»Zu gefährlich?«, höhnte Guimaraes. Jetzt auf einmal! In Medellin tobten sie wie die Irrsinnigen. Ihr Äthervorrat sei am Ende und die Extraktion der Kokablätter stehe still. Cariaga hatte McGooley zweimal warnen lassen. Hatte der Manager vielleicht darauf gehört? Oder meinte er am Ende, nur seines US-Passes wegen könne er sich alles erlauben? Was für eine Illusion!
Nach einigem Hin und Her hatte Cariaga seinen Männern Recht geben müssen. Außerdem wisse McGooley inzwischen viel zu viel. Auch in diesem Loch stocherte man die ganze Woche über. Der Kerl müsse weg. Guimaraes gab nicht nach. Nur Cariaga schwankte immer noch. Kurz vor Wochenende gab er auf.
»Entao, queima de arquivo«, sagte er lustlos, als er das Meeting beendete und das bedeutete nicht mehr als undichte Stellen im Netz mit etlichen Leichen zuzudecken. Doch nicht nach einer letzten Chance für McGooley. Deadline war am Wochenende.
»Macht den Tunnel frei!« Cariagas Stimme krächzte, als er nach Barrios verlangte. Antonio Guimaraes saß auf der Schreibtischkante und hörte mit. Lange wird’s der Alte nicht mehr machen, überlegte er, stellte dabei ein bedenkliches Gesicht zur Schau, doch hütete er sich, einen weiteren Kommentar abzugeben.
»Wo ist Barrios«, fragte Cariaga ungeduldig. Bolzoni antwortete nicht sofort und schöpfte Atem.
»Wahrscheinlich noch in seinem ›Paratí‹!«
Cariaga murrte durchs Telefon. »Ich will ihn um elf bei mir sehen.«
»Sim Senhor«, erwiderte Bolzoni, fast einen Ton zu forsch. Erst gestern war er beim Chef angeeckt. In den nächsten Tagen durfte er sich nicht das Geringste erlauben.
»Todo está arranjado«, sagte er leise. Und das stimmte auch. Bis ins letzte Detail hatten sie alles vorbereitet. Zuverlässig. Nichts hatten sie jemals dem Zufall überlassen.
»Ich fahre jetzt los!« Cariaga krächzte immer noch und schien sich beim Sprechen anstrengen zu müssen, zwischendurch immer wieder nach Luft ringend.
»Barrios«, ächzte es in der Leitung. »Ich will Barrios bei mir sehen.«
Abrupt klappte Cariaga sein Handy zu. Guimaraes verzog das Gesicht und rutschte vom Tisch herunter. Bolzoni grinste zurück. Der Anruf war vorauszusehen. Nur nicht so schnell. Keine fünf Minuten war es her, seit die Boys den Cadillac im Tunnel hochgehen ließen und schon meldete sich der Boss.
»Also dann wollen wir mal!« Guimaraes schaltete den kleinen TV-Empfänger auf dem Schreibtisch aus und ließ die Sonnenblenden der beiden Fenster zur Seite gleiten.
»Zehn vor neun«, brummte er.
»Acht vor«, widersprach Bolzoni. »Nur um ganz genau zu sein.« Guimaraes zuckte mit den Schultern. Auf alle Fälle musste sich der Coronel um diese Zeit auf dem Weg zu seiner Dienststelle befinden.
»Ob er es schon weiß«, rätselten sie.
»Ruf ihn doch an!«
Coronel Bonrosa nickte unwillkürlich, als er die verhasste Stimme im Handy hörte. Fast so, als ob ihm die Kerle dabei auch noch ins Gesicht sehen könnten. Das fehlte ihm noch. Seit sich der Polizeioffizier zu weit vorgewagt hatte, waren ihm Zweifel gekommen. Vor allem, was Guimaraes betraf. Er wird sich schnellstens bei Barrios Rückendeckung verschaffen müssen.
»Warum hat der Kerl auch nicht besser aufgepasst?« murmelte der Polizist, nachdem Guimaraes aufgelegt hatte. Dann bekam er wieder einmal seinen roten Kopf. Konnte sich nicht jeder an seinen fünf Fingern abzählen, wie das mit diesem Amerikaner ausgehen wird? Selbst Barrios, der gewöhnlich keinen Ton von sich gab, hatte letzten Donnerstag im Club etwas bemerkt, was seine beiden Zuhörer misstrauisch werden ließ.
»Passt mal gut auf euer Tunnelchen auf«, drohte er mit dem Zeigefinger und dabei lachte er leise, so als ob es nur um einen abgedroschenen Bierwitz ginge.
