Zwar wurde im Herbst 1980 nach blutigen Kämpfen die Stadt Choramschahr am Persischen Golf eingenommen, aber es wurden keine nennenswerten Geländegewinne erzielt. Von einem von Saddam Hussein geplanten Blitzkrieg konnte nun keine Rede mehr sein, die Kampfhandlungen entwickelten sich zu einem verbissenen Stellungs- und Grabenkrieg, bei dem auf beiden Seiten unzählige Opfer zu beklagen waren.
Sollte dieser Krieg zunächst einmal die Vorherrschaft am Persischen Golf regeln, dehnten sich die Kämpfe zunehmend entlang der irakisch-iranischen Grenze aus. Doch sie blieben nicht nur eine militärische Auseinandersetzung zwischen den Armeen beider Länder, sondern bezogen auch zunehmend die schiitische Bevölkerung im Süden des Landes, die noch verblieben war, sowie die Kurden im Norden in die Kriegsgeschehnisse ein.
Es entwickelte sich im Irak selbst schließlich ein Widerstand, der sich gegen die irakische Armee richtete und mit der Taktik der kleinen Nadelstiche durchgeführt wurde.
Kein Militärkonvoi, der durch die unwegsamen kurdischen Bergschluchten fuhr, konnte sicher sein, nicht auch einem Anschlag der gefürchteten Freiheitskämpfer, den „Peschmergas“, zum Opfer zu fallen.
Der Vorsatz, einen autonomen kurdischen Staat zu gründen, ließ diese Kämpfer alle erdenklichen Strapazen und Repressalien auf sich nehmen. Der Hass auf den Diktator Saddam Hussein war bei der unterdrückten kurdischen Bevölkerung ohnehin riesengroß.
Wenn der Präsident in den Norden des Landes reiste, hatten seine Geheimpolizisten schon Tage vorher alle Orte, die durchfahren wurden, genauestens inspiziert, um Anschläge ausschließen zu können. Wenn es nötig war, wurden sogar Häuser abgerissen, die eine uneingeschränkte Sichtachse versperrten. Geheimpolizei und Soldaten sicherten, bis an die Zähne bewaffnet, die Durchfahrt des Konvois ab. Auf den Dächern verteilt lagen Scharfschützen.
So ein Konvoi bestand aus etwa dreißig gepanzerten schwarzen Luxuslimousinen mit schwarz getönten Scheiben. Einen der Wagen fuhr Saddam Hussein immer selbst.
In mehreren Fahrzeugen saßen seine Doppelgänger, sogenannte „Fidais“, von denen er, wie sein Vorbild Josef Stalin, eine unbekannte Anzahl besaß.
Bei manchen öffentlichen Veranstaltungen ließ Hussein sogar seine „Fidais“ auftreten, die für die Zeit, während sie ihm „dienten“, von ihren Familien getrennt wurden und in seinem engsten Umfeld lebten.
Während der Fahrt wurde auf Kommando über Funk ständig die Position gewechselt, um das Risiko eines Anschlages so gering wie möglich zu halten.
Am Zielort angekommen, mischten sich zahlreiche Geheimpolizisten unter die Bevölkerung.
Husseins Geheimpolizei wurde übrigens von Spezialisten der Staatssicherheit der DDR ausgebildet.
Saddams gespielte Volksnähe und seine geliebte Selbstdarstellung waren einzig auf dem Fundament der Macht und der Gefährlichkeit der Geheimpolizei gegründet.
Als im Verlauf des irakisch-iranischen Krieges die Kriegskassen immer leerer wurden, rief der Präsident das Volk zur finanziellen Unterstützung auf. Die Liebe zum Staat und zur Regierung und die Möglichkeit für die Bevölkerung, ihrem Präsidenten helfen zu können, nutzen viele Menschen. Sie kamen zu Tausenden aus allen Teilen des Landes und spendeten Geld, goldenen Brautschmuck und andere Wertsachen. Keine der angesehenen Familien wollte und vor allem konnte sich hierbei ausschließen, weil diese riesige Spendenaktion tagelang im Fernsehen übertragen wurde und jedermann sah, wer sich an dieser Aktion beteiligte.
Für die einfache Bevölkerung aber war es die einzigartige Gelegenheit, selbst einmal die Pracht in Saddams Palast zu erleben, denn dieses Privileg hatten sonst nur wenige Auserwählte.
Jedem der Spender, so gering die Spende auch sein mochte, drückte Saddam Hussein persönlich die Hand, denn der täglichen stundenlangen Zeremonie wohnte er ununterbrochen bei.
Dieses Erlebnis war natürlich besonders für die Kinder prägend und reihte sie in die Schar der glühendsten Saddam-Anhänger ein.
