Gewürze aus dem Alten Rom. Günther Thüry. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günther Thüry
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783961760411
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Spezialitäten wie etwa die Aalquappe, der Wildkarpfen oder die im Süden verschmähten Froschschenkel dazu.24

      So mündete der „Küchenkrieg“ zwischen mediterranen und einheimischen Traditionen in den „Friedenszustand“ einer Koexistenz. Die Küche der römischen Provinz war das, was man neuerdings mit dem Modewort der „Fusionsküche“ bezeichnet: ein Nebeneinander und gewiss eine Vermischung mediterraner und regionaler Traditionen. Dabei sind Gerichte und kulinarische Produkte aus den Provinzen nicht nur regionale Spezialitäten geblieben, sondern fanden gelegentlich auch ihren Weg nach Italien.25

      Ein solcher Austausch zwischen Traditionen verschiedener Herkunft ist ein Motor des kulinarischen Wandels. Die Veränderungen in der Küchenkultur Italiens, die wir weiter oben verfolgt haben, sind ja ein eindrucksvolles Beispiel dafür.

      DIE „RÖMISCHE KÜCHE“ IM SINN DIESES BUCHES

      Die vorausgehenden Abschnitte zeigen: wie wir die römische Küche zu charakterisieren haben, hängt sehr davon ab, welche Küche wir denn meinen. Präzisieren wir also, dass es in diesem Buch um hauptsächlich diejenige Spielart römischer Ernährung geht, die sich in den Rezepten des sogenannten Apiciuskochbuchs und der Vinidarius-Exzerpte niederschlägt. Diese Rezepte spiegeln aber weder die Ernährungsweise des ältesten Rom noch die der armen Menschen noch die der Provinzbewohner wider; sie stehen in erster Linie für die gehobenere Kochkultur Italiens in der römischen Kaiserzeit. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht auch in den Provinzen nach ihnen gekocht haben kann. Wer sich auf die Küche dieser Rezepte einlassen möchte, der muss sich vor allem an drei Besonderheiten römischen Kochens gewöhnen:

      • Zum einen an das Fehlen mancher uns heute geläufiger Gerichte, Beilagen und Zutaten. Die Antike hatte zum Beispiel – wie schon einmal erwähnt – noch keine Grapefruit und ebenso keine Ananas (gegenteilige Behauptungen über die Ananas gehen auf eine falsche Deutung eines pompejanischen Wandbilds zurück). Sie kannte auch noch keine Kartoffeln, keinen Spinat und nicht unsere Grünen Bohnen; sie musste ohne Tomaten, Paprika und Auberginen auskommen; sie verwendete kaum Reis (außer gelegentlich als Bindemittel); und sie hatte zwar vielerlei Sorten von Mehlspeisen zu bieten, aber noch keine Vanille, keine Schokolade, keine Schlagsahne und kein Speiseeis. Und schließlich, dass wir es nicht zu erwähnen vergessen: Wer meint, eine in Italien entwickelte Küchenkultur müsse doch wohl immer schon Nudelgerichte und Pizza geliebt haben, der irrt. Soweit Derartiges vorhanden war, scheint es zumindest keine wichtige Rolle gespielt zu haben.26

      • Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass die noch so vieles entbehrenden Römer auch viele Produkte kannten, die in der heutigen Küche fehlen. Zu solchen speziell römischen Lebensmitteln, die es heute gar nicht mehr – oder so gut wie gar nicht mehr – gibt, gehören beispielsweise die Gemüsepflanzen Ackerwinde, Doldentraubiger Milchstern, Gespenst-Gelbdolde oder Pfeilkresse (wobei sich aber ein ganzer Katalog mit einer zweistelligen Zahl solcher heute „vergessenen Gemüse“ aufstellen ließe); bei den Früchten die Brustbeere oder die Maulbeere; oder bei den Nahrungstieren die Purpurschnecke, der Siebenschläfer und der Papagei.27 Während man auf die Erprobung von Papagei- und Siebenschläfer-Rezepten aus Tierschutzgründen verzichten wird, lassen sich andere der ungewöhnlich gewordenen Lebensmittel aber durchaus beschaffen. Die Zahl der Gerichte, die sich wegen der Veränderungen in der Speisekammer gar nicht mehr nachkochen lassen, fällt nicht wirklich ins Gewicht.

      • Die wichtigste Besonderheit der römischen Küche ist aber ihre spezielle Würzweise. Dieser dritte und bedeutendste Punkt steht ja im Zentrum unseres Buches. Die folgenden Kapitel werden darauf eingehen.

      UND WIE WÜRZT MAN „RÖMISCH“? DAS „GEHEIMNIS“ DER ANTIKEN KÖCHE

      G. E. THÜRY

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      Abb. 13 Olivenbäume in den Ruinen des römischen Thugga (heute Dougga, Tunesien).

