Ein Arzt als Patient. Wolfgang Wild. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Wild
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783957440846
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oder einen, den er aus der fachlichen Zusammenarbeit als kompetent kennt. Diesem Arzt erzählt er seine Geschichte, und vermutlich tut er dies dissimulierend, verharmlosend und bagatellisierend, als ob er über einen gemeinsamen Patienten reden würde. Der behandelnde Arzt steht jetzt unter großer Gefahr, seinerseits mit Bagatellisierung und diagnostisch-therapeutischer Vernachlässigung zu reagieren3/11/12.

      Es kann jedoch auch umgekehrt sein: Der privilegierte Patient, der kranke Kollege, wird überdiagnostiziert (Darmspiegelung bei Darmgrippe) und übertherapiert. Er leidet dann vielleicht bald mehr an den medizinischen Maßnahmen als an der ursprünglichen Krankheit3, 11, 12.

      Zu diesen Problemen fand am 24./25. Mai 2001 auf Initiative von Dr. Thomas Ripke ein erster bundesweiter Workshop in Heidelberg und ein zweiter vom 03. bis 05. Oktober 2003 in Gütersloh statt.

      Im Jahr 2001 charakterisierte Dr. Mäulen10 den „kranken Arzt“ treffend. Er sagte, dass ein Arzt auf die eigene Krankheit schlecht vorbereitet ist, die Patientenrolle nur schwer annehmen kann, immer genau informiert werden und über Diagnose und Therapie mitentscheiden will. Das wiederum setzt den Behandelnden unter Druck, sodass dieser sich schnell brüskiert fühlt. Weiterhin meint Dr. Mäulen10, dass der „kranke Arzt“ einen schnelleren Zugang zu Spezialisten bekommt, sein Leiden im eigenen Krankenhaus oder Wohnort ebenso zügig bekannt wird, und dass er sich Sorgen um seine Praxis, seinen Arbeitsplatz und seine finanzielle Situation macht. Die Einnahmen gehen zurück, es entstehen Stress und Druck nicht nur für ihn, sondern auch für die Angehörigen.

      Viele arbeiten im Beruf weiter und entwickeln aus ihrer Krankheit neue Ansätze, beispielsweise Selbsthilfegruppen. Manche nutzen mitunter zusätzlich alternative Therapien, modifizieren ihren Arbeits- und Lebensstil und festigen ihre Beziehung zum Partner; oder es kommt gar zur Trennung, je nachdem, wie und ob er vom Partner und den Angehörigen unterstützt wird. Kriselt es vor der Krankheit in der Ehe, kommt es durch die neue Belastung zu weiterer Distanzierung. Fazit: Der „kranke Arzt“ zieht seine Lebensbilanz und geht die Veränderungen an10.

      In Alfred Grotjahns Buch „Ärzte als Patienten“5 findet er vor allem die Gelassenheit bemerkenswert, mit welcher der ärztliche Patient dem Tod entgegensieht – eine Eigentümlichkeit des Arztes, die sich auch in anderen Fällen nachweisen lässt3. Dieses Buch schrieb Grotjahn5 1929, und noch achtzig Jahre später wird seine Meinung nebst anderen durch Thomas Ripke (Dokumentation seiner Krankheit im Internet bis dessen Tod) bestätigt11/12.

      Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.

      Diese Erfahrung musste ich nach fünfundfünfzig Jahren relativ guten Befindens machen. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich mich einmal mit so vielen gesundheitlichen Problemen würde auseinandersetzen müssen. Somit kann ich folgende Worte des Philosophen Voltaire bestätigen: „In der ersten Hälfte unseres Lebens opfern wir unsere Gesundheit, um Geld zu verdienen. In der zweiten Hälfte unseres Lebens opfern wir das Geld, um unsere Gesundheit wiederzuerlangen.“

      Meine Krankheiten hatten zur Folge, dass ich häufig Patient in verschiedenen Einrichtungen wurde. Ein Krankenhausaufenthalt kann für jeden plötzlich notwendig werden. Somit kann auch bei jedem irgendwann einmal eine falsche Behandlung erfolgen, denn es ist erwiesen, dass Schadensfälle ständig zunehmen17.

      Solch ein Schadensfall oder sogenannter Fehler der ärztlichen Kunst (Kunstfehler) führt zu einer ungewollten Schädigung des Patienten und entsteht seitens des behandelnden Arztes sowohl im Glauben, das Richtige zu tun, als auch durch fahrlässiges Handeln oder Verletzen der Sorgfaltspflicht, in folgedessen der Patient durch Behandlungs-, Aufklärungs-, Dokumentations- und Organisationsfehler Schaden nimmt. In meinen 291 Tagen stationären Aufenthaltes wurde keiner dieser Fehler ausgelassen. So etwas kann aber nur ein „Arztpatient“ feststellen. Ein Nichtmediziner wird meist als zufriedener Patient entlassen und ist eine gute Empfehlung für diese Einrichtung, denn als medizinischer Laie merkte er gar nicht, in welcher Gefahr er war.

