Polsprung. Hans J. Andersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans J. Andersen
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783945574799
Скачать книгу
bin ich an die Analyse der Sintflutberichte herangegangen. Es sollen nun die Aussagen im Buche Genesis und im Gilgamesch-Epos kritisch miteinander verglichen werden. Daraus soll sich eine bessere Erkenntnis der eigentlichen Ursachen jenes Naturgeschehens ergeben, das sich so tief in das Gedächtnis der Menschheit eingegraben hat.

      Diese Frage mag provozierend klingen, da doch allenthalben als selbstverständlich angenommen wird, dass in beiden Quellen die Sintflut überliefert sei. Viele Autoren erwecken den Eindruck, als gehe der biblische Sintflutbericht im Buche Genesis einfach auf die babylonische Darstellung im Gilgamesch-Epos zurück. Aber so einfach verhält es sich doch nicht, wenn man die Texte genauer vergleicht. Nach dem ersten Eindruck müsste man die beiden Berichte durchaus verschiedenen Fluttypen zurechnen.

      Beide Überlieferungen können sich auf archäologische Befunde berufen. dass in Mesopotamien kurz vor 3.000 v. Chr. eine große Überflutung stattfand, wurde bereits erwähnt. Aber auch die biblische Version fand eine Stütze durch Funde auf dem Berge Ararat, wo ein Schiff mit den Größenmaßen der Arche Noah entdeckt wurde. Holzproben davon ergaben nach der C14-Methode ebenfalls ein Alter von mindestens 5.000 Jahren. Soweit scheint Übereinstimmung zu bestehen.

      Wenn man die Überlieferungen auf ihren realen Gehalt prüfen will, muss man aber auch einige kritische Fragen stellen. Wie soll denn eigentlich die Arche auf den hohen Berg gekommen sein, wenn das Wasser nachweislich nur das Tiefland überflutete? Das bleibt doch völlig rätselhaft. über dieses Problem ist noch zu wenig nachgedacht worden.

      Ist die auf dem Ararat gefundene Arche überhaupt jemals auf dem Wasser geschwommen? Die biblische Überlieferung unterstellt dies einfach immer, aber es ist schlechthin unmöglich. Geht man unbefangen an dieses Problem heran, bleibt eigentlich nur die Möglichkeit, dass die Arche dort erbaut wurde, wo sie aufgefunden wurde. Sie ist dann niemals in den Fluten der Sintflut geschwommen, weil die Wasser nicht so hoch stiegen, wie von den Erbauern befürchtet. Es ist gut vorstellbar, dass Prophezeiungen über eine bevorstehende Weltflut damals diejenigen, die an Offenbarungen glaubten, veranlasst haben, beizeiten Zuflucht im Gebirge zu suchen. Auch heute gibt es ja Sekten, die bei ihren verfehlten Weltuntergangsterminen von Zeit zu Zeit auf die Berge steigen.

      Außerdem stellt sich die Frage, ob es womöglich mehrere Empfänger der Sintflut-Offenbarung gab.

      Die Parallele zwischen der biblischen Erzählung von Noah und andererseits der Überlieferung im Gilgamesch-Epos, wo der Erbauer der Arche Utnapischtim heißt, ist allgemein bekannt. Aber ist damit erwiesen, dass beide identisch sind? Im Buche Genesis findet man ja nicht einfach eine Abschrift aus dem Gilgamesch-Epos, sondern weitgehend eigenständige Partien. Darum sollte man die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass mehrere Empfänger an verschiedenen, vielleicht sogar weit voneinander entfernten Orten die Offenbarung über eine bevorstehende Weltflut und die Anweisung, ein Rettungsschiff zu bauen, vernommen hatten und nichts voneinander wussten.

      Wir haben es also mit zwei Überlieferungen zu tun, die zwar beide demselben vorderasiatischen Kulturkreis entstammen, aber dennoch nicht vom gleichen Kulturbewusstsein getragen sind. Schon in vorsintflutlicher Zeit - also im vierten Jahrtausend v. Chr. oder noch früher - gab es in Vorderasien offenbar wesentliche religiöse und gesellschaftliche Unterschiede zwischen den Bewohnern des Tieflandes und denen des Berglandes. Das Gilgamesch-Epos bezieht sich eindeutig auf die Tieflandkultur in Mesopotamien.

      Weniger klar erscheint bisher, dass die biblischen Patriarchen vor der Flut im Gegensatz dazu Berglandbewohner waren. Die Funde und Inschriften am Ararat weisen aber in diese Richtung.

