Die Weisheit der Götter. Rupert Schöttle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rupert Schöttle
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Музыка, балет
Год издания: 0
isbn: 9783990404249
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      Mein Gedächtnis, mein Gehirn, meine Vitamine. Mein Gedächtnis, um nichts von meinem Wissen zu vergessen, mein Gehirn, dass ich dies immer wieder neu erarbeiten kann, und meine Vitamine, dass ich die Kraft dafür habe.

       Welches Motto steht über Ihrem Leben?

      Kein Motto.

      DER KOMPROMISSLOSE

      BERTRAND DE BILLY

      * 11. Jänner 1965, Paris

      Der Beruf eines Dirigenten wurde Bertrand de Billy nicht in die Wiege gelegt.

      Obwohl er sich bereits als Fünfjähriger vor dem heimischen Plattenspieler in Pose warf und das unsichtbare Orchester dirigierte, mit einem Buch in der Hand, das ihm als „Partitur“ diente. Allerdings nahmen seine Eltern, beide nicht eben musikbegeistert, dies nicht allzu ernst und taten es als Kinderei ab. Doch so leicht ließ sich der Filius nicht entmutigen. Er trat einem Chor bei, was er heute als die „beste musikalische Erfahrung“ seiner Kinderzeit bezeichnet. Als Instrument hatte er die Violine gewählt. Glücklicherweise hatte er eine ambitionierte Lehrerin gefunden, die ihn so weit ausbildete, dass er am „Conservatoire national“ in Paris studieren konnte. Zum Entsetzen seines Vaters, der ihm nach dem ersten Gespräch mit seiner Professorin beschied: „Es ist eine Katastrophe, du bist begabt!“ Doch dieser Schock hielt glücklicherweise nur kurz an – sein Talent wurde nun auch von zu Hause aus gefördert.

      Nach dem Studium begann er seine professionelle Musikerkarriere als Geiger und Bratschist bei zwei kleineren Orchestern der französischen Hauptstadt. Doch schon nach kurzer Zeit genügte es ihm nicht mehr, seine musikalischen Vorstellungen innerhalb eines Kollektivs auszuleben. Kurzerhand stand er also auf und stellte sich 1986 vor sein Orchestre symphonique des Jeunes d’Île-de-France, wo er für die nächsten vier Jahre als Chefdirigent die gesamte symphonische Bandbreite von der Barockmusik bis zur Moderne durchmessen konnte. Die fehlende Erfahrung der jugendlichen Musiker wurde durch ihre Begeisterung aufgewogen. Die Erfolge, die de Billy mit seinem ambitionierten Ensemble feiern konnte, riefen schließlich sogar das Kulturministerium auf den Plan, das ihn vorlud und zur Zurückhaltung ermahnte, da er mit seinen Studenten so manchem professionellen Orchester den Rang ablaufe. Seine Reaktion auf diese Zurechtweisung war eindeutig: In einer Pariser Kirche führte er mit seinem Orchester triumphal das Verdi-Requiem auf.

      Nach einer einjährigen Assistenz bei Philippe Entremont wurde er 1990 zum stellvertretenden Generalmusikdirektor des Pariser Orchestre Colonne ernannt. Weil ihn dies offensichtlich nicht ausfüllte, das Geigenspiel hatte er unterdessen gänzlich aufgegeben, gründete er in demselben Jahr mit der Académie de l’Île Saint-Louis sein eigenes Orchester, dem er bis 1994 vorstand.

      Für viele überraschend zog de Billy 1993 in die deutsche Provinz um, wo er für die nächsten zwei Jahre als stellvertretender Generalmusikdirektor an das Anhaltinische Theater in Dessau ging, um sich intensiver mit der Oper auseinandersetzen zu können. Offensichtlich mit Erfolg, denn seine nun dynamisch ansteigende Karriere machte er vorerst an verschiedenen Opernbühnen. Nach seinem Debüt an der Wiener Volksoper im Jahre 1994 wurde de Billy 1996 für zwei Jahre als Erster Kapellmeister an dieses Haus berufen.

      Zu diesem Zeitpunkt war er schon ein gefragter Dirigent, der an den größten Opernhäusern wirkte. Ob Londons Covent Garden, wo er 1995 debütierte, an der Pariser Opéra Bastille (Debüt 1996), den Staatsopern in Berlin (1996), Hamburg (1997) und München (1997) oder dem Théâtre de la Monnaie in Brüssel: Überall war de Billy ein gern gesehener Gast.

