Glauben - Wie geht das?. Matthias Beck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Beck
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783990401989
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der Welt stehen bleiben. So wichtig dies ist, diese Sicht erfasst nicht die ganze Dimension des Lebens. Christlicher Glaube eröffnet den Blick über die endliche Welt hinaus. Das Christentum erschließt dem Menschen einen großen Horizont: den Blick in sein Inneres, auf den anderen Menschen und die Welt sowie weit darüber hinaus in das, was man Ewigkeit, Himmel oder Sein bei Gott nennt.

      Zum Erfassen des Ganzen gehört auch die Komplexität der eigenen Lebenserfahrung: Glück und Unglück, Freude und Leid, Aufbau und Zerstörung sowie die vielen unbewussten Anteile im Menschen, die der Einzelne nur schwer erkennen kann. Daher ist das Christentum keine einfache Lehre vom gelingenden Leben oder eine Philosophie der Glückserfahrungen, sondern es verweist nüchtern auf die Realität des Alltags mit Krankheit und Leid, Endlichkeit und Tod sowie auf die Gefahr, das Leben gänzlich zu verfehlen. Der Begriff „Glück“ taucht in den Schriften des Neuen Testamentes6 kaum auf (außer im Kontext der (Glück-)Seligpreisungen der Bergpredigt). Das Neue Testament spricht von der Fülle des Lebens. Das heißt, das Leben soll voll, ausgefüllt und erfüllt werden, und das geht durch alle Lebenserfahrungen, positive wie negative, hindurch. Der Mensch soll sein Leben zur Fülle bringen, und dies kann er offensichtlich nicht allein aus sich selbst heraus. „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ (Joh 10, 10)

      So stehen die Befreiung und die Größe des Menschen im Mittelpunkt der christlichen Lehre, aber es wird auch auf die Gefahren der Unfreiheit, des Scheiterns und der Abgründe hingewiesen. Von dieser Lehre der Größe und der Freiheit des Menschen scheint vieles verschüttet zu sein. Viele Menschen assoziieren mit dem Christentum eher die Lehre von der Unfreiheit und der Sünde, von Verboten und Einengungen. Von dieser Art der einengenden Religion befreien sich die Menschen und wenden sich vom Christentum und der Frage nach Gott ab. Sie brauchen die Hypothese „Gott“ nicht, denn ohne Gott und ohne Kirche geht es ihnen viel besser in ihrem Leben.

      Der aufgeklärte Mensch ist säkular eingestellt, er braucht die Suche nach Gott nicht. Diese Suche ist seiner Meinung nach nur für die Schwachen und Hilflosen, die mit dem Leben nicht zurechtkommen. So beginnen viele Menschen ohne religiöse Anbindung zu leben. Sie entfernen sich nicht nur von der Institution Kirche, sondern vom Christentum insgesamt. Sie suchen ihr Heil ganz ohne Religion, oder sie wenden sich anderen Religionen zu. Auf der anderen Seite sind aber spirituelle Gruppen und Esoterik gefragt. Der Markt der Spiritualitäten ist groß. So droht in Europa das Christentum eher an den Rand zu geraten. Der Mensch erwartet von ihm nichts mehr. Mancher schämt sich sogar dafür, ein Christ oder ein Katholik zu sein. Christentum scheint mit der nüchternen naturwissenschaftlichen Welt nicht vereinbar zu sein. Es ist in den Augen vieler ganz irrational und wird belächelt, da doch die Welt intelligent und rational ist und man längst über religiöse Fragen hinausgewachsen ist.

      An dieser Stelle soll zurückgefragt werden: Kennen die Menschen eigentlich das Christentum, das sie ablehnen? Gibt es nicht ein großes Nichtwissen? Dieses Nichtwissen hat der Einzelne nicht immer selbst zu verantworten. Das Christentum ist vielerorts schlecht vermittelt worden. In vielen Fällen hat es durch schlechte Vermittlung zum „Atheismus“ geführt. Atheismus kommt aus dem Christentum selbst, so hat es das Zweite Vatikanische Konzil gesagt. (GS 19)7 Auf der Rückseite dieses Nichtwissens zeigt sich aber die Suche vieler Menschen nach der tieferen Dimension ihres Lebens. Die existenziellen Fragen nach gelingenden Beziehungen, nach Liebe, Glück, Leid und Tod drängen sich auf. Sie sind da, und so gibt es doch eine Sehnsucht nach Antworten und nach Spiritualität.

