Nachdem ich mich von der bitteren Enttäuschung, nicht mehr tanzen zu können, erholt hatte, galt mein einziger Gedanke der Osteopathie. Aber es waren die Jahre der Wirtschaftskrise und mein Vater sah keine Möglichkeit für mich diesen Beruf zu ergreifen, also begann ich ein wissenschaftliches Studium. Dann kam der Krieg und die osteopathische Schule in England wurde geschlossen. Nun schlug mir mein Vater vor zunächst Medizin zu studieren, damit ich rechtlich in der Lage wäre alle Bedürfnisse meiner Patienten zu erfüllen, statt mit den Einschränkungen eines Osteopathen in England leben zu müssen.
Nach Abschluss meines Medizinstudiums und nach einer medizinischen/chirurgischen Facharztausbildung strebte ich eine Zusatzausbildung im Bereich der Geburtshilfe an. Gerade zu dieser Zeit kamen alle Männer aus dem Krieg zurück und die wichtigste Weiterbildung, die sie für die Allgemeinärztliche Praxis brauchten, war Geburtshilfe. Bei jedem Vorstellungsgespräch wurde ich gefragt: „Haben sie im Krieg gedient”? Nach 22 Absagen, fragte ich mich, ob dies vielleicht ein Zeichen sei, dass ich etwas anderes machen sollte.
Als ich im British Medical Journal blätterte, sah ich eine Anzeige des homöopathischen Krankenhauses und begann daraufhin dort ein praktisches Jahr. In dieser Zeit begann ich ernsthaft darüber nachzudenken, wie ich es schaffen könnte osteopathische Medizin zu studieren. Ein befreundeter Osteopath sagte zu mir: „Um eine angemessene Ausbildung zu bekommen, musst du in die Vereinigten Staaten gehen”. Nach einiger Zeit schrieb ich mich am College of Osteopathic Physicians and Surgeons in Los Angeles ein, ohne etwas über diese oder irgendeine der Schulen zu wissen.
Zur Vervollständigung meiner persönlichen Chronik: als ich meine Ausbildung abschließen und nach England zurückkehren sollte, traf ich meinen Mann und nach unserer Heirat lebte und praktizierte ich in LaJolla in Kalifornien.
Zu Beginn meines Studiums im College in Kalifornien anfing, war ich bitter enttäuscht. Sehen Sie, meine Erfahrungen in der Osteopathie waren mit Menschen gewesen, die Osteopathie praktizierten. Unser Osteopath zu Hause benützte seine Hände; es gab ja nichts, was er sonst hätte benützen können – und er behandelte alles. Aber während der ersten sechs Monate in Los Angeles sah ich keine einzige Behandlung im College. Es gab jedoch einen Osteopathen aus Honolulu, der die nötigen Stunden absolvierte, um seine kalifornische Lizenz zu bekommen. In der Zeit, die wir in der Klinik verbringen mussten, lehrte er mich osteopathische Manipulationstechniken.
Dann sah ich die Ausschreibung eines Wettbewerbs der American Academy of Osteopathy für die beste Abhandlung. Das erste Thema war, wie ich mich erinnere, die Auswirkungen osteopathischer Läsionen auf Herzerkrankungen.
Also begann ich die Bibliothek nach alter osteopathischer Literatur zu durchforsten. Ich schrieb mein Manuskript fertig und wurde dadurch mit Dr. Thomas L. Northup bekannt, der eine große Inspiration für mich werden sollte. Im folgenden Jahr schrieb ich eine weitere Arbeit für den Wettbewerb der Akademie, diesmal über Nierenerkrankungen.
Nach meinem Abschluss wurde ich zu einem Kurs in der Akademie eingeladen. Das war mein erster Kurs, den ich in traditioneller Osteopathie hatte; es war der Einführungskurs der Academy of Applied Osteopathy, der Vorgängerorganisation der American Academy of Osteopathy, welcher darauf ausgelegt war, die mechanischen Prinzipien der vertebralen Gelenkbewegung zu unterrichten.
Frage Wie hat sich Ihr Interesse an der Palpation entwickelt – die Fähigkeit, die Sie in solch außerordentlichem Maße entwickelt haben?
Dr. Frymann: Das war eine langsame Entwicklung. Es begann, glaube ich, mit einem Kurs in Kranialer Osteopathie, an dem ich 1952 in Denver teilnahm. Ich hatte mich nur dafür angemeldet, weil ich eine Patientin mit Nasen-Nebenhöhlen-Beschwerden betreute und ich es nicht mehr hören konnte, wenn sie sagte: „Ich wünschte, Sie könnten mich so behandeln wie Dr. Schooley, als ich in Phoenix war”.
