Von dort ging es mit sogenannten Wüstenbussen zu den Sammelpunkten Basra oder Bagdad.
Diese Wüstenbusse sahen sehr spektakulär aus. Es waren PS-starke, klimatisierte, sehr farbenfrohe Sattelschlepperbusse, riesenlang und mit armdicken Chromstangen geschützt, um vorwitziges Vieh, wie Wildkamele, Esel, Schafe oder Rinder, von der Fahrbahn räumen zu können, wenn sie die Straße unvermittelt überquerten, nachdem sie scheinbar teilnahmslos am Fahrbahnrand gestanden hatten.
Die Fahrt in diesen Bussen war recht bequem, der Nachteil dieser Busfahrten allerdings lag darin, dass die Fahrer die gesamte Strecke hin und zurück alleine bewältigen mussten.
Das mag bei der Tour Kuwait-Basra-Kuwait nicht gar so schlimm gewesen sein, da dort eine einzelne Strecke nur etwa einhundertfünfundsechzig Kilometer betrug, aber bei der Tour Damaskus-Bagdad-Damaskus war eine einzelne Strecke achthundertfünfunddreißig Kilometer lang, so dass der Fahrer also 1670 Kilometer am Stück zurücklegen musste, eine Strecke davon bei Nacht. Das war mitunter sehr gefährlich, denn manchmal kam es vor, dass plötzlich Tiere die Fahrbahn querten, so dass der Fahrer dann den Bus ruckartig aus dem Gefahrenbereich bringen musste oder eine Vollbremsung machte.
Manchmal geschah es jedoch auch, dass ein Fahrer einnickte. Zum Glück waren die meisten Straßen im Irak sensationell ausgebaut und so konnte der Bus in diesen Fällen, meist gefahrlos in der Wüste ausrollen.
Für eine einzelne Strecke von Damaskus nach Bagdad benötigte der Busfahrer etwa achtzehn Stunden und jeder Kollege erhielt dafür einen Liter Trinkwasser, das allerdings schon nach kurzer Zeit ausgetrunken war, dann begann der Durst, der bis zum Ziel zur Qual wurde.
Das Abenteuer so einer Fahrt war mir glücklicherweise erspart geblieben und darüber war ich nicht traurig.
Mir gingen viele Gedanken durch den Kopf. Was wusste ich eigentlich von diesem Land, in dem ich für längere Zeit leben würde und das als die Wiege der Menschheit bezeichnet wird?
Abgesehen vom Geschichtsunterricht der sechsten Klasse, als man uns Schüler versuchte, das Zweistromland näher zu bringen, hatte ich jahrelang nichts mehr vom Irak gehört, bis im September 1980 dieser schreckliche Krieg zwischen den beiden Golfstaaten Irak und Iran ausbrach und ich mich mit der Möglichkeit auseinanderzusetzen hatte, in einem der beiden Länder arbeiten zu können.
Der Irak war zu jener Zeit eines der fortschrittlichsten arabischen Länder und war bereits im Altertum eine Brücke zwischen Europa und Asien. Die Lebensadern, die dieses Land durchziehen, sind vor allem der Euphrat und der Tigris, an dessen Ufern sich zahlreiche Ansiedlungen befinden, die nur durch diese Flüsse lebensfähig sind. Diese beiden Flüsse gaben dem Land den Namen Zweistromland und grenzen das eigentliche Kernland Mesopotamien ein.
Nach fünf Stunden Flug teilte uns der Flugkapitän über den Bordfunk mit, dass wir in wenigen Minuten den Airport Bagdad erreichen werden und dass wir die Verdunkelung wieder entfernen können. Die Uhr an meinem Handgelenk zeigte an, dass es kurz nach dreiundzwanzig Uhr mitteleuropäischer Zeit war, also kurz nach ein Uhr morgens irakischer Zeit.
Die augenblickliche Temperatur in Bagdad betrug fünfunddreißig Grad Celsius und ich fragte mich ernsthaft, welche Temperaturen Ende April am Tage herrschen würden und wie heiß es überhaupt werden kann.
Ich werde in meinem ganzen Leben das Gefühl nicht mehr vergessen, als ich im Landeanflug auf diese traumhafte Stadt schaute und alle Moscheen farbig angestrahlt waren. Entlang des Tigrisufers waren die zahlreichen Cafés mit bunten Lichterketten versehen und die Straßen erstrahlten als einziges Lichtermeer.
Die Stadt war so riesig groß, dass wir minutenlang über diesem Lichtermeer hinweg glitten, bis der Jet den Landeanflug fast geräuschlos bis unmittelbar vor dem Airport durchführte. Erst dort wurden die Turbinen wieder hochgefahren, um die Landung zu vollziehen.
Ein Krieg schien mir in diesem Land so absurd zu sein wie eine Blumenwiese in der Wüste.