      Die Wahl und Verwendung der Würzstoffe – oder lateinisch gesagt: der condimenta – prägt eine Küche entscheidend.28 So kann auch niemand wirklichen Zugang zum Thema des römischen Kochens und Backens finden, der sich nicht mit den damaligen Gewürzen und mit der damaligen Würzweise befasst hat. Die Gewürze und der richtige Umgang damit – das lässt sich ohne Übertreibung sagen – sind das ganze „Geheimnis“ der antiken römischen Küche.

      Was aber macht das Wesen dieser römischen Würzstoffe und ihres Gebrauches aus?

      ZAHLREICH, KRÄFTIG, GEGENSÄTZLICH: EINE CHARAKTERISTIK RÖMISCHER WÜRZSTOFFE

      Die Liste der römischen Würzstoffe ist lang. Die Exzerptsammlung des Vinidarius beginnt mit einer Aufzählung und kommt dabei auf über 60 Stoffe, die „alle im Haus sein sollten, damit an Gewürzen nichts fehlt.“ In den Rezepten des sogenannten Apiciuskochbuchs und der Vinidariusexzerpte begegnen uns insgesamt aber über 80 Würzstoffe. Die bei weitem größte Gruppe stellen dabei die zum Würzen verwendeten Küchenpflanzen, von denen die beiden nächsten Kapitel eine Auswahl näher vorstellen werden.

      Die Würzstoffe der beiden Kochbücher, die den Namen des Apicius führen, sind hier in Tab. 1 zusammengestellt und in der Reihenfolge der Häufigkeit ihrer Erwähnungen angeordnet. So ergibt sich – mit Pfeffer als dem am häufigsten genannten Gewürz beginnend – gewissermaßen eine Würzstoff-„Hitliste“ der gehobenen damaligen Küche. Freilich fehlt darin noch manches. Ein Beispiel dafür ist der geriebene Käse, der zwar im sogenannten Apiciuskochbuch und in den Exzerpten des Vinidarius nicht vorkommt, aber nach anderen Quellen ähnlich beliebt war wie heute der geriebene italienische Parmesan. Der griechische Dichter und Küchenautor Archestratos schrieb dazu im 4. vorchristlichen Jh., die Bewohner Italiens wüssten den Fisch „nicht vernünftig zuzubereiten, sondern verderben ihn, indem sie alles übel mit Käse bestreuen“.29

      In der Anwendung und Mischung all dieser Würzstoffe bestand also das Raffinement der römischen Küche. Während dem modernen Koch viele der Stoffe nicht oder kaum bekannt sind und er oft gelernt hat, man müsse möglichst zurückhaltend würzen, gewannen die teilweise kräftigen Aromen den damaligen Nahrungsmitteln und Gerichten für uns ungewohnte Geschmackseffekte ab. Sie setzten Akzente, die ein strenger moderner Gelehrter einmal als „Missbrauch“ zensierte; er meinte, „nur eine geharnischte Zunge“ habe „das Feuer der Gewürze ertragen“ können. Praktische Erfahrung mit dem römischen Kochen entlarvt das aber als ein Vorurteil; umso mehr, als die erhaltenen römischen Rezepte die Dosierung der vorgeschriebenen Würzstoffe meist dem Geschmack des Kochs überlassen. Sie mahnen ihn oft nur, „maßvoll“ zu dosieren. Das moderne Entsetzen über den ausgiebigen Gebrauch der Gewürze und über ihre kräftigen Aromen ist eben (wie schon das griechische Kopfschütteln über den „Parmesan“ des antiken Italien) ein Ausdruck der menschlichen Tendenz, geschmacklich Ungewohntes als schlecht zu diffamieren, ohne sich erst auf eine Prüfung einzulassen. Die Psychologen bezeichnen diese Tendenz als „Neophobie“.30

      Anlässe zur Neophobie können auch zwei weitere Eigenarten der römischen Gewürzverwendung bieten. Die eine ist die Vorliebe der damaligen Küche für Zubereitungsarten, die Geschmackskontraste miteinander verbinden. Wie wir das aus exotischen Kochkulturen unserer eigenen Zeit kennen, kann sie im gleichen Gericht Süßes mit Bitterem, Süßes mit Saurem oder Süßes mit Gepfeffertem kombinieren. Ein Beispiel dafür (freilich auch uns nicht ganz fremd) wäre gepfeffertes Obst (sog. Apiciuskochbuch, Rez. 162, 178 und 296 André ).

      Die zweite Eigenart der römischen Würzweise liegt dagegen darin, dass die Würzstoffe hier nicht, dezent, den Eigengeschmack der Nahrungsmittel unterstreichen. Vielmehr legt es der römische Koch – entgegen den Lehren moderner Küchenpäpste – bewusst und gezielt darauf an, das natürliche Aroma des Kochguts zu überdecken und zu verändern. Wie überhaupt der Römer die Natur nicht einfach als gut und schön empfunden hat, wie sie ist, sondern sie erst verbessern und verschönern wollte, so schien ihm auch – beispielsweise – ein Fleischgericht erst dann gut, wenn ihm seine Würztechnik ihre