Ein Arzt als Patient. Wolfgang Wild. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Wild
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783957440846
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die mir je zu Ohren kam.

      Das, was ich wusste, aber nicht wahrhaben wollte, war nun Realität, und trotz der freundlichen Formulierung der Diagnose war mir klar, dass nur eine Notoperation das Bein erhalten konnte.

      Jetzt ging alles schnell: Zunächst musste ich zu einer Ultraschalluntersuchung. Inzwischen waren drei Stunden vergangen und die Schmerzen unerträglich geworden; ich brauchte schon während der Sonografie eine Schmerzspritze.

      Im Ultraschall wurde die Ursache der Embolie deutlich sichtbar. Es war ein Aneurysma, eine Ausbuchtung der Hauptschlagader im Kniegelenkbereich. Diese Gefäßveränderung steckte voller Blutgerinnsel. Eines davon war während meiner Aufwärmübungen, besonders durch die Kniebeugen, gelockert worden und hatte sich gelöst. Dabei war es in die größte der drei Schlagadern des Unterschenkels „runtergerutscht“. Da das Lumen – also der innere Durchmesser der Gefäße – zur Peripherie hin immer kleiner wird, blieb dieser Blutpfropf schließlich im Bereich des Knöchels stecken. Damit war das Gefäß verschlossen.

      Nun humpelte ich noch bis in einen Vorraum des Operationstraktes, wo ich notfallmäßig auf die Operation vorbereitet wurde. Dazu gehörten auch die vor jeder Narkose und Operation notwendigen Aufklärungsgespräche, die ich in meiner Lage als lästig und überflüssig empfand. In solch einer Situation hofft man auf schnelle Hilfe, und man stimmt allem zu.

      Da man mir keine Vollnarkose sondern eine sogenannte „Rückenstichnarkose“ verpasst hatte, bekam ich mit, wie man mich in den Operationssaal fuhr. Zum ersten Mal in meinem Leben stand ich nicht am Operationstisch, sondern lag selbst auf einem solchen.

      Im Saal war es relativ dunkel, trotzdem erkannte ich meine Frau und meinen Sohn. Sie durften anwesend sein, weil sie beruflich bedingt wissen, wie man sich in einem Operationssaal zu verhalten hat. Aber auch für sie war es eine neue Erfahrung, dass hier ein nächster Angehöriger operiert wird.

      Am Anfang wurde ich vom Narkosepersonal, ein Arzt und eine Schwester, unterhalten und abgelenkt. Später bekam ich einen Kopfhörer. Nun konnte ich nicht mehr die Gespräche der Operateure verfolgen, sondern hörte klassische Musik. Schließlich wurde ich doch noch voll betäubt, als sich, wie ich vermutete, eine Klemme von der eröffneten Schlagader löste, und ich mein Blut fontänenartig gegen die über mir befindliche Operationslampe spritzten sah.

      Es war schon in den frühen Morgenstunden des Nikolaustages, als ich allmählich, beim Rücktransport aus dem Operationssaal, erwachte. Während des Abtastens des operierten Beines mit dem rechten Fuß hatte ich den Eindruck, dass das kranke Bein schon in einer Holzkiste lag – so gefühllos, hart, kalt und hölzern fühlte es sich an. Nun dachte ich, die Operation sei misslungen, und ich könne an zukünftigen Nikolaustagen nur noch einen Schuh „raus stellen“. Natürlich weiß ich, dass ein Bein, welches fünf Stunden lang nicht durchblutet wird, in keinem anderen Zustand sein kann, aber – noch von der Narkose benommen – überwogen die Überlebensreflexe, und so klingelte ich nach einem Arzt.

      Es kam der Operateur selbst zu mir, der sich wohl gerade mal in seinem Nachtdienst hingelegt hatte. Natürlich tat es mir im Nachhinein Leid, ihn bemüht zu haben.

      Mit unterdrücktem Unverständnis und mäßiger Freundlichkeit bewies mir der Chefarzt mit einem Gerät, welches den Pulsschlag hörbar macht (Echo-, Ultraschall), dass alles regelrecht verlaufen war. Nun war ich beruhigt, obgleich mir klar war, dass es lange dauern konnte, bis sich Bewegung und Gefühl wieder normalisiert haben würden. Es konnten jedoch auch Restschäden verbleiben.

      Über einen Katheter im Rücken bekam ich Schmerzmittel. So waren mir ein paar Stunden Schlaf vergönnt.

      Als ich am Morgen erwachte, schätzte ich meine Lage13 und die Chance, das Bein behalten zu können, neu ein. Ständig überprüfte ich es, aber noch gab es keine Veränderung. Das operierte Bein lag weiterhin wie ein nicht zu mir gehöriger Gegenstand in meinem Bett.

