Atemlos von dem Anblick, den in sich aufzunehmen er nicht nachkam, und gekrümmt von den Schmerzen, die ihn marterten, war Taylor in die Halle gewankt. Man geleitete ihn zu einer der Pritschen, die den vorderen Teil der Fertigungsstätte einnahmen. Vielleicht wurden hier auch neue Prototypen erprobt?, durchzuckte es ihn. Er tauschte einen letzten Blick mit Jill und versuchte ihr tapfer zuzulächeln. Dann wurde er auf die Pritsche gelegt und verlor wenige Augenblicke später das Bewusstsein. Lambert wandte den Blick ab, als man seinen Körper auf die gesunde Seite drehte, den von Blut, Schweiß, Schmutz und seröser Flüssigkeit verunstalteten Anzug von ihm löste, den Knochen bloßlegte, der von Eitergeschwüren und vernarbtem Gewebe überzogen war, und den Bohrer ansetzte. In der folgenden Stunde saß sie abseits auf einem Schemel, starrte in die albtraumhafte Halle, deren groteske Details vom flackernden Licht der Instrumente erleuchtet wurden, und versuchte den Brechreiz niederzukämpfen, den der Anblick der vielen herumliegenden Gliedmaßen und Körperteile und die schmatzenden Geräusche in ihr auslösten, die von der Pritsche zu ihr drangen.
Als man sie herbeirief, um das Resultat zu begutachten, war es mit ihrer Selbstbeherrschung zuende. In dem Moment, als ihr Blick auf die schwarzen Stahlklammern fiel, mit dem Taylors Brust und die künstliche Schulter zusammengetackert waren, brach sie in die Knie und sank in sich zusammen.
Die beiden erwachten nebeneinander, in einem der austauschbaren, ihnen bis zum Überdruss vertrauten Quartiere. Taylor war schmerzfrei. Er konnte sich des neuen Arms ohne jede Anpassungsschwierigkeit bedienen und klagte einzig über Hunger und reißenden Durst. Lamberts Kommentar war, warum man nicht schon längst diesen Weg beschritten hatte. Dass die Tloxi Taylors Qualen mit angeschaut und seinen Tod in Kauf genommen hatten, um zu verhindern, dass er und sie sich an der Flucht beteiligten, konnte sie ihnen nicht verzeihen. Umso einfacher die Lösung nun gelungen war, umso schwerer wog ihre monatelange Aufschiebung.
Taylor war damit zufrieden, dass er geheilt war. Er erholte sich rasch. Sein Körper, der in den Latinoslums von Pensacola groß geworden und schon vor der Pubertät nicht nur Unterernährung und Tritte, sondern auch Messerstiche kennengelernt hatte, hatte dem Schmerz, dem Blutverlust und den Infektionen getrotzt. Jetzt blühte er schnell wieder auf. Innerhalb weniger Tage gewann der junge WO seine Zuversicht und seinen Tatendrang zurück. Er ließ es nicht mehr zu, dass Jill oder die Tloxi ihn bei den allnächtlichen Wanderungen stützten, und bald war er es, der die Trupps führte und an der Spitze kleiner Kommandos die Wege auskundschaftete, deren Sicherheit niemals garantiert war.
Etwas anderes begann sie zu beschäftigen, während sie die unglaubliche Stadt Stein für Stein und Rohrleitung für Rohrleitung durchkreuzten und auswendig lernten. Nachdem er sein Handicap überwunden und sein Gewicht wiedergewonnen hatte, entdeckte Taylor andere, längst vergessen geglaubte körperliche Bedürfnisse wieder. Er war ein junger Mann, der gerade ein Martyrium durchgestanden hatte. Jetzt entdeckte er die stimulierende Wirkung der Genesung. Die raschen Fortschritte, die er in der Rekonvaleszenz machte, riefen auch andere virile Energien in ihm wach. Mit Blicken, Gesten, halben Worten näherte er sich Jill nun auch von dieser Seite wieder an. Sie waren längst ein Paar. Noch auf der MARQUIS DE LAPLACE hatten sie die Phase keuschen Kennenlernens hinter sich gelassen. Lambert hatte das Bewusstsein ihres deutlich höheren Alters überwunden und in Taylor einen ebenso kraftvollen wie einfühlsamen Liebhaber entdeckt. Nichts stand der Wiederaufnahme auch dieses Teils ihrer Beziehung im Weg, mit einer Ausnahme: sie waren niemals allein.
