Befund die seltsame Empfindung einer Abwesenheit der inhärenten physiologischen Bewegung. Das hat nichts mit Verstauchungen oder Knochenbrüchen, Schnittwunden oder Blutergüssen zu tun; vielmehr ist es ein Gefühl der Trägheit, als hätte plötzlich alles angehalten.
Frage Würde dies sofort einsetzen? Wie lange würde es dauern?
Dr. Frymann: Sofort, ja. Es könnte über viele Monate lang andauern. Nach einem schweren Unfall kann man den Befund jahrelang wahrnehmen. Der gleiche Befund könnte auch bei einem emotionalen Schock auftreten, beispielsweise nach dem Tod einer, dem Patienten nahestehenden Person. Wie lange dies andauert, hängt davon ab, wie lange es dauert den emotionalen Schock zu überwinden. Ein Patient, der an der Trauer festhält, wird auch weiterhin körperliche Symptome haben.
Dies erklärt auch die Hartnäckigkeit diffuser Symptome nach einem Schleudertrauma. Von Anwälten wird es sarkastisch das „Schmerzensgeldsyndrom” genannt, aber das ist ein unmenschliches Urteil. Diese Leute sind krank. Sie können ihre Krankheit nicht definieren; sie erscheint weder in Röntgenaufnahmen noch in Labortests, aber man spürt sie. Sobald der Körper anfängt sich zu verändern, beginnt der Patient sich besser zu fühlen, egal ob der Fall vor Gericht geklärt ist oder nicht.
Frage Ist im Falle eines Myokardinfarktes das Gefühl von „Gewebe unter Schock” lokalisiert oder betrifft es den ganzen Körper?
Dr. Frymann: Meine Erfahrung erstreckt sich hauptsächlich auf Menschen, die den Infarkt vor Wochen oder Monaten erlitten hatten. Legt man hier seine Hände auf die Brustwand, entweder von vorne oder von hinten, ist es als wäre dort ein „toter” Bereich. Die inhärente Bewegung des Körpers ist sonst überall zu spüren, nur hier nicht. Lässt man die Hände dort, bis die Energiereaktion stattfindet, fühlt man, wie wieder Bewegung in den Bereich zurückkehrt.
Frage Welche Beziehung haben die anderen Sinne wie das Sehen, das Riechen und das Schmecken zur Palpation?
Dr. Frymann: Man sollte seine Augen für unerwartete Veränderungen bei dieser Person offen halten, z. B. bezogen auf Farbe, Form, Symmetrie, Hautveränderungen. Es gibt auch spezielle Gerüche bei gewissen Patienten, die diagnostisch sehr wertvoll sein können, wie z. B. bei einer diabetischen Ketose. Es ist sehr wichtig, darauf zu hören, was ihnen ein Patient sagt. Ich habe schon oft zu einem Patienten gesagt: „Was ist Ihrer Meinung nach die Ursache für dieses Problem?” Worauf mir geantwortet wurde: „Also ich habe den Ärzten erzählt, was ich denke und sie haben gemeint, das hätte ganz und gar nichts damit zu tun.” Gewöhnlich antworte ich darauf, „Ich hätte gerne, dass Sie es mir erzählen, weil es wichtig sein könnte.”
Frage Ist das die Führung, die ihnen sagt, wie und wo Sie palpieren?
Dr. Frymann: Möglicherweise. Aber es kann dabei helfen, das, was man fühlt, zu interpretieren. Ich hatte z. B. einen Patienten, der wegen starker Kopfschmerzen zu mir kam, unter denen er seit dem letzten Krieg gelitten hatte. Seine Anamnese ergab, dass die Kopfschmerzen ganz plötzlich begonnen hatten – dass er einmal mit Kopfschmerzen aufgewacht war und seitdem praktisch ständig darunter gelitten hatte. Ich fragte ihn nach seiner Meinung und er berichtete: „Also die Schulmediziner sagen ja, dass das nichts damit zu tun habe, aber ich stand mit meinem Jeep an einer Kreuzung, als ein Auto mit hoher Geschwindigkeit in meine Seite fuhr.” In jedem Teil seines Körpers war ein lateraler Strain spürbar und es gab eine einfache Erklärung dafür. Da die Ärzte, bei denen er vorher war, nicht darin geschult waren diese Kraft wahrzunehmen, konnten sie den Unfall nicht damit in Verbindung bringen.
