Es muss im Jahre 1994 gewesen sein, da brauchte ich für eine größere Bestellung noch mehr Informationen. Der Verkäufer sagte mir am Telefon, es wäre am einfachsten und es ginge am schnellsten, wenn ich ihm meine Email-Adresse durchgeben würde. Ich zuckte zusammen, denn so etwas hatte ich nicht. Etwas arrogant und überheblich sagte ich: „Ich habe einen Briefkasten, ein Telefon und sogar noch ein Faxgerät“, und leise sagte ich noch vor mich hin: „Genug ist Genug.“
Mein Freund Gottfried unterstützte mich, und sagte: „Bei mir kommt das nicht mehr in Frage, ich bin jetzt 73 Jahre und mit dem Zeugs gebe ich mich nicht mehr ab.“ Aber der Computer verbreitete sich wie eine Seuche. Es gibt mittlerweile große und kleine, flache und ganz dünne. Die Möglichkeiten der Nutzung sind unabsehbar. Auch ich, der Senior, kam um den Kauf eines Computers nicht mehr herum. Es war zunächst die Neugierde, aber nach einiger Zeit leistete er mir gute Dienste. Briefe schreiben, Informationen suchen und finden, vor allen Dingen die Buchführung ging schneller. Leider übertreiben aber viele junge Leute die Möglichkeiten des Computers, sie sind sozusagen vom Computervirus befallen. Sie haben keine Zeit mehr Bücher zu lesen. Ich sehe sie vertieft in ihr Smartphone in stundenlangen Unterhaltungen in der Straßenbahn, im Café, im Auto, am Strand oder beim Spazierengehen. Sie sind dann für andere total abgemeldet.
Vor kurzem habe ich Hubert kennengelernt. Er arbeitet sozusagen in der Firmenhierarchie an zweiter Stelle. Er klagte über die allgemeine Hetze im Beruf. Der Druck sei überall sehr groß und würde immer stärker. Er erzählte von den vielen Emails, die noch nach Feierabend bei ihm reinkommen und ihn diese noch bis abends spät beschäftigten. Die Medien berichten über die vielen psychischen Krankheiten, die immer mehr zunehmen, weil man immer erreichbar ist.
Jetzt bin ich aus dem Berufsleben raus, deshalb ist für mich vieles nicht mehr nachvollziehbar. Aber interessanter Weise faszinieren mich in letzter Zeit die vielen Möglichkeiten des Computers immer mehr, und ich werde immer wissbegieriger. Dann erwische ich mich mit dem Wunsch, noch mal 30 Jahre jünger zu sein.
Jakob Jünkerath
Er war sieben Jahre älter als ich und für mich der beste Fußballer der Welt.
Ich bewunderte ihn schon als elfjähriger Pimpf, wenn ich ihm als Zuschauer auf dem Sportplatz zu jubelte. Schon als kleiner Straßenfußballer wollte ich so werden wie er. Wenn er als Mittelfeldspieler des Vereins „Adler 09 Niederfischbach“ und als Kopfballspezialist die Bälle haargenau servierte, das war nicht nur für mich, sondern auch für viele Beobachter, große Klasse.
Eines Tages fiel mir auf, dass Jakob Jünkerath nicht mehr zu sehen war. Ich suchte ihn auf den Dorfstraßen, fragte noch bei anderen, fußballbegeisterten Leuten, aber nichts, keiner wusste, wo er war. Jakob war wie vom Erdboden verschwunden. Wir Jungs konnten uns keinen Reim daraus machen.
Man schrieb das Jahr 1945, kurz vor Ende des 2. Weltkrieges. Anfang Januar tauchten zwei fremde Männer im Dorf auf. Sie trugen teure, schwarze Ledermäntel und machten meist ein strenges und wichtiges Gesicht.
Mein Freund Gottfried wurde von ihnen nach Jakob Jünkerath gefragt und viele andere auch, aber keiner wusste was. Allerdings hatte ich manchmal den Eindruck, dass manche Dorfbewohner untereinander flüsterten und tuschelten.
Nach drei Tagen waren die fremden Männer – Gott sei Dank – wieder verschwunden und wir Jungs hatten sie auch bald wieder vergessen.
Vier Monate später war der Krieg zu Ende.
Wir bestaunten die amerikanischen Soldaten, sie spielten auf der Straße Volleyball und waren zu uns Halbstarken sehr freundlich. Bald hörte ich auch wieder etwas von unserm Fußballverein. Und plötzlich, für mich ganz unverhofft, lief mein Idol Jakob wieder auf dem Platz und zauberte seine Kunststücke. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht bis in den letzten Winkel. Gleichzeitig wuchs die Spannung mit der Frage: Wo war er in den vergangenen vier Monaten gewesen? Wo hatte er sich aufgehalten?