Nur mit der Vollstreckung hatten sich die Brüder diesmal mehr Zeit gelassen. Weiß der Teufel warum, aber aus irgendeinem Grund hatten sie das Attentat so lange vor sich hergeschoben, so dass man am Ende nicht mehr daran glauben wollte.
»Was sagten Sie, Coronel?«, fragte der Sargento, der den Wagen durch das Chaos der Avenida Rio Branco steuerte. Bonrosa biss auf seine Zähne. Dann presste er die Lippen aufeinander.
»Nichts, gar nichts«, murrte er. »Nichts Besonderes jedenfalls.«
Als sie die ›Getulio Vargas‹ überquerten, winkte er der Besatzung eines Streifenwagens, die den Verkehrsstrom aufhielt, um Barrios vorbeizulotsen.
»Vor einer halben Stunde, im Tunnel ... gehöriger Kugelregen!«
»Entführung?«, fragte sein Fahrer.
Barrios zuckte mit den Achseln. »Vielleicht, vielleicht auch nicht! Jedenfalls eine gewaltige Detonation und ein paar Tote natürlich. Genaues wissen sie noch nicht.« Und damit beendete er den Kommentar.
»Mhm«, machte der Fahrer, und fragte sich, mit wem der Coronel gesprochen haben könnte. Dann surrte das Handy zum zweiten Mal. Die scharfe Stimme schreckte Bonrosa auf.
»Wir werden da ein paar Problemchen kriegen«, warnte Barrios.
»Ich höre«, sagte Bonrosa vorsichtig, ohne weitere Erklärungen zu bekommen. Der Name McGooley war tabu, mindestens so lange man offiziell nichts wusste.
»Die haben doch wieder mal keine Ahnung von nichts«, behauptete Bonrosa und dachte sofort an den Stunk, den es mit den Schlaksen von der Botschaft geben wird. Und die werden wieder alles haargenau wissen wollen, und das FBI wird die Interpol mobilisieren und womöglich noch einen Sonderbeauftragten schicken. Natürlich wird es Proteste hageln. Warum man in Rio nicht in der Lage sei, mit den Banditen endlich aufzuräumen. Als ob sie in Chicago und Los Angeles nur Nonnenklöster hätten.
»Drück mal auf die Tube«, herrschte er seinen Fahrer an. »Los, zu dem verdammten Tunnel rüber!«
Der Sargento ließ die Sirene aufheulen. »Rebouças«, fragte er und reizte den Oberst unnötigerweise.
»Klar, Rebouças!«, bellte Bonrosa. »Wohin denn sonst?«
An der Einfahrt des Tunnels war die Truppe vom Dienst mit den Nervenbündeln wochenendhungriger Fahrer noch immer nicht fertig geworden. Irgendein Blödian hupte mitten im Tunnel. Purer Protest natürlich. Oder weil der Kerl so einen Spaß an seiner Dreiklanghupe hatte. Anstatt froh zu sein, dass er’s nicht war, den sie auf der Liste stehen hatten.
Dann kamen die Burschen vom technischen Dienst mit der antiquierten Anlage nicht zurecht. Das kannte man vom letzten Mal. Als erstes fielen immer die Entlüfter aus und dann war das Licht weg. Im Dunkeln flogen hundert Türen auf, hemdsärmlige Fahrer wischten sich den Schweiß aus den Gesichtern und palaverten im Scheinwerferlicht der Wagen.
»Que passa de novo ... a última vez ...« Das, was dieser Filialdirektor sonst noch für mitteilenswert hielt, ging im Sirenengeheul eines Polizei-Jeeps unter. Hinter dem Schatten des Fahrzeugs stachen die Scheinwerfer des Abschleppwagens in die Finsternis.
Neun Uhr 15! Die Blechlawine aus Ipanema rollte an. Und kein halbes Dutzend wusste in diesem Moment, um was es heute Morgen ging. Bonrosa überhörte die Frage seines Fahrers.
Raubmord? Entführung? Auffahrunfall? Man hockte eben da und wartete und wusste nicht, wo vorne und hinten war und wann man endlich raus wäre aus dem Loch.
»In den Wagen sitzen bleiben! Rechts ran, bitte!« Nassgeschwitzt im Jeep stehend, brüllte ein Beamter in sein Megafon.
»Nada de grave. Todo esta em ordem«, wurden sie alle zwei Minuten beschwichtigt. Alles in Ordnung also? Nichts Besonderes? Weshalb dann die ganzen Fernsehteams?
»Kein Grund zur Aufregung«, wurden sie beruhigt. »Nur eine kurze Unterbrechung.«
Blitzlichter schossen an der Tunnelwand entlang. Sekundenlang tauchten Blechfetzen im Dunkel auf, zerrissen, aufeinander