Während ich also trotz meiner Froschaugen in der Gemeinde akzeptiert wurde, waren die Wut und der Zynismus, die sich in mir infolge dieser Froschaugen angestaut hatten, ganz und gar „nicht christlich“. Meine neu entdeckte Vorliebe für das Wort „Bullshit“ zum Beispiel war nicht christlich. Der Punkrock bewies mir, dass es da draußen noch andere Leute gab, die auch schreien und einen draufmachen wollten, und das veränderte mein Leben. Aber auch Punkrock, Schreien und einen draufmachen waren – nicht christlich. Und damit war ich nicht christlich.
Ich setzte meinen unchristlichen Weg fort, indem ich sechs Monate vor meiner Augenoperation anfing zu trinken. Wenn wir dann vier Jahre vorspulen, war ich eine nun nicht mehr froschäugige Neunzehnjährige mit lila Haaren, einem Alkoholproblem, einem Einstellungsproblem und einem Kein-Tagohne-Joint-Problem.
Die meisten Gleichaltrigen waren inzwischen auf dem College. Ich hatte das auch versucht, war aber schon nach vier Monaten gescheitert. Mit meiner Fähigkeit, zu trinken „wie ein Mann“, hatte ich zwar bei den Verbindungsstudenten mächtig Eindruck gemacht, aber ich hatte es nicht geschafft, mich auch mal im Hörsaal blicken zu lassen. Erst später dämmerte mir, dass es zwischen diesen beiden Dingen vielleicht einen Zusammenhang gab.
Nach meinem eher mittelmäßigen Schulabschluss hatte ich mich, sozusagen, in die Pepperdine-Universität hineingeschmeichelt. Genau genommen war das eine Hochschule der Church of Christ, aber da sie sich in Kalifornien befand und nicht in einem richtigen christlichen Staat wie Texas oder Tennessee, war sie den Traditionalisten suspekt. Bedenkt man, wie die Gemeinde über „gemischtes Baden“ dachte – Jungen und Mädchen gleichzeitig im selben Schwimmbad –, muss ihnen eine Hochschule der Church of Christ im Strandparadies Malibu ähnlich widersinnig vorgekommen sein wie ein amisches Internat auf dem Strip in Las Vegas.
Nach meinem kurzen Ausflug aufs College ging ich zurück nach Denver. Nachdem ich dort ein paar Monate lang in einem schicken mexikanischen Restaurant mit vernachlässigbarem Essen Teller gewaschen hatte, traf ich Scotty, einen neunzehnjährigen Kiffer mit langem Kreuz und großem Herzen, der eine Wohnung in der Albion Street hatte und sagte, da könne jeder unterkommen. Keine Woche später half Barb mir beim Einzug.
An dem Abend, als ich einzog, deutete meine Schwester von der offenen Wohnungstür aus auf den versifften Küchentresen, eine riesige grüne Bong, ein Zimmer voller Matratzen auf dem Fußboden und einen Kerl, der auf einem zerfledderten Sofa schlief. „Schätzchen“, flüsterte sie, „ist das dein Ernst?“
Wir haben nun mal nicht alle das Zeug zur Akademikerin, Barb, dachte ich im Stillen.
Die Wohnung wurde rasch zu meinem Heim und die Leute dort meine Ersatzgemeinschaft. Wir teilten unsere Drogen redlich und versuchten, dafür zu sorgen, dass jeder etwas zu essen bekam. Schon vor meiner Ankunft hatte jemand einen blaugelben „Sag-nein-zu-Drogen“-Aufkleber auf die über einen Meter lange Fiberglas-Bong im Wohnzimmer geklebt. Sie stand an einer nikotinvergilbten Wand, an der ein „Reaganstein“-Poster hing (Ronald Reagan mit grünem Gesicht und Bolzen im Kopf, die Arme drohend erhoben). Gekocht wurde nicht viel in der Wohnung, höchstens mal eine Packung Ramennudeln. (Und einmal briet jemand eine Klapperschlange; eine dieser Suffaktionen, um die Mitbewohner bei Laune zu halten und allen Konventionen zu trotzen. Sie vergammelte, bevor jemand – ich war es nicht – auf den schlauen Gedanken kam, sie auf den Müll zu schmeißen.) Wir nannten unsere Schmuddelbude „Albion Babylon“.
An meinem ersten Abend in Albion Babylon packte ich meine Habe aus und merkte bald, dass die Apfelkiste das einzige Möbelstück war, in dem ich meine Sachen verstauen konnte. Also stellte ich sie auf die Seite wie einen kleinen Geschirrschrank und stapelte darin alles so ordentlich auf, wie es eben ging. Dann nahm ich einen schwarzen Markierstift, zeichnete einen Kreis um den Apfel und überlegte, ob ich ein Friedens- oder ein Anarchiesymbol daraus machen sollte. Frieden. Nein … Anarchie. Ich versuchte, beides zu kombinieren, sodass es schließlich aussah wie irgendein Emblem aus Star Trek. Die alte Matratze auf dem Fußboden bedeckte ich mit einem fröhlich gelb geblümten Laken und meiner Bettdecke. Ich war so dankbar dafür, einen Platz zum Schlafen zu haben, der nicht mit lauter Erwartungen an mich befrachtet war wie mein Elternhaus, mein Wohnheim an der Pepperdine oder, Gott behüte, die Church of Christ.