      Der religiöse Unterschied kommt im Gegensatz Monotheismus - Polytheismus zum Ausdruck. Vom alten Sumer wissen wir aus den archäologischen Funden, dass dort in jeder Stadt eine andere Gottheit verehrt wurde. Der Monotheismus hatte im Tiefland keine Stätte. Aber das bedeutet nicht, dass er damals überhaupt gefehlt hätte. Die kargen Lebensverhältnisse in den Bergländern waren und sind - man denke an den Himalaja - für die Verinnerlichung und vertiefte geistig-religiöse Erlebnisfähigkeit günstiger.

      Es gibt auch eine Quelle, die über den fundamentalen Unterschied zwischen Bergland- und Tieflandbewohnern ein klares Zeugnis abgelegt. Das geht aus der „Haushaltung Gottes“3 hervor, einer Lorber-Schrift, die sich eingehend mit den Lebensverhältnissen vor der Sintflut befasst. Danach herrschte seinerzeit ein bedeutungsvoller Gegensatz zwischen den Kindern „der Höhe“ und den Bewohnern „der Tiefe“. Erstere (die Nachkommen des Seth) lebten auf Bergeshöhen in äußerlich ärmlichen Umständen, sie bewahrten aber den wahren Glauben an den einen Gott. Letztere (als die Nachkommen Kains angesehen) bevölkerten zahlreich das Tiefland, bauten Städte und Paläste und beteten vielerlei Götter an.

      Als nun die Zeit des großen Umbruchs für den Planeten Erde nahte, wurden - so sehe ich es - die Prophezeiungen über eine bevorstehende Flutkatastrophe in vielen Weltgegenden in irgendeiner Form den Wissenden zuteil. Sowohl die Bergbewohner als auch die Tieflandbewohner Vorderasiens erhielten die Offenbarung von der Sintflut. Daraufhin kam es in Mesopotamien und ebenso am Ararat zum Bau von Rettungsschiffen - möglicherweise nach denselben Anweisungen. Aber nur die Arche des Utnapischtim in Mesopotamien schwamm dann wirklich auf den Wassern der großen Flut. Das Gilgamesch-Epos gibt dafür auch einen Landungsort an, der im Bereich der Überschwemmung gelegen haben kann: im nördlichen Irak, wo das flache Land in die Berge Kurdistans übergeht.

      Das Buch Genesis zieht freilich das damalige Rettungswerk in einen einzigen Vorgang zusammen - warum auch nicht, denn es kam ja nicht darauf an, eine umfassende Berichterstattung über alle Archenbauer an Moses zu vermitteln, sondern die Errettung aus dem Glauben zu überliefern.

      Wendet man sich der Schilderung des eigentlichen Naturgeschehens bei der Flutkatastrophe zu, so reduziert sich die Gemeinsamkeit von Genesis und Gilgamesch-Epos ganz erheblich. Was da im Einzelnen geschah, trägt recht verschiedenartige, teilweise sogar gegensätzliche Züge.

      Im Buche Genesis heißt es:

7,11 In dem 600. Jahr des Alters Noahs, am 17. Tage des zweiten Monats, das ist der Tag, da aufbrachen alle Brunnen der großen Tiefe, und taten sich auf die Fenster des Himmels,
7,12 und kam ein Regen auf Erden 40 Tage und 40 Nächte.
7,24 Und das Gewässer stand auf Erden 150 Tage.
8,1 Da gedachte Gott an Noah ... und ließ Wind auf Erden kommen, und die Wasser fielen;
8,2 Und die Brunnen der Tiefe wurden verstopft samt den Fenstern des Himmels, und dem Regen vom Himmel ward gewehret,
8,3 und das Gewässer verlief sich von der Erde immer mehr und nahm ab nach 150 Tagen.
8,4 Am 17. Tage des 7. Monats ließ sich der Kasten nieder auf das Gebirge Ararat.

      Die Datierungen wurden offensichtlich wichtig genommen, dagegen die Naturbeschreibung vernachlässigt und die Ursachen primitiv erklärt (Brunnen der Tiefe, Fenster des Himmels). Soviel wird aber deutlich, dass ein gewaltiger Regen niedergeht, der jedoch das rapide Ansteigen der Gewässer allein nicht erklärt. Darum die Verlegenheitsdeutung, dass die Brunnen aufgetan würden. Die Überflutung dauert volle fünf Monate.

      Gegenüber diesen recht dürftigen Angaben über das Naturgeschehen bietet das Gilgamesch-Epos eine anschauliche Schilderung:

      Sobald ein Schimmer des Morgens erglänzte, stieg vom Fundament des Himmels schwarzes Gewölk auf. Ramman (der Gewittergott) donnert darin.

      Rammans Wüten dringt bis zum Himmel, alles Helle in Finsternis verwandelnd