      Nun will ich in zwei Abschnitten sowohl von meinem Beinverlust als auch von meiner Krebserkrankung tagebuchähnlich berichten.

       Fehler und Mängel beim Erhaltungsversuch meines linken Beines

       Die Jagd nach dem runden Leder … (S. 15)

      Dezember 1997: Die Anfänge eines jahrzehntelangen Leidens

      Seit Jahren versuchte ich freitags meine Praxis pünktlich zu schließen, um am Abend zum Sport gehen zu können. Im Sommer spielte ich meist Tennis und im Winter vorwiegend Hallenfußball. Die Jagd nach dem runden Leder war schon in der Schule das, was ich am besten konnte. Einem Patienten hatte ich es zu verdanken, dass ich an jedem Freitagabend bei einer Altherrenmannschaft mitspielen durfte.

      Obwohl ich im Alter von fünfundfünfzig Jahren auch bei den „Alten Herren“ der absolute Senior war, fügte ich mich, auch leistungsmäßig, schnell ein. Der Ablauf war immer gleich: aufwärmen, Mannschaften wählen und spielen.

      Am fünften Dezember 1997 war ich etwas zu zeitig vor Ort und musste mich länger warm halten, denn die Halle war nicht geheizt. So kam es, dass ich mein Aufwärmprogramm durch Kniebeuge und Sprünge in die Hocke – beides seit Langem nicht mehr praktiziert – erweiterte.

      Einige Zeit später kamen die übrigen Sportfreunde und bald begann das Spiel. Nach etwa zehn Minuten fühlte ich einen blitzartigen Schmerz im linken Bein. Zunächst dachte ich an eine Muskelzerrung und ging ins Tor. Aber auch dort konnte ich nur kurze Zeit bleiben. Der Schmerz nahm zu, und der vom Spiel warme Schweiß wurde von kaltem abgelöst. Ich verabschiedete mich nur mit einer Handbewegung und verließ die Halle. Keiner der Mitspieler wusste zu diesem Zeitpunkt, warum ich so plötzlich verschwand. Auch ich ahnte nicht, dass es ein Abschied für immer sein sollte.

      Die Heimfahrt war abenteuerlich. Ich legte das schmerzende Bein auf das Armaturenbrett, weil ich annahm, dass eine Hochlagerung Linderung bringen könnte. Natürlich war das nur meine Hoffnung als „Patient“, denn der Arzt in mir sagte: „Bei einem Verschluss der Beinschlagader (Embolie) ist es egal, wie man das Bein lagert.“

      Trotzdem versucht man als Arzt, den Gedanken, eine Embolie erlitten zu haben, zu verdrängen. Natürlich gelang mir das nicht, und der Schmerz nahm weiter zu.

      Zu Hause angekommen, fragte mich meine Frau: „Warum kommst Du denn schon zurück?“

      „Ich habe eine Embolie“, sagte ich, als würde es sich nur um eine Bagatelle handeln. Kurzes Schweigen ihrerseits, dann sagte sie: „Damit scherzt man nicht!“

      Doch nach Scherzen war mir nicht zumute; sie entnahm es meinem schmerzverzerrten Gesicht. Als ehemalige Operationsschwester erkannte sie auch sofort die Gefahr, nahm das Telefon und erkundigte sich, wer gerade in der Klinik, in der sie einmal tätig gewesen und noch immer gut bekannt war, gefäßchirurgischen Dienst hatte.

      Nun sollte ich an diesem Abend auch mal Glück haben: Der Chefarzt der Gefäßchirurgie war selbst am Apparat, und eine halbe Stunde später waren wir bei ihm.

      Viele Jahre hatte ich im Krankenhaus gearbeitet und den größten Teil meines Lebens alles unter Kontrolle gehabt. Aber heute war es anders. Mein Schicksal lag nun zum ersten Mal in den Händen anderer. Mir war klar, was schief gehen konnte, ich kannte alle Probleme13, aber ich hatte keine Wahl.

      Mit zunehmenden Schmerzen im linken Bein trafen meine Frau und ich auf der Gefäßstation ein, um kurze Zeit darauf vom Chefarzt dieser Abteilung untersucht zu werden. Mit dem Ergebnis, dass bei einer