Zukunftsbildung. Dietmar Hansch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dietmar Hansch
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Экономика
Год издания: 0
isbn: 9783957440938
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in die Medien herausposaunen.

      Zwei damit verbundene, besonders wichtige Konsequenzen seien kurz erläutert.

      Erstens bewirkt die Überschwemmung der Märkte bis hin zu ihrer völligen Unüberschaubarkeit, dass der Kampf um mehr Qualität des Produktes sich immer stärker zu einem Kampf um die Aufmerksamkeit des Konsumenten wandelt. Wenn das zu lancierende Produkt nicht mehr deutlich besser ist als die anderen oder diese Tatsache aufgrund von allgemeiner Übersättigung niemanden mehr interessiert, bleibt nur eines: Auf irgendeine sachfremde und möglichst schrille Weise Aufmerksamkeit erregen: durch eine skandalöse Werbeidee, einen besonders prominenten Werbeträger u.a. Es gibt inzwischen Produktbereiche, in denen die Marketingkosten über den Herstellungskosten liegen – welch eine „postabsurde“ Konstellation! Auch hier sind die „normalen“ Möglichkeiten zunehmend ausgereizt und der unaufhörlich wachsende Konkurrenzdruck zwingt zu einer Primitivierung der Reize: Das Bemühen um das knappe Gut Aufmerksamkeit wird immer emotionaler, schriller, absurder, sexueller und gewalttätiger. Auf allen Ebenen erliegen Gesellschaft und Kultur einer Emotionalisierung, Personalisierung und Skandalisierung. Dies setzt zunehmend die gesunden Regulierungsfunktionen von Markt, Demokratie und kulturellen Werten außer Kraft, es fördert Verdummung, Verrohung, Demokratieverdrossenheit und einen gefährlichen Populismus.

      Zweitens kommt es zu einer Konsequenz, die Sie von Ihrem Computer kennen: Um Daten mit anderen Computern austauschen zu können, müssen diese mit den gleichen Betriebssystemen bzw. Programmen ausgestattet sein. Computer verstehen sich nur, wenn sie funktionsgleich sind. Und mit den Menschen ist das nicht anders. Je ähnlicher wir einander in Alter, Geschlecht, Kulturhintergrund, Beruf, Weltbild oder Religion, geteilten Schlüssel-Erfahrungen usw. sind, desto besser können wir einander verstehen. Die oben skizzierte Zersplitterung unserer Lebens-, Kultur- und Geisteswelten untergräbt genau diese gemeinsame Basis. Je größer die Vielfalt geistiger Inhalte wird, desto seltener kann es geschehen, dass zwei Menschen, die sich zufällig im Zug begegnen, am Vortag die gleiche Fernsehsendung gesehen haben oder just eben das gleiche Buch lesen (und wenn doch, handelt es sich meist um sehr populäre und damit eher anspruchslose Werke!). Je größer die Vielfalt geistiger Inhalte wird, desto unterschiedlicher auch der „Seelengehalt“ der Menschen. Je unterschiedlicher die Menschen werden, desto schwerer wird es, sich zu verstehen und für die Lösung komplexer Probleme einen Konsens zu finden. Und je schwerer es wird, Konsens zu finden, desto schwerer wird es auf allen Ebenen, mit Erfolg zusammen zu arbeiten.

      Parallel zu diesem giergetriebenen Prozess der Überdifferenzierung und Zersplitterung mit seinen genannten beiden Hauptfolgen vollzieht sich auch noch ein Prozess der Konzentration der wichtigsten universellen Wirkfaktoren: Reichtum, Macht und Popularität. Je besser man mit diesen Wirkfaktoren ausgestattet ist, desto größer sind die Möglichkeiten, sich giergetrieben diese Faktoren in noch größerem Maß anzueignen. Es handelt sich hier offenkundig um einen Prozess der Selbstverstärkung (forward feed back), der von einem bestimmten Punkt kaum noch etwas oder gar nichts mehr mit der persönlichen Leistung zu tun hat – zugleich schafft er extreme Unterschiede. Immer weniger Reiche werden immer reicher, immer mehr Arme immer ärmer. Immer weniger Mächtige gewinnen immer mehr an Macht, und alle anderen werden immer ohnmächtiger. Immer weniger Prominente werden immer bekannter und immer mehr Vergessene immer vergessener. All das ist in höchstem Maße ungerecht und häuft sozialen Sprengstoff an.

      Gier und metakognitive Inkompetenz sind also jene Faktoren, die uns aufs Ganze gesehen in das folgende soziale Dilemma führen:

      1. Die Konsens- und Kooperationsunfähigkeit wächst;

      2. Die innergesellschaftlichen Spannungen infolge zunehmender Ungleichverteilung und Ungerechtigkeit wachsen ebenfalls;

      3. Der äußere Druck (globalisierungsbedingte Konkurrenz, Ressourcenverknappung, Klimakatastrophe etc.) nimmt zu.

      Dass dieser katastrophische Dreiklang einen üppigen Nährboden für eine Vielzahl potenzieller Konflikte bietet, liegt so klar auf der Hand, dass wir uns weitere Beispiele sparen wollen (es finden sich genügend z. B. bei Bastian 2011). In Zeiten wachsender innerer und äußerer Bedrohungen nimmt also zugleich die Konsensbildungs- und Kooperationsfähigkeit und damit die Problemlösekompetenz der Gesellschaft ab. Ungünstiger könnte die Konstellation innerer und äußerer Gefahrenpotenziale kaum sein.

