Doch nun vorerst zurück zu einigen der Pioniere, der großen Besitzerzüchter, ihrer Zuchten und ihrer Erfolge, die sich früh auf den Weg machten, um den Vollblüter zu vervollkommnen.
PIONIERE AUF DEM WEG ZUR PERFEKTION
An der Stufe zum 19. Jahrhundert dominierten britische Besitzer-Züchter auch das Renngeschehen, denn dank ihrer eigenen mächtigen Herden und der Spitzenbeschäler, in der Regel in den eigenen Boxen, konnten sie dem Geschehen den Stempel aufdrücken. Natürlich musste der „Owner-Breeder“ viel Geld besitzen, doch gab er es mit großer Sorgfalt aus. Und in der Vorkriegszeit galt im Vereinigten Königsreich ein Pferd zu züchten genau so viel, wie es zu besitzen, und die führenden Züchter waren fast immer auch die führenden Besitzer.
Die zeitigen 1900er Jahre deuteten gewissermaßen aber schon die Zukunft an, als amerikanische Pferde nach England kamen und gewannen. In erster Linie war das den amerikanischen Antiwettgesetzen geschuldet, doch sollte sich auch das bald wieder ändern. Es waren auch gleichzeitig die Jahre, in denen die Dominanz des „neuen“ Lord Derby begann, der Jahre später die Trophäen von sieben Besitzer- und zehn Züchter-Championaten in den Händen halten konnte. Und in den 1920ern war es der Aga Khan III, der viel Geld in die Hand nahm und eine Zucht aufbaute, die ihm zwischen 1947 und 1952 vier Züchter-Championate gewinnen ließ. Lediglich 1950 und ein Jahr später verdrängte ihn der Franzose Marcel Boussac von diesem Rang. Zu den anderen Großen jener Zeit zählten auch Lionell Holliday, Victor Sasson, Sir Harold und Lady Zia Wernher (Sommeries Stud), deren Meld 1955 die Dreifache Stutenkrone gewann. Dieses Kunststück gelang erst wieder 30 Jahre später, als Sheikh Mohammeds Kris-Tochter Oh So Sharp mit Siegen in den 1000 Guineas, Oaks und St. Ledger das gleiche Triple gewann. Später traten Finanzgewaltige wie die Sangsters, Magniers, Maktoums, Abdullahs oder Althanis auf den Plan, die sich global orientierten, als auch kommerzielle Züchter, die durch ihre Erfolge Aufmerksamkeit erreichten. Damit wurden automatisch auch die Triumphe der großen Besitzerzüchter seltener. Natürlich werden auch „Homebreds“ weiterhin ihre Klassiks gewinnen, doch ist das Langzeitdenken zur Rarität geworden in einem immer kurzfristigeren Spiel.
Als Baron Howard de Walden 1999 verstarb, verließ einer der letzten großen britischen Besitzerzüchter diese Welt, und so ist wohl der Aga Khan einer der Allerletzten jener Owner-Breeders, der auch im 21. Jahrhundert unbeirrt und hoch erfolgreich agiert. Doch auch dazu später mehr.
J. R. Keenes Kingston (1884); 138 Starts, 89 Siege
JAMES R. KEENE
und seinem Castleton Stud konnte auf dem Sprung ins 20. Jahrhundert in Amerika kein anderer Züchter das Wasser reichen. Der geborene Brite, der als Kind mit seinen Eltern auswanderte, war als Züchter und Rennstallbesitzer so erfolgreich wie wenige andere seiner Zunft auf dieser Welt.
Zunächst war da der 1884 geborene Spendthrift-Sohn Kingston, der von 138 Starts 89 gewann und 33 Plätze belegte, was mehr als 140.000 Dollar Gewinnsumme auf sein Konto brachte. Dieses war allerdings nicht das von Keene, denn er hatte diesen Hengst schon als Jährling verkauft, und angeblich aus finanziellen Gründen. Dieser Urur-Enkel von Melbourne blieb bis zehnjährig im Rennstall und führte 1900 und zehn Jahre später die Liste der Deckhengste in seiner Heimat an. Der braune Hengst Delhi (Ben Brush), 4x3 auf den Melbourne-Enkel Australian ingezogen, war ein famoses Rennpferd, und 1904 als Dreijähriger mit 75.225 Dollar der gewinnreichste Vollblüter der amerikanischen Saison. Und diese beiden Pferde zählten wie Peter Pan (1904; Commando), der 10 seiner 17 Starts und mehr als 115.000 $ gewann, oder Domino, Commando und Sysonby, die vor ihm die Welt betraten, und Colin und Sweep, die ihm folgten, zu den wichtigsten Champions dieses Züchters und Besitzers. Und im Gestüt waren sie erfolgreich wie Celt (1905), der in sechs Rennen bei vier Siegen und zwei Plätzen 30.000 $ verdiente. Für 25.000 Dollar wurde er an R. Hancock verkauft, der ihn in Virginia auf seiner Ellerslie Farm aufstellte, wo der Domino-Sohn 1921 an der Spitze der Beschäler stand.
