C. S. LEWIS
Magdalen College, Oxford
5. Juli 1941
I
Mein lieber Wormwood, ich habe zur Kenntnis genommen, dass du deinen Patienten in seiner Lektüre beeinflusst und dafür sorgst, dass er viel Zeit mit seinem materialistischen Freund verbringt. Aber bist du da nicht etwas naiv? Das klingt ja, als glaubtest du, ihn durch Argumente dem Zugriff des Feindes entziehen zu können. Das wäre vielleicht noch möglich gewesen, wenn er vor ein paar Jahrhunderten gelebt hätte. Damals wussten die Menschen immer noch ziemlich genau, wann etwas bewiesen war und wann nicht; und wenn etwas bewiesen war, dann glaubten sie auch wirklich daran. Sie brachten ihr Denken noch mit ihrem Tun in Zusammenhang und waren bereit, auf Grund eines logischen Gedankenganges ihre Lebensweise zu ändern. Doch mithilfe der wöchentlichen Presse und anderer derartiger Waffen haben wir das gründlich geändert.
Dein Mann ist, seit er ein Junge war, daran gewöhnt worden, dass ihm ein Dutzend einander widersprechende Philosophien im Kopf herumtanzen. Eine Lehre betrachtet er nicht in erster Linie als »wahr« oder »falsch«, sondern als »akademisch« oder »pragmatisch« oder »fortschrittlich« oder »konventionell« oder »radikal«. Nicht Argumente, sondern Jargon ist dein bester Verbündeter, wenn es darum geht, ihn von der Kirche fern zu halten. Verschwende deine Zeit nicht damit, ihm einreden zu wollen, der Materialismus sei wahr! Rede ihm ein, er sei stark oder illusionslos oder mutig – er sei die Philosophie der Zukunft. Das sind die Dinge, die ihm wichtig sind.
Das Lästige am Argumentieren ist, dass es den ganzen Kampf auf den Boden des Feindes verlagert. Argumentieren kann er auch; in der wahrhaft pragmatischen Propaganda hingegen, von der ich spreche, hat er sich seit Jahrhunderten Unserem Vater in der Tiefe als weit unterlegen erwiesen. Schon dadurch, dass du argumentierst, weckst du die Vernunft des Patienten, und wenn die erst einmal erwacht ist, wer kann dann die Folgen absehen?
Selbst wenn dieser oder jener Gedankengang so verdreht werden kann, dass er zu unseren Gunsten endet, wirst du feststellen, dass du in deinem Patienten die fatale Gewohnheit gestärkt hast, sich mit Fragen von universaler Bedeutung zu beschäftigen und seine Aufmerksamkeit vom Strom der unmittelbaren Sinneseindrücke abzuziehen.
Deine Aufgabe ist es dagegen, seine Aufmerksamkeit genau an diesen Strom zu binden. Bring ihn dazu, ihn für »das wirkliche Leben« zu halten, und lass ihm nicht in den Sinn kommen, sich zu fragen, was er mit »wirklich« meint.
Vergiss nicht, dass er nicht reiner Geist ist wie du. Da du nie ein Mensch gewesen bist (o dieser abscheuliche Vorteil des Feindes!), kannst du nicht nachempfinden, wie sehr sie dem Druck des Alltäglichen unterworfen sind.
Ich hatte einmal einen Patienten, einen waschechten Atheisten, der regelmäßig ins Britische Museum ging, um dort zu lesen. Eines Tages, als er über seinen Büchern saß, bemerkte ich, wie ein Gedankengang in seinem Kopf in die falsche Richtung zu laufen begann. Natürlich war der Feind sofort an seiner Seite. Bevor ich wusste, wie mir geschah, sah ich das Ergebnis meiner zwanzigjährigen Mühe ins Wanken geraten. Hätte ich den Kopf verloren und eine Abwehr durch Argumente versucht, wäre ich erledigt gewesen. Aber so töricht war ich nicht.
Ich schlug sofort an der Stelle des Mannes zu, die ich am sichersten in meiner Hand hatte, und flüsterte ihm ein, es sei an der Zeit für einen kleinen Imbiss. Der Feind machte vermutlich den Gegenvorschlag (hast du auch schon bemerkt, dass man nie völlig belauschen kann, was er zu ihnen sagt?), dies hier sei wichtiger als das Mittagessen. Zumindest glaube ich, dass das seine Stoßrichtung war, denn als ich sagte: »Völlig richtig. Sogar viel zu wichtig, um es noch am Ende eines Vormittages in Angriff zu nehmen«, hellte sich das Gesicht des Patienten sichtlich auf; und als ich hinzugefügt hatte: »Es wäre viel besser, nach dem Essen zurückzukommen und sich der Sache mit frischem Geist zu widmen«, war er schon auf halbem Weg zum Ausgang. Kaum stand er auf der Straße, hatte ich die Schlacht gewonnen.
