Zukunftsbildung. Dietmar Hansch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dietmar Hansch
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Экономика
Год издания: 0
isbn: 9783957440938
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dauerhaften inneren Frieden und nachhaltige Erfüllung. Egoistische Verhaltensweisen, Engstirnigkeit und Dogmatismus erzeugen soziale Konflikte und verhindern tiefe, tragfähige und belastbare menschliche Bindungen. All dies kann zur Entstehung psychischer Störungen beitragen, deren Inzidenz in den westlichen Ländern stetig steigt. Wir wollen Menschen, die in diesem Entwicklungsstadium stecken bleiben, als außengeleitete Ego-Menschen bezeichnen. Diese sich ständig verstärkende „Außenleitung“ hat der Soziologe David Riesman bereits in seinem Bestseller „Die einsame Masse“ in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts treffend beschrieben (Einzelheiten dazu bei Bastian 2012).

      Beziehung und Familie:

      Menschliche Beziehungen haben eine biologische und eine geistigkulturelle Ebene. Die biologische Ebene wird von Phänomenen geprägt wie vom Verliebtsein im Sturm von Hormonen und Sinnlichkeit, von Sexualität bis hin zu Sexsucht und Promiskuität, von Dominanz und Unterwerfung, Eifersucht und Kontrolle.

      Die geistig-kulturelle Ebene konstituiert sich durch Ähnlichkeit, Resonanz und Koevolution bezüglich Werten, Grundanschauungen, Interessen und Lebenszielen. Sie verwirklicht sich in nichtbesitzergreifender Liebe, verleitet dazu, sich am anderen um seines puren Seins willen zu freuen, und macht es möglich, dem anderen Freiheit zu lassen, an seiner Entwicklung Gefallen zu finden und sie fördern.

      Bei „Ego-Menschen“ in der oben skizzierten Bedeutung des Wortes entwickeln sich auch die zwischenmenschlichen Beziehungen nur wenig über die biologische Ebene hinaus. Das biologische Funktionsniveau bleibt führend und vergewaltigt fortwährend den zumeist ja doch vorhandenen geistig-kulturellen Kern der Partner: den anderen ständig bewerten und nach seinem Bilde formen wollen, Machtspiele von harmlosen Tricksereien über permanente verbale Verletzungen, Hass und Rache bis zur körperlichen Gewaltausübung (ca. drei Viertel aller Morde geschehen in einer Partnerschaft – die Hauptmotive sind Habgier und Eifersucht!), Missbrauch des anderen als Statussymbol, Fremdgehen, Intrigieren, Lügen, engherzige Feilschereien um den kleinsten Vorteil, tagelanges beleidigtes Sich-Anschweigen, verbohrtes Rechthaben-Müssen, Streit, schnelle Emotionalisierung und Unfähigkeit zur halbwegs sachlichen Konfliktklärung, Misstrauen, Kontrolle, Nötigung, – das und noch anderes mehr bestimmt leider den tristen Alltag in nicht wenigen Beziehungen.

      Team/Firma:

      Hier ist es sinnvoll, zwischen einer Beziehungsebene und einer Sachebene zu unterscheiden. Mit Beziehungsebene sei hier all das gemeint, was um Themen wie Selbstwert, Ego, Hierarchie oder gar Hackordnung kreist. Es handelt sich also um jene Ebene, auf der sich die biologischen Mechanismen der Beziehungsbildung manifestieren. Unter Sachebene wollen wir hingegen jene Prozesse und ihre kulturelle Eigenlogik verstehen, in denen sich die geistig-kulturellen Inhalte und Gegenstände formen, um deren Schaffung willen Menschen kooperieren: die Herstellung komplexer Produkte, die Erarbeitung von Konzepten und Planungen, die Realisierung von Projekten, das In-Gang-Halten geordneter Verwaltungsabläufe etc.

      Für den Erfolg der Kooperation ist es entscheidend, dass sich die Eigenlogik der Prozesse auf dem geistig-kulturellen Niveau möglichst unverzerrt entfalten kann. Alle Einwirkungen vom Niveau der biologischen Beziehungsbildung sind störend und vermindern den Erfolg. Den Ursprung dieser Störimpulse bilden überwiegend die verschiedenen Formen der Gier (und ebenso ihrer emotionalen „Kehrseite“, der Angst). Einige Beispiele: jemand sagt etwas, das sachlich gar nicht erforderlich ist, weil er meint, dass auch er etwas gesagt haben sollte; ein anderer beharrt auf einer sachlich falschen Position, weil er glaubt, aus Statusgründen recht behalten zu sollen; der dritte drängt Entscheidungsprozesse in eine Richtung, die sachlich unangemessen ist, ihm aber zu einer höheren Stellung mit besserer Bezahlung verhilft; eine sachlich richtige Entscheidung wird verhindert, um einem Konkurrenten zu schaden, die Ingenieurs-Fraktion ist aus Prinzip gegen das, was die Designer-Riege vorschlägt; aus Angst vor dem cholerischen Chef macht jemand nicht auf einen gravierenden Fehler aufmerksam; eine Mitarbeiterin entwickelt eine tolle Idee, äußert sie aber nicht aus Angst, sich zu blamieren; und schließlich hievt noch einer einen guten Freund und Verbündeten auf einen Posten, für den dieser fachlich nicht geeignet ist, der aber eine strategische Schlüsselposition im Machtkampf bildet.

