Milford Track: Wo die Berge die Wolken kitzeln
„Der Milford Track ist ein Klassiker“, sagt Marcel Hainke. Gemeinsam mit seiner Freundin Lisa Schönhoff hat mein Freund diesen Great Walk gemacht: Vier Tage für 53 Kilometer im tiefsten Fiordland. Die Wanderung ist nicht nur ein Klassiker, sie gilt auch als eine der schönsten Wanderungen der Welt. Das ist nicht nur dem vielen Wasser geschuldet, das in großen Wasserfällen immer wieder in der Nähe des Weges hinunterstürzt. Auch die Vielfalt sei beeindruckend: „Von ruhigen Flussläufen, wo man barfuß ins kalte Fiordland eintauchen kann, geht es über weiches Moos hinauf auf die steilen Berge“, sagt der 25-jährige Marcel. Gerade die Southern Alps mit dem Schnee auf ihren Spitzen und den tiefen Schluchten dazwischen seien absolut beeindruckend gewesen. „Der Punkt da oben auf dem Gipfel in etwa 1200 Meter Höhe – einfach toll. Diese Eindrücke könnten aus einer Werbung stammen!“
Dass es in Fiordland häufig regnet, ist keine Neuigkeit. Im Jahr kommt es an durchschnittlich 200 Tagen nass vom Himmel. Marcel und Lisa hatten Glück: Die ersten drei Tage hatten sie Sonnenschein und Wolken, aber keinen Regen. Denn sind die Klamotten einmal nass, läuft es sich nicht nur unangenehm – man bekommt sie auch nicht mehr trocken. Und das, obwohl der Milford Track keine Alternative zum immerhin bescheidenen Luxus lässt: „Es gibt keine Campingplätze, nur Hütten“, erklärt Marcel. Darin seien die Nächte kurz – aber die Abende umso lustiger, da man sich immer mit denselben Personen den Ess- und Schlafbereich teile. Denn die Wanderung kann man nur vom festen Startpunkt aus, dem Glade House am Nordufer des Lake Te Anau, beginnen, und dann geht man in Richtung Milford Sound, wo der Weg an einem Punkt des Fjordes endet, den man mit einer gewöhnlichen Touristen-Bootstour gar nicht kennenlernt.
Da es keinen Gegenverkehr gibt, wirke der Great Walk sehr leer. „Man bewegt sich nun mal immer in dieselbe Richtung“, so Marcel. Doch der Wanderstrom hat auch seinen ganz klaren Nachteil: Einmal mit einem Schnarcher im Schlafsaal, immer mit diesem Schnarcher im Schlafsaal – und eine schlaflose Nacht kann bei dem Fußmarsch mit viel Gepäck auf dem Rücken sehr nervig sein.
Bei aller Schönheit der Landschaft, Abenteuerlust und Abgeschiedenheit. Wenn es hier regnet, dann regnet es. An Marcel und Lisas viertem Tag schüttet es dann auch. „Dadurch war für uns der letzte Tag der anstrengendste. Auf dieser Etappe kam noch nervliche Erschöpfung hinzu“, so Marcel. Stellenweise, so erzählt der Wittener, mussten sie durch knietiefes Wasser waten. Spätestens nach drei Stunden wurde es nur noch von Schritt zu Schritt schlimmer. Doch da bleibt nur die Flucht nach vorne. Im Nachhinein kann man dann aber mit Stolz behaupten, den bekannten Milford Track gemeistert zu haben.
Für den Milford Track muss man die Hüttenplätze, genauso wie für die anderen Great Walks auch, reservieren. Da es bei dieser Viertageswanderung aber keine Campingplätze gibt, ist die Anzahl der Matratzen auch gleichzeitig die Kapazitätsgrenze. Die Folge: Gerade im Sommer ist es schwer die begehrten „Hüttenpässe“ zu bekommen. Schon Wochen vorher sind normalerweise alle vergriffen und man kann nur mit Glück noch einzelne Tickets bekommen. Im Winter lässt sich die Route einfacher begehen – allerdings nur, was die Belegung angeht: Ansonsten ist es ausgesprochen gefährlich, im Winter den Track zu wandern. Schnee, enorme Lawinengefahr, schnelle Wetterumschwünge und nur wenige Wanderer.