Während dieses Kurses hielt Dr. Sutherland jeden Tag einen Vortrag. Im ersten davon sprach er über das Erbrechen bei Neugeborenen und wie es in vielen Fällen mit nur einer Behandlung behoben werden könne. Ich hatte erst im Jahr zuvor ein Baby mit dieser Symptomatik verloren; eine Autopsie ergab jedoch weder eine Pylorusstenose noch irgendeine andere anatomische Ursache für die Symptome. Doch während dieses Vortrags erinnerte ich mich, dass mein Baby einen etwas verformten Hinterkopf gehabt hatte.
Als ich wieder zu Hause war, konnte ich es kaum erwarten einige Neugeborene zu untersuchen, um herauszufinden, ob das, was Dr. Sutherland gesagt hatte, wirklich der Wahrheit entsprach. Nachdem ich mich ungefähr sechs Wochen lang bemüht hatte die kranialen Techniken zu beherrschen, bekam ich die Erlaubnis ein paar Neugeborene im osteopathischen Krankenhaus in San Diego zu untersuchen. Zu meiner großen Bestürzung konnte ich gar nichts fühlen, als sie die Neugeborenen vor mich hinlegten: Ich dachte, ich hätte zu diesem Zeitpunkt bereits angemessene Fertigkeiten bei der Behandlung von Erwachsenen erworben, aber der Kopf eines Neugeborenen ist so viel kleiner. Obwohl das relative Bewegungsausmaß größer ist, ist das tatsächliche Bewegungsausmaß kleiner.
Aber Neugeborene sind erstaunlich kooperativ. Sobald die Läsion im Kopf eines Neugeborenen gelöst wird, entspannt es und sein Weinen und Schreien sind mit einem Mal vorbei. Auch wenn die Veränderung im Kranium vielleicht nicht fühlbar ist, ist das Ergebnis deutlich zu sehen.
Nach und nach bekam ich das Gefühl ein bisschen über die Köpfe von Neugeborenen Bescheid zu wissen. Aber das war eine sehr langsame Entwicklung. Wir gründeten eine Studiengruppe in Los Angeles für alle, die an den kranialen Kursen teilgenommen hatten. Es dauerte nicht lange, bis mir klar wurde, dass die meisten, die das kraniale Behandeln erlernen wollten, nur durch ihr Unvermögen zu palpieren daran gehindert wurden. Egal wie sehr man die Philosophie versteht oder über die Anatomie Bescheid weiß, wenn man nicht fühlen kann, was vor sich geht, ist man extrem eingeschränkt.
Also begann ich nach einem Weg zu suchen, die Palpation zu unterrichten. Jedoch konnte ich nirgendwo in der osteopathischen Literatur etwas darüber finden, wie man palpiert – nur darüber, was palpiert werden soll.
Eines Tages sprach ich zufällig darüber mit dem Musiklehrer meiner Tochter und er meinte: „Ich habe genau das richtige Buch für Sie. Es heißt The Visible and Invisible in Piano Technique von Tobias Matthay (Oxford University Press, 1932 und 1947)”. Dieses Buch erwies sich als Meisterwerk in der Kunst der Palpation, da Matthay genau lehrt, wie der Musiker die Tasten berühren soll, um eine bestimmte Reaktion zu erzielen. Er bespricht nicht nur, was an den Fingerspitzen passiert, sondern was im gesamten Arm vor sich geht. Er betont, dass man eine ganze Reihe von Muskelbewegungen erlernen muss, die durch den Arm gehen, um eine bestimmte Resonanz in der Fingerspitze hervorzurufen.
Nachdem ich begann dies zu lernen und umzusetzen, merkte ich, dass man nicht nur etwas fühlen muss, sondern auch beobachten muss, wie man fühlt: „Was mache ich mit meiner Hand, meinem Ellbogen und meiner Schulter, wenn ich eine bestimmte Bewegung im Körper fühlen möchte”? Auf diese Weise beginnt man die Finger – ja den gesamten Mechanismus – zu trainieren, sich auf eine bestimmte Ebene im Körper des Patienten einzustimmen.
Frage Also machen Sie in Wirklichkeit zwei Dinge: Gedanklich halten Sie die Befunde im Körper des Patienten fest und sind sich dabei dessen bewusst, was in Ihrem eigenen Körper vor sich geht.
Dr. Frymann: Ja. Wenn unerfahrene Schüler die Palpation erlernen, lernen Sie zunächst wie man Struktur palpiert. Man fühlt die Oberfläche der Haut, ihre Beschaffenheit, Temperatur, Feuchtigkeit usw. Dann lernt man, sich auf die Funktion in diesem Bereich einzustimmen. So kann es sein, dass man z. B. bei der Palpation des Thorax eine Rippe palpiert und dabei ein Gefühl für ihre Position, Richtung, Beschaffenheit usw. bekommt. Belässt man dann die Hand an derselben