      Sie werden aus eigener Erfahrung bestätigen können: All das und noch viel mehr steht oft genug auf der Tagesordnung innerbetrieblicher Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse. Wenn man sich das bewusst macht, liegt offen zutage: es kann am Ende nicht viel herauskommen, was wertvoll und von Dauer ist. Fast alle sozialen Organisationen, die wir persönlich kennengelernt haben, arbeiten höchst ineffizient. Es gibt studienbasierte Schätzungen, dass in Firmen bis zu 50% Produktivitätseinbuße durch interne Grabenkämpfe entsteht. In nicht wenigen Bereichen dürfte auch hier das altbekannte Pareto-Prinzip gelten: 20% aller Aktivitäten bewirken spürbare Effekte, 80% dienen der Selbstbeschäftigung und sind letzten Endes „für die Katz“. Natürlich spielen hier auch noch andere Faktoren eine ursächliche Rolle (vgl. Hansch 2010), aber die oben skizzierten Wirkimpulse der Gier und der metakognitiven Inkompetenz sind aller Wahrscheinlichkeit nach für den Hauptteil der hier nur grob umrissenen Schäden verantwortlich. Das mit Abstand größte Wachstumspotenzial, das es in dieser Welt gibt, liegt in der Verbesserung unserer Fähigkeiten zur Kommunikation und Zusammenarbeit.

      Gesellschaft/Staat:

      Die Entwicklung menschlicher Gesellschaften wird angetrieben durch das Wechselspiel von Gier und Innovation. Dieses Wechselspiel ist ein Prozess des sich selbst beschleunigenden Wachstums. Technische Innovationen ermöglichen die Schaffung von Mehrwert. Das facht die Gier maximal an und führt zu Investitionen zur Ermöglichung von noch mehr Innovation. Der neu geschaffene Mehrwert differenziert sich aus zu einem sich immer mehr verbreiternden Strom von Produkten, die an unterschiedlichste Bedürfnisse anknüpfen. Doch die Zahl der Menschen ist begrenzt und zumindest die angeborenen Grundbedürfnisse der Menschen sind es ebenso. Damit ist auch der Raum der Befriedigungsmöglichkeiten und der dies versprechenden Produkte begrenzt.

      Im Bereich der wichtigsten Grundbedürfnisse verfügen wir schon heute über Produkte, die den genetisch fixierten Rahmen unserer Erlebnismöglichkeiten weitestgehend ausschöpfen. Aus Fett und Zucker wird sich kaum noch etwas kombinieren lassen, das ein Geschmackserlebnis verspricht, das deutlich über dem liegt, was heutige Supermärkte für moderate Preise im Angebot haben. Der Komfort und die Funktionalität moderner Kleidungsstücke, Wohnungen oder Automobile lassen keine wirklich relevanten Wünsche mehr offen (außer natürlich der noch nicht voll eingepreisten ökologischen Verträglichkeit). In immer mehr Bereichen beginnen sich die Märkte zu sättigen, das Wachstum verlangsamt sich und der Grenznutzen sinkt: immer mehr Aufwand bringt – ab einem bestimmten Punkt – immer weniger Ertrag. Gier und Angst als Antreiber der Marktwirtschaft mögen viel Leid unter die Menschen gebracht und der Umwelt schwerste Schäden zugefügt haben – man kann aber nicht leugnen, dass sie auf der anderen Seite den wissenschaftlich-technischen Fortschritt vorangetrieben haben. Das Ergebnis bilden etliche wertvolle Technologien und Produkte, die ein hohes Potenzial in sich tragen, auch einem ökologischen, sozialen und geistig-moralischen Fortschritt dienlich sein zu können (insbesondere Informations- und Umwelttechnologien).

      In weiten Bereichen beginnt sich allerdings auch diese positive Seite der Gier in ihr Gegenteil zu verkehren. Die zunehmende Sättigung aller Märkte führt zu einer kontraproduktiven Überdifferenzierung – immer mehr Produktvarianten entstehen in immer unsinnigeren Ausformungen: um eine Chance zu haben, auch noch die 101. Sorte Zahncreme verkaufen zu können, muss man rot auf die Tube drucken: „Neu – mit Vitamin C!“ Um auf einem Buchmarkt mit einigen Zehntausend Neuerscheinungen jährlich überhaupt noch wahrgenommen zu werden, muss man in immer „feuchtere Gebiete“ hinabsteigen. Bei der Auswahl von Handytarifen gibt es inzwischen nichts mehr, was hilft. All das überfordert die Menschen und trägt zu Unübersichtlichkeit und Zersplitterung unserer Welt bei.

      Diese Entwicklung betrifft nicht nur die Sphäre materieller Produkte, sondern auch den administrativen und geistig-kulturellen Bereich. Von allem gibt es immer mehr: Sachgebiete, Referate und Unterabteilungen, Wissenschaftsteildisziplinen, Kunstrichtungen und Musikstile, kulturelle Subgruppen und Internet-Communities. Um als Wissenschaftler wahrgenommen zu werden, muss ich immer schneller – und damit weniger gründlich und fundiert – mit immer spektakuläreren Neuigkeiten in immer mehr Publikationen auftreten. Um als Wissenschaftler