Doch trotz all dem Blödsinn dort und der Versessenheit darauf, gut zu sein, und der Ausgrenzung von Leuten, die nicht auf deren spezielle Weise „gut“ waren, war die Church of Christ, in der ich aufwuchs, doch eine Gemeinschaft. Als Gemeindeglieder teilten wir unser Leben miteinander. Dreimal in der Woche versammelten wir uns in einer großen Schar zum Gottesdienst, um zu singen, zu beten und miteinander Abendmahl zu feiern. Und während der übrigen Woche verbrachten wir unsere Zeit mit Leuten aus der Gemeinde. Insbesondere das Haus meiner Eltern war ein beliebter Treffpunkt. Immer aßen irgendwelche Leute mit an unserem Tisch, schliefen auf unseren Sofas und studierten in unserem Wohnzimmer die Bibel.
Einmal stand ein junges Pärchen bei uns auf der Matte. „Wir sind Freunde von den Slaters aus Detroit und gerade auf Durchreise in Denver. Sie haben gesagt, wir könnten vielleicht hier übernachten.“
„Zieht euch ein Sofa aus“, sagten meine Eltern dann. „Hier habt ihr ein paar Handtücher. Helft ihr mir beim Karottenschälen?“
So ging es bei uns zu Hause zu, und es war irgendwie schön. Doch so wie jedes andere Kind auf unserem Planeten merkte ich erst viel später, wie komisch meine Familie eigentlich war. Im Gegensatz dazu, wie ich über den christlichen Fundamentalismus dachte, von dem ich mich bald trennen würde, habe ich nie aufgehört, diese geistliche Merkwürdigkeit der Gastfreundschaft und Gemeinschaft zu schätzen. Und ohne es zu merken, verbrachte ich die nächsten zehn Jahre mit dem Versuch, mir selbst so eine geistliche Gemeinschaft zu erschaffen. Nur war ich auf der Suche nach einer Gemeinschaft, in die wirklich alles an mir hineinpasste.
Kurz, ich war begeistert davon, dass ich Albion Babylon gefunden hatte. Wir fühlten uns wie eine Gemeinschaft. Wir lachten jede Menge in unserem ebenerdigen Apartment, tranken um die Wette und gingen nicht oft vor die Tür. Scotty, der Typ aus dem mexikanischen Restaurant, hatte schon einen Entzug hinter sich. Einmal zeigte er mir ein Buch, dass er angefertigt hatte: eine Art Sammelalbum in einem braunen Umschlag mit Fotos, Zeichnungen und Texten. Das war so ein Selbsterkenntnisprojekt, das er in der Therapie hatte machen müssen. Jetzt versteckte er sein Gras darin. Ich liebte ihn wegen seiner Gedichte und Bilder, und weil er Gras in seinem Patientenalbum aufbewahrte. Es kam mir vor wie ein schallendes „Leckt mich“ an seine Eltern, die sich „solche Sorgen“ um ihn machten.
Daraufhin machte ich mir auch so ein Buch: eine Zeichnung, ein schlechtes Gedicht, eine Liste meiner Helden, meiner Fehler und meiner Stärken. Helden: 1. Jesus Christus, 2. Che Guevara. Stärke: Humor. Fehler: Weglaufen. Ich notierte, Jesus sei ein echter Revolutionär gewesen, und das Christentum hätte leider seinen Ruf ruiniert. Meine Ziele mit neunzehn waren: mehr zu reisen, in einer Kommune oder irgendwie gearteten verbindlichen Gemeinschaft zu leben und durch revolutionäres Handeln zum Weltfrieden beizutragen.
Als mit der Zeit zwei weitere Mitbewohner zu uns stießen, beschlossen wir, uns ein Haus zu mieten, ein Ranchhaus aus hellen Ziegeln an der Humboldt Street, ganz in der Nähe der Iliff School of Theology. Dort würde ich später einmal studieren, aber damals bemerkte ich sie überhaupt nicht. Im Humboldthaus, unserem neuen Zuhause, fühlten wir uns alle frei von Einschränkungen und Konventionen und Bemutterungsversuchen unserer Eltern, und einen Garten hatten wir auch.
Meine Freunde und ich hatten nun also ein richtiges Zuhause, und während der Typ mit den gelichteten Zahnreihen aus Alabama in einigen Zimmern Hydrokulturen für unser Gras anlegte, beschloss ich, mich um die traditionelleren Haushaltstätigkeiten zu kümmern. Ohne die leiseste Ahnung vom Brotbacken oder von der Gemüsegärtnerei