Und wieder sind wir in Christchurch. Der Glaser dichtet die Scheibe ohne Probleme ab. Also fast. Denn am ersten Regentag ist wieder alles nass. Im zweiten Dichtungsanlauf schafft dann auch er es, die Scheibe abzudichten. Dennoch ist die Stimmung absolut am Boden – gerade ich habe keine Lust mehr. Backpackerleben, das bedeutet: Plan- und Orientierungslosigkeit bestimmen den Weg. Damit komme ich nicht klar. Aber noch schlimmer: Ich belaste durch meine schlechte Laune auch das Zusammenleben mit Maria. Hinzu kommt, dass ich Panik habe, keinen bezahlten Job zu finden. Meine pessimistische Theorie ist, dass wir unser Geld ausgeben und dann erst nach einem Job suchen, wenn wir kaum noch einen Dollar haben – und dann? Dann müssen wir eher zurückreisen. Also dränge ich darauf, schon jetzt in Christchurch Arbeit zu suchen. Denn zu tun gibt es hier genug – vor allem im Baugewerbe. Nach einigem Murren nimmt Maria dies zum Anlass, sich bei einigen im Internet ausgeschriebenen Jobs zu bewerben. Nach nur einer halben Stunde hat sie zwei Einladungen für Vorstellungsgespräche im Posteingang ihres Mail-Kontos. Und ich? Ich habe Weinberge angerufen, Landwirtschaftsjobs auf der ganzen Südinsel angeschrieben, meinen Lebenslauf bei Fastfood-Ketten und Supermärkten abgegeben. Doch nirgendwo gibt es eine postwendende Reaktion wie bei Maria. Von vielen Bewerbungen höre ich gar nichts mehr. Zwischen Maria und mir kommt es zum Streit, den wir zwar beilegen, aber es bleibt angespannt. Wir vereinbaren abzuwarten, was bei Marias Vorstellungsgesprächen herauskommt. Und ich bewerbe mich in der Zwischenzeit bei Leiharbeitsfirmen, bei denen man schnell Jobs bekommt, wie mir andere Backpacker in New Brighton auf dem Parkplatz am Strand erzählen. Nach zwei Tagen bei Fiona und Gary sind wir nämlich wieder ans Meer gewechselt – wir können diese Gastfreundschaft einfach nicht noch länger ausnutzen.
Zwei Baumarbeiter nach der Arbeit
Kitschig, aber niedlich: Das „Sweethearts“
Marias Vorstellungsgespräch läuft gut, und sehr gut dann sogar ihre Probearbeit. Sie bekommt den Job zwischen „Victorian High Tea“, Kaffeekränzchen und aufwendigen Speisen für den Hunger zwischendurch. Das ganz in pink gehaltene Café wird hauptsächlich von älteren Damen besucht und heißt „Sweethearts“. Während Maria arbeitet, fahre ich durch Christchurch mit der Straßenkarte auf dem Lenkrad, vegetiere in den Büchereien vor mich hin, treffe mich mit Paul (dem Austauschschüler der Familie) oder besuche die gesamte Familie. Außerdem nähe ich über zwei Stunden hinweg ein Kissen für meinen Rücken beim Autofahren. Ich komme richtig in Schwung, steche die Nadel durch und führe sie wieder nach oben durch den Stoff – blöderweise bin ich so auf Nadel und Faden fokussiert, dass ich das Kissen am Lenkrad festnähe. Das Entwirren kostet mich eine weitere Dreiviertelstunde. Am Ende zeige ich aber durchaus mit Stolz Maria mein Kissen, als ich sie vom Café abhole. Ich füge mich also in die Situation, keinen Job zu finden. Mir wird in diesen ersten zwei Tagen klar, wie hart es sein muss, arbeitslos zu sein und erst recht, wenn dann noch eine Familie daran hängt. Es ist ein unschönes Gefühl, wenn man sich bewirbt und unbedingt arbeiten will, aber noch nicht mal als Tütenpacker im Supermarkt gebraucht wird. Ein Gefühl der Machtlosigkeit, das ich so noch nicht kannte. Während ich Kissen (am Lenkrad fest-)nähe, arbeitet Maria und zahlt in unsere gemeinsame Kasse ein. Beim Einkaufen will ich sparen und versuche sie davon zu überzeugen, etwas nicht zu kaufen. „Im Gegensatz zu dir habe ich immerhin den ganzen Tag gearbeitet …“. Das sitzt. Zwar entschuldigt sie sich sofort, aber es strapaziert die Atmosphäre zusätzlich. Während wir in New Brighton schlafen und am Car Market die günstigen Duschen nutzen, lernen wir