      Als ein wichtiges Resultat der genannten Entwicklungen ergibt sich, dass die psychischen Störungen in Form von Depressionen, Burnout-Erkrankungen und Angststörungen in den westlichen Wohlstandsgesellschaften erheblich zunehmen und immer jüngere Menschen betreffen. Arbeit, Wissenschaft und Technik sind einst entstanden, um das Leben zu erleichtern und zu verschönern – im Endeffekt aber haben sie zum Entstehen einer sozioökonomischen Megamaschine geführt, die eine Vielzahl von Menschen versklavt und unglücklich macht.

      Weltgemeinschaft:

      Auch in der Geschichte der Weltgemeinschaft haben menschliche Gier und metakognitive Inkompetenz verheerende Schäden angerichtet. Ungezählte Raub- und Glaubenskriege gehen auf ihr Konto. Dabei nahmen und nehmen sich Gier und intolerante Ideologien wechselseitig in Dienst: ideologische Eiferer spannen den Gierteufel vor ihren Streitwagen, um ausreichend große Massen für den Kampf zu mobilisieren, der oft genug unter dem Wahlspruch „koste es, was es wolle!“ geführt wird. Und umgekehrt wurden und werden Eroberungsgelüste immer wieder mit weltanschaulich-religiösen Maskeraden verhüllt.

      Zum Glück für die Menschheit sind in den letzten Jahrzehnten Großkriege seltener geworden, auch deshalb, weil sich internationale Großorganisationen wie UNO, OECD, EU, WTO, IWF oder IPCC (Weltklimarat) gebildet haben, die viele Konflikte leidlich regulieren. Freilich: nationale Egoismen führen auch hier in immer noch viel zu hohem Maße zu Fehlentwicklungen und Blockaden. Oft genug werden Verträge offen oder verdeckt unterlaufen. So kommt es zum fortgesetzten Raubbau an Gütern, deren Nutzung nur schwer kontrollierbar und begrenzbar ist („Allmende-Problem“): Überfischung der Meere, Wilderei, Vernichtung der Regenwälder, Umweltverschmutzung, Trinkwasserverknappung, CO2-Anstieg etc.

      Im nationalen und internationalen Rahmen treibt die Gier dazu, räumlich und zeitlich viel mehr Ressourcen zu verbrauchen, als statthaft wäre, würde nach dem Maßstab von Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit gemessen. Das trägt entscheidend zu Elend und Hunger in der „Dritten Welt“, das heißt auf der Südhalbkugel, bei und es wird mit größter Wahrscheinlichkeit auch zu massenhaftem Elend und Tod in naher Zukunft führen, und zwar weit über die menschliche Art hinaus, nämlich in der gesamten Biosphäre.

      Es ist eine leider unleugbare Tatsache: Lässt man Giermenschen in Giergesellschaften unter der so oft beschworenen Ägide maximaler Freiheit leben und wirtschaften, so führt auch das zu Opfern – freilich vor allem in beruhigender räumlicher und zeitlicher Entfernung. Es ist ein bequemer Selbstbetrug oder ein zynisches, wählerfreundliches Machtkalkül, die Illusion zu propagieren, es könnten internationale Regelsysteme installiert werden, die es allen erlauben, sich in unbeschränkter Freiheit und ungebremster Gier zu entfalten und zu wirtschaften, weil diese Regeln ähnlich der unsichtbaren (weil in Wahrheit gar nicht existenten) Hand des Adam Smith die Folgen so kanalisieren, dass kein Schaden am Gemeinwohl entsteht oder dieses sogar gefördert würde.

      So müssen wir ein Dilemma konstatieren: Diktatur, das hat die Geschichte erwiesen, funktioniert nicht – Freiheit aufs Ganze gesehen aber auch nicht! Wir kommen auf dieses Dilemma zurück.

      2 Gefangen im G-Attraktor: Gier-Gesellschaften

      Es gibt viele Möglichkeiten und Kriterien, die unterschiedlichen Gesellschaftsformen zu klassifizieren. Diktatur vs. Demokratie, Planwirtschaft vs. Marktwirtschaft, Volkseigentum vs. Privateigentum – um nur die bekanntesten Begriffe zu nennen. Aber offenbar haben die auf diesen begrifflichen Konzepten basierenden Theorien bisher nicht zu wirkungsvollen Durchbrüchen hin zu einer gerechten und nachhaltigen Gesellschaft geführt. Fangen wir deshalb einfach noch einmal von vorne an. Für den gesunden Hausverstand ist die Art des Antriebs ein ganz zentrales Klassifikationskriterium. Beim Auto etwa unterscheiden wir zwischen einem Diesel, einem Benziner oder einem Elektrofahrzeug. In Bezug auf die Entwicklung menschlicher Gesellschaften hatten wir gesagt, ihre Triebkraft sei die Wechselwirkung