Frage Sie haben gerade den Begriff „Kraft” verwendet, statt „struktureller Befund.” Würden Sie auch hier von Funktion sprechen statt von Struktur?
Dr. Frymann: Nein. Das ist eine andere Art der Palpation. Es gibt viele verschiedene Dinge, die man im Körper palpiert. Eine davon, die vielleicht einen weiteren Schritt beim Erlernen der Palpation darstellt, ist eine Kraft, die auf den Körper gewirkt hat. Legt man seine Hände irgendwo auf den Körper und belässt sie dort, bis man sich voll auf das, was vor sich geht, eingestimmt hat, beginnt man plötzlich diese Kraft direkt aus dem Körper zu fühlen. Es ist, als würde der Körper in die Richtung der verletzenden Kraft zu einem Punkt jenseits und außerhalb des Patienten getragen. Man folgt ihr bis zu ihrer äußersten Grenze und die Kraft kehrt langsam in den Körper des Patienten zurück; dann verschwindet das Gefühl, das oft von Patienten als „zerstreut” oder „durcheinander” beschrieben wird.
Frage Es verschwindet …?
Dr. Frymann: Sobald diese Kraft gelöst wurde.
Frage Haben Sie in der Zwischenzeit irgendetwas anderes getan, als Ihre Hände in der Position zu halten?
Dr. Frymann: Ja, aber nichts, das von Außen sichtbar oder objektivierbar wäre. Aber Sie befreien gewissermaßen diese Energie, die in diesem Organismus eingeschlossen war. Um das zu finden, muss man nur offen bleiben. Vor ein paar Jahren unterrichtete ich einen Kurs für eine Gruppe von Schülern, die ihr zweites Jahr begannen. Am ersten Morgen bat ich sie, sich gegenseitig zu palpieren und die Ergebnisse zu berichten, damit ich beurteilen konnte, was sie seit dem letzten Jahr gelernt hatten.
Einer der Schüler sagte: „Ich verstehe das nicht, aber dieser ganze Kopf fühlt sich so an, als würde er sich in einer rechten Diagonale bewegen und ich habe so etwas noch nie gespürt.” Ich erwiderte daraufhin: „Vielleicht hat er dir nicht erzählt, dass er gestern auf dem Nachhauseweg einen Autounfall hatte.” Wir hatten noch nie über diese Kräfte gesprochen, aber dieser Schüler war bewusst und objektiv genug um zu berichten, was er fühlte, obwohl er es nicht verstand.
Frage Ist das etwas, das jeder Behandler lernen kann oder ist es eine besondere Sensitivität, die nur manche haben?
Dr. Frymann: Ich denke, dass das Erlernen der Palpation für manche leichter ist als für andere, genauso wie es manchen leichter fällt Klavierspielen zu lernen. Aber jeder kann eine ganze Menge lernen und die Meisten können sehr viel lernen, wenn sie sich wirklich bemühen.
Frage Die Wahrnehmung einer Kraft oder Richtung – würde nicht bei jedem Patienten etwas dieser Art auftreten? Nicht jeder hatte einen Autounfall aber fast jedem von uns ist schon einmal etwas ziemlich Schlimmes passiert.
Dr. Frymann: Wenn es eine beträchtliche Kraft war, wird es sich zeigen. Es löst sich nach und nach mit der Zeit auf. Wenn Sie sich beispielsweise aufrichten und sich kräftig oben am Kopf an einer Schranktür anstoßen würden und Sie innerhalb von einer oder zwei Wochen zu mir kämen, könnte ich wahrscheinlich diese Kraft, die von oben durch ihren Kopf