Chiara und Lena kennen, zwei deutsche Backpackerinnen, die uns für eine Nacht in New Brighton Gesellschaft leisten und auch später noch begegnen werden. Marias Job im Café macht ihr zwar Spaß, allerdings wird sie nur vom einen auf den anderen Tag gebraucht und dann auch nur für wenige Stunden – das ist keine Basis. So kann es nicht weitergehen, da sind wir uns einig. Die Alternativen sind für einige Zeit getrennte Wege zu gehen, so dass ich außerhalb von Christchurch einen Job auf dem Land finden kann, oder die Zelte in der Stadt abzubrechen und weiterzureisen. Wir entscheiden uns für Letzteres; die andere Möglichkeit haben wir wohl beide nie wirklich in Erwägung gezogen. Ich schreibe daher erneut Wwoofing-Farmen an, so habe ich in den Büchereien wenigstens etwas Sinnvolles zu tun und kann das kostenlose Internet nutzen. Unsere präferierten Adressen reagieren nicht, dafür lädt uns eine andere Familie für das Wochenende zu sich ein. An Marias letztem Arbeitstag meldet sich dann bei mir doch noch ein Supermarkt, der einen Bäckerassistenten für zwei Jahre braucht, was natürlich viel zu lang ist. Wir verlassen also Christchurch. Zum Abschied am New Brighton Parkplatz kriege ich noch den Schiss eines Albatros ab – schlimmer wird’s wohl nimmer. Obwohl, und das ist ein Zeichen für Heimatgefühl, ich die Wege mittlerweile schon ohne Karte finde, wollen wir so schnell nicht mehr zurückkommen. Ob das klappt?
Tekapo, Aoraki/Mount Cook und Twizel: Richtung Cromwell
Unwetter über Lake Ohau
Tekapo, Aoraki/Mount Cook und Twizel: Richtung Cromwell
Unser Ziel für die nächste Wwoofing-Station ist Cromwell in Central Otago. Um dorthin zu kommen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wir haben uns für den Weg durchs Inland entschieden und brechen Richtung Lake Tekapo auf. Wir fahren über den „Scenic Drive“, State Highway 72, um etwas zu sehen. Tun wir aber nicht, denn der Mount Hutt, die anderen Berge samt Skigebieten und auch sonst vieles verschwinden im Regen und den tiefhängenden Wolken. Immerhin ist der Rakaia River mit seinem milchigen Wasser noch immer beeindruckend türkis. Das Wasser strahlt trotz des schlechten Wetters in dem unnatürlichen Blauton – und das über die gesamte Breite: Ein Stopp ist ein Muss! Wir fahren sogar mit dem Van auf das Flussbett und stellen ihn auf dem Schotter, nur zwei Meter vom Wasser entfernt, ab. Ja, das ist möglicherweise etwas leichtsinnig, aber es waren ja schon vorher (Geländewagen-)Spuren dort. Bei der Weiterfahrt sehen wir immer wieder Vans, die irgendwo an diesem nur spärlich befahrenen Highway campen. Auch wir schauen uns zwei Picknickstellen an. Allerdings liegen dort die Bäume entweder schon auf dem Boden oder hängen noch gefährlich ineinander fest. Der Sturm hatte offenbar auch hier in den Ausläufern der Southern Alps seinen Kräften freies Spiel gelassen. Wir fahren also weiter – bis es fast böse geendet wäre: Ich ärgere mich gerade über die Unordnung in unserer Mittelkonsole und werkle darin herum. Mit der Konzentration bin ich damit nicht mehr auf der Straße und mit meinen Augen auch nicht. Ich verlasse langsam meine Spur und der Wagen zieht nach rechts herüber. Anders als in Deutschland ist dort nicht der Graben, sondern der Gegenverkehr. Im letzten Moment schaue ich auf und reiße das Lenkrad wieder zurück. Wäre der entgegenkommende Truck nicht zur Hälfte auf den Grünstreifen ausgewichen, hätte es bei etwa 80 km/h einen Frontalzusammenstoß gegeben. Hat es aber nicht, so dass wir mit einer ordentlichen Portion Adrenalin im Blut uns weiter durch den Regen schieben. Kurz bevor wir den Lake Tekapo erreichen, wird es trocken und die Sonne kommt sogar heraus. Da das Campen auf den Parkplätzen per Schild am See verboten ist, beißen wir in den sauren Apfel und gehen auf einen kommerziellen