      Ein weiterer Karriereschub setzte 1997 ein, als Placido Domingo einer Vorstellung von Ambroise Thomas’ Hamlet an der Wiener Volksoper beiwohnte. Denn der große Sänger, Leiter der Opernhäuser in Washington und Los Angeles, war von der Leistung des Dirigenten so angetan, dass er ihn spontan dazu einlud, Charles Gounods Roméo et Juliette in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten einzustudieren. Was offensichtlich zu Domingos größter Zufriedenheit verlief, denn nach seinem beachtlichen Erfolg in Washington bat er den jungen Dirigenten, im darauffolgenden Jahr auch in Los Angeles zu dirigieren. Und zwar eine Carmen, in der er selbst den Don José singen sollte. Als weiteres Zeichen seines uneingeschränkten Vertrauens in die Fähigkeiten de Billys empfahl ihn der Tenor gleich noch an die Metropolitan Opera in New York, wo er, wiederum mit Roméo et Juliette, einen solchen Erfolg feierte, dass er seitdem regelmäßig an Amerikas berühmtestem Opernhaus gastiert.

      Eine weitere Bewährungsprobe stand de Billy im Jahre 1999 bevor. Gerade war das Gran Teatro del Liceu in Barcelona nach einem Brand wiedereröffnet worden, als er dort zum Generalmusikdirektor ernannt wurde. Dafür hatte er sich viel vorgenommen. Innerhalb von fünf Jahren wollte er dem herabgewirtschafteten Opernhaus wieder zu altem Glanz verhelfen und vor allem das Orchester einer weitreichenden Reform unterziehen.

      Als Grundlage für seine ehrgeizigen Pläne sollten die Werke Wagners und Mozarts dienen. Nach seiner Meinung bildet Mozart die Grundlage der Spielkultur, während Wagners Opern die technischen Herausforderungen beinhalten, die die Musiker zu ihrer Perfektionierung benötigen. Folgerichtig beinhalteten seine 16 Premieren, die er in fünf Jahren dirigierte, sämtliche große Mozart-Opern sowie einen viel beachteten Tristan und die Ring-Tetralogie.

      Sein Ruf als außerordentlicher Operndirigent war inzwischen so weit gediehen, dass er im Jahr 2002 erstmals bei den Salzburger Festspielen mit gleich zwei Produktionen betraut wurde. Mit den Wiener Philharmonikern führte er Mozarts Zauberflöte auf, während er die konzertante Fassung von Gounods Roméo et Juliette mit dem Radio-Symphonieorchester Wien bestritt. Schließlich leitete er an der Wiener Staatsoper 2004 mit der französischen Fassung von Verdis Don Carlos in einer Inszenierung von Peter Konwitschny seine erste, heftig akklamierte Premiere. Dieser folgten die nicht minder erfolgreiche Premieren von Idomeneo (im Theater an der Wien) und Manon mit Anna Netrebko in der Titelrolle.

      Doch gerade als man ihn als erstklassigen Operndirigenten anzusehen begann, übernahm de Billy im Jahre 2002 mit der Leitung des Radio-Symphonieorchesters Wien (RSO) wieder die Chefposition bei einem ausgesprochenen Konzertorchester. Dieser Klangkörper, ein bislang vor allem für seine Pflege der zeitgenössischen Musik bekanntes Ensemble, war zu jener Zeit ernsthaft in seiner Existenz bedroht. Doch de Billy ist nicht der Mann, der sich von solchen Problemen abschrecken lässt. Nach zwei Jahren intensiver Arbeit, in denen er die Qualität des Orchesters erheblich gesteigert hatte, und einem daraus resultierenden Erfolg bei Publikum und Kritik war die Krise so weit abgewendet, dass der Personalstand gehalten werden konnte. Sogar zu einem umjubelten Opernorchester hat er sein Orchester umgeformt, das seitdem regelmäßig im Theater an der Wien gastiert.

      Ungeachtet der mächtigen Konkurrenz vor Ort hat sich das RSO unterdessen auch erfolgreich mit der Musik der Klassik und Romantik auseinandergesetzt und sich damit neue Hörerschichten erschlossen. Schließlich lautet einer von de Billys Leitsätzen, dass „ein Orchester, das nicht“ dazu fähig ist, „eine ordentliche Mozart-Symphonie“ zu spielen, auch „für eine Uraufführung nicht gut genug ist“, wie er in einem Interview mit „OehmsClassics“ betonte.

      Denn er nimmt auch die Vorbehalte des Publikums gegen zeitgenössische Musik sehr ernst und überlegt sich Wege, wie man dem am besten begegnen kann. „Zunächst einmal muss es Spaß machen, auch den Musikern, denn dann ist das Neue nämlich kein Ghetto mehr … Dieses: ‚Man muss sich auskennen!‘, dieses Gefühl, dass man nicht dazugehört, weil man etwas nicht versteht, … das führt zu einem falschen Spezialistentum“, meinte er 2004 in einem Interview mit dem Magazin „Musikfreunde“.

      Nachdem er 2010 die Leitung des Radio-Symphonieorchesters Wien aufgegeben hatte, die ihn nach eigener Aussage „viele Nerven“ gekostet hatte, strebte de Billy vorerst keine Chefposition mehr an und arbeitet unterdessen als erster Gastdirigent des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, des Orchestre