Domino (Himyar) wurde 1891 von Major B. G. Thomas gezogen, wechselte, nachdem Keene im Vorjahr mehrere englische Stuten gekauft hatte, als Jährling für die hohe Summe von 3.000 US$ den Besitzer und war in Keenes Farben im 19. Jahrhundert eines der schnellsten Rennpferde Amerikas. Als Zweijähriger gewann er alle neun Starts, und seine damalige Saisongewinnsumme (170.790 $) war nicht nur sensationell hoch, sondern hatte auch etwa 40 Jahre Bestand. Als Dreijähriger fügte er sechs weitere Siege hinzu, zeigte, dass er sein hohes Tempo auch weiter als 1.600 Meter gehen konnte und hatte, als er von der Rennbahn abtrat, von 25 Rennen 19 gewonnen und mehr als 190.000 Dollar verdient. In der Vollblutzucht haben nur wenige Hengste vor oder nach ihm mit so wenig Nachwuchs (19 seiner Fohlen sind namentlich bekannt) einen so nachhaltigen Einfluss ausgeübt wie er, obwohl Domino kein Pferd war, das seine Zeitgenossen so in den Schatten stellte wie es z.B. ein Man O’War, Sysonby oder Citation konnten. Zu den besten Nachfahren des Eclipse-Urenkels zählten, neben den Söhnen Commando und Disguise, auch seine Tochter Cap And Bells, die in USA und England lief und 1901 die Epsom Oaks gewann. Von den neunzehn Fohlen wurden acht zu Stakessiegern, und seine drei besten Produkte stammten aus Stuten, die viel Stehvermögen hatten, das ihm selbst fehlte. Cape and Bells und der Epsom Derby-Dritte Disguise waren aus Galopin-Töchtern gezogen, und Commandos Mutter, die von dem Australier Darebin (Sieger im Australian Cup) stammte, gewann mehrfach über zwei Meilen, was auch ihre eigene Mutter konnte.
Domino selbst war 3 x 4 auf Amerikas großen Lexington ingezogen, seine Mutter 3 x 3, und seine Großmutter Lizzie G, die beste Tochter von Glencoe (1816; Sultan), trug eine 3-x-3-Inzucht auf Boston, Lexingtons Vater. Und die 14 Stuten, die Keene aus den besten englischen Linien importiert hatte, boten ihm alle Outcross-Möglichkeiten zu dem Lexington- und Bostonblut, das Domino, der als Flieger eine Legende war, trug.
Der Belmont Stakes-Sieger Commando (1898), der offiziell auch der Keene-Zucht zugerechnet wird, gewann sieben seiner neun Starts, und fünf davon als Zweijähriger. Im Gestüt war er, nach nur drei Jahren als Deckhengst, ähnlich früh tot wie vorher sein Vater. Dennoch konnte sich der Hengst, der als bestes Pferd seines Jahrgangs galt, durchsetzten und 1907 in Amerika die besten Beschäler anführen. Seine Söhne Peter Pan und Ultimus (1906), dessen Vater und Mutter beide von Domino stammten, als auch seine Töchter wurden die Vorfahren vieler guter Rennpferde und prominenter Hengste. Dominos Mutter Emma C. (1892; Darebin), eine große kräftige Stute, hatte Keene gekauft, mochte sie aber Drei- oder vierjährig nicht mehr und „gab“ sie seinem Trainer. So jedenfalls berichtet es Abraham S. Hewitt in seinem Buch „The great Breeders and their Methods.“ Als Domino ins Gestüt ging hatte Keene seinem Trainer auch zwei Freisprünge zu ihm versprochen, verweigerte Domino jedoch, als Billy Lakeland später so eine „grobschlächtige Stute“ wie Emma C. von dem „wunderbaren Hengst“ decken lassen wollte. Als der Trainer jedoch auf diesen Freisprung bestand, gab Keene widerwillig nach. Das Produkt aus dieser Paarung kam 1898 auf die Welt und hieß Commando. Irgendwann muss es jedoch noch eine „Transaktion“ gegeben haben, denn im Gestütsbuch wurde Keene als Züchter eingetragen. Der Autor des genannten Buches berichtet und vermutet dazu, dass Keenes Berater und Manager, Major Foxhall Daingerfield, von dem Fohlen so beeindruckt war, dass er Keene wahrscheinlich gedrängt hat, es zu kaufen oder beide „zurückzunehmen“.
Commando war nicht nur das erste der vielen hochklassigen Pferde, die Keene zog, sondern er wurde auch von einem nachfolgenden Trainer vorbereitet. Ein „neuer Mann“ war James Rowe Sr. keinesfalls, sondern er hatte schon Daniel Swigerts klassischen Sieger Hindoo (1878) trainiert. Als Dreijähriger brach der großrahmige Hengst beim dritten Start nieder, und sein Trainer formulierte „wir wussten nie, wie gut er wirklich war.“
Im Gestüt zeugte Commando in vier Saisons 25 Fohlen. Zehn von ihnen, neun Hengste und eine Stute, wurden Stakes-Sieger, die alle, inklusive Maid of Erin, die in utero importiert wurde, aus importierten englischen Stuten gezogen waren. Und drei davon – Peter Pan (1904), Colin (1905) und Celt (1905) waren erstklassische Rennpferde. Dieser wurde nur einmal geschlagen, und zwar von Colin. Peter Pan gewann die Belmont Stakes und war ein Champion,