Ich zeigte ihm einen Zeitungsjungen, der die Mittagsausgabe ausrief, und einen vorbeifahrenden Bus der Linie 73, und noch bevor er die Stufen hinabgestiegen war, hatte ich ihm die unerschütterliche Überzeugung eingetrichtert, dass, was für seltsame Gedanken auch immer einem Mann durch den Kopf gehen mochten, wenn er allein über seinen Büchern hockte, eine gesunde Dosis »wirklichen Lebens« (womit er den Bus und den Zeitungsjungen meinte) genügte, um ihm vor Augen zu führen, dass »solche Dinge« einfach nicht wahr sein konnten.
Er wusste, dass er nur knapp entkommen war, und sprach in späteren Jahren gern von »jenem undefinierbaren Sinn für das Wirkliche, der unsere letzte Rettung vor den Verirrungen reiner Logik ist«. Heute haben wir ihn sicher im Haus Unseres Vaters.
Verstehst du, worauf es ankommt? Dank den Vorgängen, die wir schon vor Jahrhunderten in ihnen in Gang brachten, ist es ihnen nahezu unmöglich, an das Außergewöhnliche zu glauben, solange das Gewöhnliche ihnen vor Augen steht.
Trichtere ihm immer wieder die Gewöhnlichkeit aller Dinge ein. Vor allem aber versuche niemals, die Wissenschaften (die echten Wissenschaften, meine ich) als Abwehr gegen das Christentum zu verwenden. Die würden ihn geradezu ermutigen, über Wirklichkeiten nachzudenken, die er nicht anfassen oder sehen kann. Es hat da traurige Fälle unter modernen Physikern gegeben.
Wenn er schon in der Wissenschaft herumtappen muss, dann lenke ihn auf die Wirtschaftswissenschaft oder die Soziologie. Lass ja nicht zu, dass er sich von jenem unschätzbaren »wirklichen Leben« entfernt. Am besten jedoch wäre es, wenn du ihn gar keine wissenschaftlichen Bücher lesen ließest, sondern ihm nur das großartige allgemeine Gefühl gäbest, er wüsste über alles Bescheid und alles, was er in beiläufigen Gesprächen und oberflächlicher Lektüre aufgeschnappt habe, wären die »neuesten Forschungsergebnisse«.
Vergiss nicht, dass du dazu da bist, ihn zu verwirren. Wenn man manche von euch jungen Teufeln reden hört, könnte man meinen, unsere Aufgabe sei es, zu lehren!
Herzlichst,
Dein Onkel Screwtape
II
Mein lieber Wormwood, ich höre mit großem Missvergnügen, dass dein Patient Christ geworden ist. Gib dich nicht der Hoffnung hin, du könntest der üblichen Strafe entgehen; ja, in deinen besseren Momenten, so hoffe ich, wirst du dir das nicht einmal wünschen. Inzwischen müssen wir das Beste aus der Situation machen. Es besteht kein Grund zur Verzweiflung; schon Hunderte dieser erwachsenen Bekehrten konnten nach kurzem Aufenthalt im Lager des Feindes zurückgewonnen werden und sind nun bei uns. Sämtliche Gewohnheiten des Patienten, die geistigen wie die körperlichen, sprechen immer noch zu unseren Gunsten.
Eine unserer besten Verbündeten ist gegenwärtig die Kirche selbst. Verstehe mich nicht falsch. Ich meine damit nicht die Kirche, wie wir sie sehen, ausgebreitet durch alle Zeit und allen Raum und verwurzelt in der Ewigkeit, schrecklich wie eine Armee mit wehenden Fahnen. Die ist, wie ich bekennen muss, ein Anblick, bei dem selbst unseren kühnsten Versuchern unbehaglich wird.
Für diese Menschen jedoch ist sie glücklicherweise völlig unsichtbar. Was dein Patient sieht, ist lediglich die halb vollendete pseudo-gothische Konstruktion in der neuen Wohnsiedlung. Sobald er sie betritt, sieht er den Lebensmittelhändler aus der Nachbarschaft mit salbungsvollem Gesicht auf sich zu eilen, um ihm ein glänzendes Büchlein mit einer Liturgie zu reichen, die keiner von beiden versteht, sowie ein anderes, schäbiges Büchlein mit verfälschten Texten einer Anzahl religiöser Lieder, die meisten von schlechter Qualität und in winzigem Druck.
Wenn er seinen Platz erreicht und sich umschaut, erblickt er eine Auswahl genau jener Nachbarn, denen er bisher aus dem