Kommerzielle Wanderführer bieten ihre Touren auch aus diesem Grund üblicherweise nur im Sommer an. Für knapp 2000 Dollar (pro Person) werden bei diesen Touren Naturerlebnis mit Luxus-Feeling verbunden. Die Unternehmen nehmen einem die Last von den Schultern, anstelle von rustikalen Hütten warten komfortable Lodges am Wegesrand und statt trockenen Nudeln oder Haferschleim gibt es ein aufwendiges Abendessen. Inwiefern der gesamte Track mit diesem Rundum-sorglos-Paket noch das ist, was er eigentlich darstellt, bleibt jedem selbst überlassen.
Der Track schlängelt sich durch Fiordland
Tierähnliches Holz
Also nehmen wir die Straße nach Milford in Angriff und stoppen schon bald für unseren ersten Gang am Lake Mistletoe. Ich mache es an diesem Tag Maria mal wieder nicht einfach, bin mit der Reiseplanung der nächsten Tage unzufrieden. Immerhin finden wir bei der Wanderung im moosigen Wald nicht nur einen Baum, der wie ein Einhorn aussieht, sondern Maria entdeckt auch eine freilebende Stabheuschrecke. Es gibt zwischen Te Anau und dem Milford Sound knapp zehn DOC-Campingplätze, die alle mit sechs Dollar pro Person erschwinglich sind – und dies wird noch nicht einmal immer kontrolliert. Wir entscheiden uns für die erste Nacht in den Tiefen Fiordlands für einen Campingplatz direkt am Fluss. Sofort wollen wir das Gewässer erkunden und laufen entlang des Ufer zum Informationsbrett. Auf dem Rückweg versinke ich im Morast: Mein Wanderschuh ist voller Wasser. Auf Sonne zum Trocknen kann ich heute vergeblich warten – es ist bewölkt, und die Dämmerung setzt sowieso schon eine Stunde später, gegen sechs, ein. Die Idee, ein romantisches Lagerfeuer zu entfachen, scheitert am durchnässten Holz. Der Schuh muss also über Nacht irgendwie anders trocken werden.
Holzähnliches Tier
Kaum haben wir es uns in unseren Campingstühlen bequem gemacht, müssen wir in den Van flüchten: Schon vorher hatten wir an anderen Stellen auf der Südinsel Bekanntschaft mit den sogenannten Sandflies gemacht. Kleine, fruchtfliegenartige Geschöpfe, die es überall gibt, wo keine Meeresbrandung in der Nähe ist. Besonders gern haben sie aber feuchte Gebiete, weswegen Fiordland ideal für sie ist. Sandflies beißen unangenehm in die Haut, um an Blut zu kommen. Während dies normalerweise nur einen Juckreiz von wenigen Minuten auslöst, hat unser Körper aber zwei Schwachstellen, die auch die Fliegen kennen, wie wir an diesem Abend feststellen müssen. An Knöcheln und Handgelenken, wo kaum Fett vorhanden ist, schwillt die Haut an und es juckt höllisch. Frustriert warten wir im Van, bis die Sonne untergeht und so die Sandflies verschwinden. Kaum sind diese auch tatsächlich weg, beginnt es aber zu regnen. Kochen unter freiem Himmel klappt heute nicht mehr. Wir stellen die Töpfe zum ersten Mal im Wagen auf die Gasflammen. Mit bangen Blicken verfolgen wir, wie der Wasserdampf vom Reiswasser in die Klimaanlage und die Innenverkleidung zieht, kochen wir auf engem Raum – aber es funktioniert.
Am nächsten Morgen scheint zwar die Sonne und mein Schuh ist wieder trocken, aber es ist klar, dass längere Wanderungen an den Sandfly-Bissen an Marias Knöcheln scheitern werden. Rot und dick angeschwollen ist die dünne Haut an den Gelenken. Wir wollen es dennoch versuchen und machen den Summit Key-Weg. Der Pfad durch Regenwald voller Moos ist auch das Ende des dreitägigen Routeburn Track. Für die angeschlagenen drei Stunden bergauf, vorbei an Wasserfällen und unter umgekippten Bäumen hindurch, brauchen wir nur zwei Stunden. Oben angekommen, erfüllt sich nicht unsere Hoffnung, dass wir durch die Wolken kommen und den einmaligen Ausblick genießen können. Stattdessen peitscht uns der Wind ins Gesicht und wir blicken in den Nebel. Alles ist nass, teils hat das Department of Conservation, das die unzähligen Wanderwege in bestem Zustand hält, Holzstege in den Sumpf gebaut. Die Wolkenmasse ist dicht. Nur für einen Moment reißt das wabernde Weiß um uns herum doch noch auf und wir erhaschen kurz die Aussicht auf die hohen, weißen Gipfel uns gegenüber. Warten