Mein Opa hat mir das dann in Ruhe erklärt. Ich hing an seinen Lippen, ich wollte das nun ganz genau wissen. Jakob Jünkerath war ein Halbjude, (für mich war es damals noch ein neues Wort) deshalb war er auch zum Militärdienst nicht geeignet. Seine Mutter hat irgendwann gespürt, dass ihr einziger Sohn in großer Gefahr war. Von seinem Vater hatten sie schon seit fast drei Jahren nichts mehr gehört. Deshalb handelte die Mutter jetzt sofort. Unser Freund wurde also noch frühzeitig von zwei verschwiegenen Leuten auf einem zehn Kilometer entfernten, kleinen Bauernhof im hügeligen, bewaldeten Siegerland evakuiert und dort in einer Scheune vier Monate lang versteckt. Die Gestapo, das waren die Männer mit den Ledermäntel, haben Jakob jedenfalls nicht gefunden.
Noch Jahre später erzählten die Dorfbewohner von dem lebensgefährlichen Wagnis, welches die Bauersleute Christian und Mathilde auf sich genommen hatten, da sie ihn bis zum Kriegsende verborgen hielten. Mein Opa sprach dann immer von einer mutigen Tat.
Aber nun war Jakob wieder da. Er arbeitete in einer Blechwarenfabrik, wo Ofenrohre hergestellt wurden. Trotz der schlimmen Zeit ließ ihn der Fußball nicht los. Wieder standen wir Jungs an der Seitenauslinie des Sportplatzes und staunten über seine fußballerischen Fähigkeiten. 21mal konnte er mit dem Ball dribbeln, ohne dass das Leder den Boden berührte.
Bei ihm hatte ich einen Stein im Brett. Deshalb konnte ich ihn auch dazu bewegen, eine Schülermannschaft zu gründen. Er hat uns dann lange Zeit 14tägig betreut und trainiert. Das war ein großer Erfolg und wir waren alle sehr stolz.
Jakob Jünkerath blieb dem Verein und dem Ort noch viele Jahre eng verbunden. Sein Charakter und seine Persönlichkeit standen in hohem Ansehen. Er hat mir in schwieriger Zeit Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Durchhaltevermögen beigebracht. Wenn ich heute, nach 70 Jahren, meinen Heimatort besuche, denke ich sofort an Jakob Jünkerath, er hat mir in einer entscheidenden Lebensphase viel wertvolles Gedankengut mit auf den Weg gegeben.
Panzer vor der Haustüre
Er rumpelte über die Dorfstraße. Von weitem dröhnten die Panzerketten, welche sich rücksichtslos in die dünne Straßendecke eingruben. Als nach zehn Minuten das lärmende Ungetüm an mir vorbeizog, überkam mich ein ehrfürchtiges Staunen über dieses großartige Fahrzeug. Ich hatte in meinem dreizehnjährigen Leben schon viele verschiedene Waffengattungen gesehen und teilweise auch ausprobiert, aber dieses fauchende Ungetüm war absolute Spitze.
So etwas hatte ich in Natura noch nicht gesehen. Es war schon immer mein Wunsch, einmal einen richtigen Panzer zu sehen. Ich wollte in aber nicht nur sehen, ich wollte ihn riechen, fühlen und hören. Jetzt hatte ich die Gelegenheit, und ich nutzte sie mit allen Sinnen. Nun kam auch mein Freund Günter von der anderen Straßenseite und schrie mir ins Ohr: „Wo ist denn der Fahrer?“
Er hatte Recht. Das Monstrum wirkte wie ferngesteuert, wie von einem anderen Stern. Und der Panzer fuhr weiter und mittlerweile siebzehn Kinder liefen hinterher. Nach hundert Metern fuhr er langsamer, und dann blieb er stehen. Wir Kinder standen im Nieselregen und wollten wissen: „Was passiert jetzt?“ Und es passierte etwas. Die Klappe auf dem Turm ruckelte etwas und wurde dann von innen hoch gehoben.
Ein Soldat kam zum Vorschein, nach den Schulterstücken zu urteilen war es ein Feldwebel. Da kannten wir uns aus. Nun kletterte auch noch ein Unteroffizier aus der Luke. Die Soldaten untersuchten die Bodenbeschaffenheit in einer großen Mulde, welche direkt neben unserem Haus lag. Bisher hatte sich noch niemand für diese Senke interessiert. Jetzt aber hatte ich den Eindruck, dass dieses Stück Erde plötzlich ein sehr wichtiger Punkt war.
War