Ich vibrierte innerlich vor Staunen und Aufregung und freute mich nun tatsächlich auf alles, was in Zukunft auf mich zukommen würde.
Wir landeten auf dem International Airport Bagdad, einem älteren unspektakulären Flughafen.
Als das Gepäck kontrolliert wurde, bemerkte ich mit Erstaunen, dass die irakischen Zollbeamten Unmengen an Schnaps und Zigaretten aus den Koffern der Kollegen „fischten“ und scheinbar uninteressiert in die hinter ihnen stehenden Behältnisse warfen. Offensichtlich hatten diese Kollegen die Einreisebestimmungen nicht eingehalten und hatten nun das Nachsehen.
Nach der Abfertigung ging es hinaus auf den riesigen Vorplatz des Airports und erneut war ich überwältigt.
Zum ersten Mal sah ich riesige Palmen in der Natur und eine Architektur, wie ich sie bisher nur aus Berichterstattungen im Fernsehen kannte. Doch besonders aufregend waren für mich die Menschen in ihrer außergewöhnlichen Kleidung. Frauen trugen entweder schwarze Gewändern oder farbenfrohe lange Kleider und Männer waren in bodenlange Dschellabas gehüllt und trugen Kopftücher, die ein doppelter schwarzer Reifen auf dem Kopf hielt.
Doch bei aller Vorfreude, allem Staunen und Schauen überlegte ich, wie es nun mit mir weitergehen würde?
Ich fragte einen deutschen Monteur, ob er mir sagen könnte, mit welchem der bereitgestellten Busse ich mitfahren müsste und er knurrte, dass es egal wäre, mit welchem Bus ich fuhr. Das verstand ich zwar nicht so recht, da es doch sicher verschiedene Baustellen im Land gab, aber ich stieg dann doch, leicht verunsichert zwar, in den nächsten Bus ein.
Die Fahrt führte mich vom Flughafen südöstlich nach Abu Ghraib, einem Stadtteil von Bagdad, der an der Straße von Bagdad nach Falludscha liegt und viele Jahre später noch traurige Berühmtheit erlangen sollte.
Dort angekommen, blockierten schon mehrere Busse die schmalen Straßen der Siedlung, in der sich unser Ziel befand, und nun begriff ich, warum es egal war, mit welchem Bus ich fuhr.
Alle Monteure versammelten sich nämlich zunächst in einem großen Haus in diesem Wohngebiet und wurden von dort aus neu verteilt.
In diesem Haus wurden unsere Pässe eingesammelt und ersatzweise mit provisorischen irakischen Pässen ausgetauscht. Das war eine Anordnung der irakischen Behörden und ich wunderte mich, dass auch ich bereits am Tag meiner ersten Ankunft so einen Pass bekam, aber schließlich fiel mir ein, dass ich ja bereits vor Monaten bei meiner Firma vierzig (!) Passbilder abgegeben hatte.
Die Formalitäten wurden von drei Leuten erledigt, zwei Männer und einer Frau. Diese Frau war von fast arabisch zu nennender Schönheit und ich musste sie zwanghaft immer wieder heimlich anschauen.
Sie trug ein farbenfrohes Kleid, wie es oft die jungen kurdischen Frauen tragen und hatte eine makellos gebräunte Haut. Ihr tadelloses Makeup unterstrich ihre aparte Erscheinung. Auffällig an ihr waren ihre mandelförmigen Augen, deren Wirkung sie jedoch zusätzlich geschickt mit Wimpernspirale sowie Kajal- und Augenbrauenstift unterstrich.
Wie ich erfuhr, nannten die Monteure sie „Mary“. Ihr richtiger Vorname war eigentlich Marina.
Sie war bei allen deutschen Monteuren äußerst beliebt, und auch ich konnte ihr meine sofortige Sympathie nicht versagen.
Zum ersten Mal hörte ich beim Passtausch von Baustellen in den Städten Bagdad, Basra, Samarra, Mosul, Hilla, Sulaymaniya, Tikrit, Nasiriya und anderen Orten, die mir jedoch völlig unbekannt waren.
Ich wurde der Flughafenbaustelle Muthana zugeteilt, ein Ort am Stadtrand Bagdads, was bedeutete, dass ich in jener Nacht in keinen Bus mehr steigen musste, weil ich gleich im Haus gegenüber untergebracht war.
Edgar, der Hausmeister der beiden Gebäude, der übrigens gleichzeitig auch Einkäufer und Postbote war, zeigte mir und einem weiteren, neu eingereisten Kollegen unser Zimmer und machte uns auf den dritten Mitbewohner aufmerksam, der ein etwas spezieller Mann mit ungewöhnlichen Eigenheiten sein sollte und deshalb bisher allein wohnte.
Wir gingen leise in das Zimmer hinein und ich war überrascht, was wir vorfanden.
Der