Später musste ich erkennen, dass gerade diese Kinder im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren eine gefährliche Unbekannte darstellten, denn sie gingen mit der Gefahr und mit den Waffen, die sie mitunter trugen, völlig leichtfertig um. Es war in Ausnahmesituationen gerade für uns Ausländer gar nicht ungefährlich, diesen Kindern, auf der Straße zu begegnen, wenn sie Waffen trugen.
Für sie war es eine Genugtuung, dass wir bei dem Anblick ihrer Waffen doch recht zurückhaltend reagierten, denn wir konnten nicht einschätzen, wie weit sich die Kinder selbst unter Kontrolle hatten. Der Versuch, mit ihnen ein Gespräch zu führen, scheiterte besonders zu Beginn meiner Montagetätigkeit daran, dass ziemliche Verständigungsprobleme zwischen uns bestanden. Später, als ich die arabische Sprache in ihren Grundzügen beherrschte, änderte sich das.
Glücklicherweise waren Kinder mit Waffen nicht die Regel. Meist traf man sie nur dann, wenn entweder eine Schlacht gewonnen wurde, um Freudenschüsse abzufeuern, oder an Festtagen, um dann fröhlich herum zu knallen, mit scharfer Munition wohlgemerkt.
Wer jemals selbst so eine Waffe abgefeuert hat, der weiß, wie stark der Rückschlag einer Maschinenpistole bei kurzen Feuerstößen ist. Die Halbwüchsigen waren selbst nicht in der Lage einzuschätzen, wie groß die Gefahr war, die sie selbst darstellten.
Saddams Besuche in Kurdistan waren jedoch nicht etwa ausschließlich Propagandazwecken geschuldet. Er besuchte gleichzeitig einige seiner Paläste, die in den Bergen, meist an exponierten Stellen, errichtet wurden.
Einer dieser Paläste wurde gerade hoch oben in den Bergen, unmittelbar neben dem berühmten Kloster Deir Mar Matta gebaut und ich hatte das Glück, diesen Palast besuchen zu können.
Der Präsident besaß im gesamten Land verteilt über zwanzig Paläste, die sich ausnahmslos an attraktiven Plätzen, wie in der Nähe von kulturhistorischen Sehenswürdigkeiten oder in landschaftlich besonders reizvollen Lagen befanden.
Ein paar Tage nach unserem letzten Besuch in Bagdad, fuhren wir wieder in die Stadt und da es Donnerstag war und wir uns viel Zeit nehmen konnten, weil ein freier Tag folgte, wollten wir natürlich den Basar durchstreifen. Ein Basar, den es schon seit hunderten Jahren gab und der selbst in den Märchen aus 1001 Nacht Erwähnung findet.
Einige der Räuber, mit denen sich bereits Ali Baba herumgeschlagen hatte, schienen auf diesem Basar allerdings die Jahrhunderte unbeschadet überdauert zu haben. Man erkannte es an den oft unverschämten Preisen.
Hier und da war auch noch der „Dieb von Bagdad“ existent, denn es war nicht selten, dass Ausländer zwar mit einer Brieftasche in den Basar hineingegangen waren, aber den Souq leider ohne Brieftasche verließen. Habhaft wurde man keinem der Strolche, das Gewirr der Gassen erleichterte den Dieben die Flucht.
Eigentlich bestand der große Basar aus vielen Einzelbasaren, die jedoch alle miteinander durch schmale Gassen und Irrwege verknüpft waren.
Die einzelnen Basare wurden im Süden vom Tigris begrenzt und der Rashid bildete die nördliche Grenze. Die Waren wurden den jeweiligen Basaren zugeordnet. So gab es linker Hand des Rashid, zwischen der Ahrar- und der Sabataschbrigde, den Kupfer- und Messing-Souq, den Gold-Souq, den Textil-Souq, danach den Möbel-, Werkzeug-, Hausrat- und den Fahrzeugteile-Souq. Ihnen schlossen sich die Basare für Schuhe, Teppiche, Ziergegenstände, Lederwaren und Kosmetik an, alles unter Arkaden in hunderte Meter langen, verzweigten Gängen.
Bevor man vom Rashid aus in den Basar gelangte, kam man an der Kalifenmoschee in der Khulafa Street vorüber, von deren Minarett der Sage nach der Kalif Harun Al Rashid gemeinsam mit seinem Wesir als Kraniche verwandelt durch das Land flogen, um heimlich vom Volk zu erfahren, was die einfachen Menschen über den Kalif sprachen.
Diese Moschee unterschied sich erheblich von den anderen Moscheen in Bagdad, sie war aus sandfarbenen Steinen gemauert und wies nicht die sonst gebräuchlichen üppigen Farben auf. Die Bauweise dieser Moschee ist im Land einzigartig. Das Minarett wurde 1289 n. Chr. auf die Fundamente