      Viele suchen im Internet nach Lebens-Angeboten und „basteln“ sich selbst ihre Lebensphilosophie zusammen. Sie haben Zugang zu nahezu allen Informationen. Allerdings kann das Internet mit seiner Flut an Informationen den Menschen innerlich nicht erfüllen, es kann ihn auch verwirren. Und so bleibt die Frage, wo der Einzelne Orientierung findet, all das Vielerlei zu ordnen. Wo sind die Menschen, die helfen, die Vielfalt der Informationen zusammenzudenken? Mancher verliert in diesem Überangebot die Orientierung. Hinzu kommt das ständige Vernetzt-Sein durch die Handy-Kultur. Das muss nicht schlecht sein, birgt aber die Gefahr des ständigen oberflächlichen Kommunizierens, der dauernden Verfügbarkeit, des schnellen Änderns von Plänen mit einem Verlust an Verbindlichkeiten. In all dem Vielerlei sucht der Mensch Halt und Orientierung. Der Ruf nach Ethik und Spiritualität ist Ausdruck einer solchen Suche.

      Das vorliegende Buch möchte Antworten auf die sich stellenden Fragen geben. Die verlorengegangene, verschüttete oder erst neu zu entdeckende Botschaft vom Christentum mit seiner Lehre vom gelingenden Leben soll ans Licht gehoben werden. Denn Christentum ist die Lehre von der Erfüllung des Lebens, von der Größe des Menschen in seiner Ausrichtung auf einen letzten Grund, den alle Menschen Gott nennen. (Thomas von Aquin) Es ist Antwort auf die tiefste Sehnsucht des Menschen nach Angenommensein und Geliebtsein. Es gibt Orientierung und Halt auf dem Weg durch die Zeit. Es verhilft zu einem erfüllten Leben. Es gibt Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Das Buch möchte zeigen, dass Christentum nicht etwas Zusätzliches zum Leben ist, sondern entdecken hilft, was sich aus dem Leben heraus von selbst zeigen will. Es will das ans Licht heben, was von sich aus sowieso schon „da“ ist. Es zeigt das Natürlichste, Selbstverständlichste und Normalste des menschlichen Lebens auf. Christentum ist ganz normal und ganz menschlich, es ist keine Sonderwelt. Es zeigt, wie das Leben geht,8 es ist insofern eine Lebens­philosophie. Es will dem Menschen zunächst sagen: Sei „normal“ und menschlich.

      Allerdings: Aus christlicher Sicht wird das Menschliche erst dann menschlich, wenn es sich selbst übersteigt. Der Mensch übersteigt den Menschen um ein Unendliches. (Pascal) Daher darf der Mensch nicht auf der rein menschlichen Ebene stehen bleiben. Zu sagen: das ist doch ganz menschlich, könnte zu wenig sein. Um wirklich menschlich zu werden, muss der Mensch mehr werden, als er ist, er soll – so komisch das klingt – vergöttlicht werden. Er soll sich je neu überschreiten auf das Göttliche hin, um ganz Mensch zu werden. Natürlich ist er schon „ganz“ Mensch durch seine Zugehörigkeit zur Spezies Mensch. Und so kommt ihm Menschenwürde zu, unabhängig von Alter, Rasse, Geschlecht und genetischer Ausstattung. Aber im Lebensvollzug muss er dieses Menschsein immer wieder neu einholen. Er muss sich je neu überschreiten auf die je neue Lebenssituation und den Nächsten hin, und schließlich auf den letzten Grund allen Seins. Erst von dort her wird er ganz Mensch und kann ausloten, was sein konkretes Menschsein bedeuten könnte. „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch Euer himmlischer Vater ist.“ (Mt 5, 48)

      Das vorliegende Buch will versuchen, all diese Inhalte in einfacher Sprache darzustellen. Es will weder eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben und seinen Dogmen leisten, noch eine theologische Grundsatzdiskussion führen. Es will den christlichen Glauben für den Alltag transparent machen. Daher ist das Buch auch für Atheisten und Agnostiker geeignet, die sich einfach informieren wollen. Dabei muss hier und da etwas vorausgesetzt werden, was erst später erläutert werden kann. Mit etwas Geduld wird der Leser seine Fragen beantwortet bekommen.

      Teil A

       ~

       Der Hinweg

       zum Christentum

      Der Mensch kommt ganz nackt zur Welt. Er ist nicht gefragt worden, ob er leben will. Niemand ist gefragt worden. Er muss dieses Leben leben, ob er will oder nicht. Er kann sich das Leben auch nehmen. Mancher tut dies, weil er mit ihm nicht zurechtkommt. Die meisten Menschen nehmen das Leben aber an. Zunächst hat der Mensch keine Wahl. Er wird ins Leben hingeworfen, er ist der Geworfene, wie Heidegger sagt. Der junge Mensch ist hilflos und auf andere Menschen angewiesen. Er kommt viel zu früh auf die Welt. Er ist eine physiologische Frühgeburt9. Das heißt, er müsste aufgrund seiner Komplexität etwa zwei Jahre im Mutterbauch heranreifen, um einigermaßen „fertig“ für die Geburt zu sein.

      Aber er kommt bereits nach neun Monaten auf die Welt. Daher ist er ganz unreif. Die Mutter und die Eltern müssen ihm helfen, zu überleben und ins Leben zu finden. Zum Überleben und zum Leben genügt es auf Dauer nicht, ihm nur zu essen zu geben. Jemand muss mit