      Bei Tageslicht konnte ich nun mein Zimmer betrachten. Es war ein Einzelzimmer, sehr klein und nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Ein Bett mit Nachttisch, ein Tisch mit zwei Stühlen, keine Gardinen und kein Fernsehgerät. Mir war klar – ich lag im Sterbezimmer! Gefragt habe ich natürlich nicht danach, aber ich war mir dessen sicher.

      Während meiner Kliniktätigkeit war ich oft als Konsiliarius in eine andere Klinik gerufen worden, um mit dem Stationsarzt in einem solchen Stübchen über die weitere Verfahrensweise mit einem todkranken Patienten zu beraten. Damals war es auch, da ich infolge einer Leberpunktion selbst als Patient zwei Tage auf dieser Station verbringen musste. In der Absicht, mir etwas Gutes zu tun, wollte man mich genau in dieses Zimmer legen, was ich aber abgelehnt und einen Aufenthalt in einem Mehrbettzimmer bevorzugt hatte.

      Im Jahr 1997 fiel der sechste Dezember auf einen Sonnabend. Somit begann das Sammeln meiner Erfahrungen als Patient in einer Klinik an einem Wochenende. Das merkte man an allen Prozeduren, obwohl ich noch keinen Vergleich zu einem Wochentag hatte.

      Bei Frischoperierten allerdings, wie ich nun einer war, kam natürlich der diensthabende Arzt mit einer Schwester auch am Sonnabend zur Visite.

      „Guten Morgen, Herr Kollege, wie geht es Ihnen?“

      „Wenn man das operierte Bein ausklammert, gut. Wie lange wird es dauern, bis es wieder lebt?“

      „In zwei bis drei Tagen ist alles wieder wie vorher.“

      „Heißt das, ich kann weiterhin Skifahren, Tennis- und Fußballspielen?“

      „Sie können alles machen, dürfen aber das Knie nicht über neunzig Grad beugen. Sie haben eine Kunststoffröhre als Schlagader in der Kniekehle. Ihre eigenen Gefäße waren wegen Ablagerungen an der Gefäßwand leider nicht geeignet. Das wäre natürlich besser gewesen.“

      „Wie lange muss ich noch hierbleiben, und wie lange funktioniert ein solcher Bypass eigentlich?“

      „In fünf bis sechs Tagen können Sie ambulant weiterbehandelt werden, und die Kunststoffbypässe sind erfahrungsgemäß etwa zehn Jahre lang funktionstüchtig. Haben Sie weitere Fragen?“

      „Nein, danke.“

      „Na dann, trotz allem, ein schönes Wochenende.“

      „Danke, gleichfalls.“

      Kurz nach dieser Visite kam eine Schwester zur Blutabnahme. Davor war mir nie bange, da ich gute Venen habe. Es gelang ihr auch gleich beim ersten Stich, die Nadel regelrecht zu platzieren. Abgelöst wurde der „Vampir“ von einer Mitarbeiterin, welche für die Wochenendreinigung der Zimmer und der Station zuständig war.

      „Guten Morgen, Sie sind wohl neu hier?“, fragte sie.

      „Ja, guten Morgen.“

      „Wissen Sie, ich frage nur deshalb, ob Sie neu sind, damit Sie sich nicht wundern, wenn ich gleich wieder weg bin, denn am Wochenende werden nur Sichtreinigungen durchgeführt.“ Danach sprach sie noch über den allgemein bekannten Personalmangel, wünschte mir einen schönen Tag und ging.

      Es dauerte nicht lange, da hörte ich Stimmen auf dem Gang: „Kaffee oder Milch, Käse oder Wurst …“ Und so weiter. Das war die Bedienung des Speisewagens.

      Mich fragte man: „Möchten Sie auch ein gekochtes Ei?“

      „Nein danke“, sagte ich. „Meine Gefäße seien verfettet, und da will ich mal auf Cholesterin verzichten.“ Das war natürlich eine typische Überreaktion nach der Ansprache des Arztes während der Visite, und schon zwei Tage später lehnte ich Spinat mit Ei nicht mehr ab.

      Nun waren wohl alle Mitarbeiter des Sonnabenddienstes mindestens einmal in meiner „Stube“ gewesen. Dabei fiel mir auf, dass die Kleidung des Personals nicht einheitlich war. Man konnte die Oberschwester, abgesehen vom Alter, nicht mehr von einer Schwesternschülerin unterscheiden. Es wurden zwar Namensschilder getragen, die aber infolge des ständigen Herumhantierens ihrer Trägerinnen oftmals auch umklappten, sodass dem Patienten die nicht beschriftete Rückseite dargeboten wurde.

      Als Arzt in einer Klinik hatte ich das nicht bewusst registriert,