Nachts krochen und schlichen sie durch die Katakomben Sina Citys, hetzten über Freiflächen, die in der sternlosen Dunkelheit dalagen, und warteten stundenlang in zugigen Durchgängen, bis das Vorauskommando das Zeichen zum Nachkommen gab. Und tagsüber ruhten sie in den Quartieren aus, die die Tloxi ihnen anwiesen und wo sie niemals ohne Begleitung blieben. Ihnen war klar, dass diese Bewachung nicht nur ihrem Schutz diente; sie wurden auch beobachtet. Sie waren gleichermaßen Gäste wie Gefangene. Sie sollten nicht fliehen. Ihrem Bedürfnis nach Intimität standen stets mehrere Tloxi-Aufpasser buchstäblich im Weg. Sie suchten sich in den schmalen Stockbetten oder Pritschen zu verkriechen, in denen die Kollektivwesen selbst zu nächtigen pflegten und die tagsüber leerstanden, sie drückten sich in Erker, unerleuchtete Winkel und dunkle Ecken, oder sie suchten mit Ausrüstung und den dünnen, aber warmen Elastildecken, die sie bei sich führten, ein Liebesnest auszustatten. Immer blieben ihnen mehrere Tloxi so nahe, dass an den Austausch von Zärtlichkeiten nicht zu denken war. Selbst als Taylor sich eines Tages ein Herz fasste und die Wachhabenden bat, sie für eine Stunde in Ruhe zu lassen, rückten diese nur wenige Meter von ihnen ab und sahen dann mit automatenhafter Neugierde zu, wie sie sich aus Decken, Planen und einem Teil ihrer Kleidung ein gemeinsames Bett richteten. Schließlich überwanden sie in einem Anfall von praktischem Trotz alle Scham. Sie beschlossen, dass die Zeit und die Umstände es nicht zuließen, zimperlich zu sein.
»Wer sind denn diese Tloxi schon?«, flüsterte Taylor Lambert ins Ohr, als sie neben ihn unter die Decke gekrochen kam und ihren schmalen, ewig fröstelnden Leib an ihn schmiegte. »Geschlechtslose Maschinen. Wahrscheinlich begreifen sie gar nicht, was wir hier machen.«
Jill kicherte und drängte sich noch dichter an ihn. Er spürte ihre kalten Füße, ihre schwitzigen Hände, die sie zu kleinen Fäusten ballte; ihr blasses Gesicht, auf dem die Erregung in roten Säumen blühte, war direkt vor dem seinen. Nur ihr struppiger, schlohblonder Haarschopf sah oben aus der Masse der aufgetürmten Textilien heraus. Während ihr Flüstern in ein verliebtes Gurren und schließlich in gedämpftes Keuchen überging, bewegte der Deckenberg sich rhythmisch, in immer gleichmäßigeren, rascheren und tieferen Wogen.
Ein Dutzend Tloxi standen im Abstand weniger Schritte halbkreisförmig um das Geschehen herum. Im Infrarot- und im Röntgenspektrum nahmen sie an dem Tumult der Gliedmaßen und Säfte teil. Dabei tauschten sie auf unhörbaren Frequenzen Hypothesen über den Sinn des Gesehenen aus. Sie kamen zu dem Schluss, dass es sich um eine der vielen menschlichen Marotten handeln müsse, nicht restlos erklärbar, aber im Grunde ungefährlich. Aus den unmittelbaren wie auch aus den langfristigen Folgen leiteten sie ab, dass der Vorgang die Verbundenheit der Beteiligten untereinander und auch ihre Kampfmoral im allgemeinen förderte.
Längst hatten Jill und Taylor die letzten zerschlissenen Überreste ihrer Raumanzüge ablegen müssen. Sie trugen die blauen, aus sensoriellem Leinen gewebten Kleider der Tloxi, die ihnen vor allem während der nächtlichen Streifzüge wesentlich besser zustatten kamen als die weißen Schutzanzüge aus leuchtendem und reflektierendem Elastil. Sie schmolzen so auch äußerlich immer mehr in die anonyme Völkerschaft der Tloxi ein. Sie bekamen ihre Nahrung von ihnen, das geschmacksneutrale, aber nahrhafte Granulat, sie trugen ihre Kleidung, sie lebten unter ihnen und liebten sich in ihrer Mitte. Sie teilten ihren Tagesablauf, wenn auch in antizyklischem Sinn, ihre Quartiere, ihre Gefährdung durch die Nachstellungen der sinesischen Polizei. Sie wurden Teil der vielköpfigen und gesichtslosen, pflichtbewussten und nomadisierenden Familie, die die Tloxi darstellten. Sie nahmen die unterschiedslose Rollenverteilung hin, bei der jeder jeden Posten einnehmen konnte, bei der es keine Hierarchien, keine Privilegien und keine Berufe gab, sondern jeder augenblicklich für jeden anderen einspringen konnte. Und sie lernten trotz allem, hauchfeine Nuancen zu unterscheiden. In den Stimmen, in den maskenhaften