Es ist jetzt 11 Uhr. Bevor ich zum Mittagessen gehe, mache ich noch meinen morgendlichen Spaziergang auf dem Oberdeck. Ich muss das Gleichgewicht halten und aufpassen, dass ich mir nicht den Schädel anschlage, sonst brauche ich, wie gesagt, doch noch ein neues Passbild. Der Wind ist ziemlich heftig und bläst mir die Falten aus dem Gesicht. Die vorn gestraffte Haut flattert dann am Hinterkopf. Da auch ich ein wenig eitel bin, habe ich eine Mütze auf. Dann sieht man die flatternden Hautfalten nicht so sehr.
Vor dem Essen unterhalte ich mich noch mit dem 2nd Engineer und frage, ob wir schon im Kanal sind. Er hebt nur die Schultern und sagt: „Kann schon sein, in der Maschine bekomme ich davon nichts mit.“ Die Aussage war lustig! Es gibt eine Gemüsesuppe, Steak, Mischgemüse und Reis. Ich hätte auch Kartoffelchips haben können, aber ich entschied mich für Reis. Morgen habe ich dann wieder die Auswahl zwischen Reis und POT – also POTatos. Dann werde ich mich für POT entscheiden. Jetzt kenne ich ja die Abkürzung! Zum Nachtisch gibt es Eiscreme. Ich glaube, dass ich heute mal aufs Laufband muss.
Der Nebel ist dichter geworden. Man kann von den Achteraufbauten noch nicht einmal bis zur Back schauen. Meinen Laptop kann ich nur noch schlecht auf dem Schoß halten und muss wohl auf den Tisch ausweichen, denn das Ding knallt mir sonst herunter.
Uns begegnet ein „Ro-Ro“-Schiff (Roll on/Roll off). Dieser Schiffstyp wird häufig im Fährverkehr eingesetzt. Ro-Ro-Schiffe haben mindestens eine Bugoder Heckklappe, über die die Fracht ein- und ausgerollt (aus- und eingeladen), werden kann. Selten sieht man sogenannte Semi-Container. Diese Schiffe haben Container und Stückgut geladen. Zudem verfügen sie oft über eigenes Ladegeschirr. Stückgutfrachter, wie ich sie noch kenne, hatten grundsätzlich eigenes Ladegeschirr. Aber das ist heute nicht mehr Standard.
Das Schaukeln wird immer heftiger und das Schreiben macht keinen Spaß mehr. Daher mache ich einen Deckspaziergang und besuche die Brücke. Ob ich noch auf das Laufband gehe? Das Ding hat links und rechts einen Handlauf zum Festhalten. Mal sehen! Am frühen Nachmittag bessert sich das Wetter wieder und es scheint sogar zeitweise die Sonne. Auch das Meer hat sich später beruhigt und ich kann wieder ungestört schreiben.
Was darf eine siebenwöchige Reise auf einem Frachter kosten? Es ist kein Geheimnis, denn man muss sich nur die Unterlagen von der „Hamburg-Süd“ zukommen lassen. Die HSDG hat ein Reisebüro, welches von der Lufthansa betrieben wird.
Also Fakten: 5.090 Euro. Hinzu kommt die Hepatitis- und die Gelbfieberimpfung mit 125 Euro, eine Reiseversicherung mit 125 Euro und eine (freiwillige) Rücktrittsversicherung mit 244 Euro. Die Höhe des Taschengeldes für Landgänge usw. hat jeder selbst zu entscheiden. Es gibt auch die sogenannte DEVIATIONS-VERSICHERUNG, aber diese ist im Fahrpreis enthalten. Diese Versicherung ist notwendig, wenn wegen eines Notfalls, die der Passagier zu verantworten hat, außerplanmäßig ein Hafen angelaufen werden muss. 6.000 Euro für eine solche Fahrt müssen einkalkuliert werden. Das ist genau die Summe, die meine Europaläufer an „Ingo-Tours“ zahlen mussten. Dafür durften sie sich 64 Tage lang die Füße vertreten.
Ich komme gerade von der Brücke. Der Kapitän fragt mich, ob ich schon in der Maschine war. Dieses verneine ich, denn ich will noch abwarten, bis wir Le Havre verlassen haben und auf hoher See sind. Genau das wollte der Käpt’n mir eigentlich sagen. Mich fasziniert das kleine Steuerrad, das so groß ist, wie das eines „bobby cars“ (Kinderfahrzeug). Das fotografiere ich. Der Chief sagt: „Fotografieren Sie doch auch den Joystick, mit dem man auch steuern kann.“ Da wird der Hund in der Pfanne verrückt! Da kannst du einen Dampfer mit über 300 m Länge mit solch einem „Spielzeug“ steuern!
Noch fahren wir aber mit Autopilot und dieser hält den Kurs exakt auf 240°. Wir brauchen noch etwa drei Stunden bis Le Havre und sind mit 22,5 kn unterwegs. Der Käpt’n gibt Vollgas, denn für den Dampfer wird eigentlich eine Höchstgeschwindigkeit von nur 22,2 kn angegeben. Im Fahrzeugschein meines Autos ist aber auch eine maximale Geschwindigkeit angegeben und ich kann leicht etwas schneller fahren.
Wir haben zurzeit 4.871 TEUs in etwa 2.400 Container an Bord. Es sind fast nur 2 TEU-Container. In Le Havre werden wir wohl so ziemlich vollgemacht, maximal kommen noch 2.243 TEUs hinzu. Im Laderaum türmen sich acht Container übereinander. Dann kommt das Oberdeck, und hier können noch einmal bis zu sieben Container übereinander gestapelt werden. Das bedeutet, dass bis zu 15 Container, jeder mit einer Höhe von 2,60 m, mit einer Gesamthöhe von 39 m übereinander stehen können. In der Reihe sind es auf dem Oberdeck 17 Container mit 3.896 TEUs.
Unter Deck können 3.218 TEUs geladen werden. Gesamt kämen wir also wieder auf 7.114 TEUs, inklusive 890 TEU Kühlcontainer unter Deck und 710 TEU auf dem Oberdeck. Für die Kühlcontainer stehen 1.600 Kühlcontaineranschlüsse zur Verfügung. Container, die ganz oben gestapelt werden, sind überwiegend Leercontainer.
Die „Santa Rosa“ kann also bis zu 7.114 TEUs laden. Hierbei handelt es sich um 1 TEU-Container. Bei 2 TEU-Containern wären es 3.557 Stück. Stellt man diese bei einer Einzellänge von 12,192 m hintereinander auf, so kommt man auf 43,367 km. Die Länge der gesamten Container beträgt etwa mehr als die Marathondistanz von 42,195 km.
Um 21.12 Uhr machen wir in Le Havre fest. Beim Einlaufen in den Hafen scheint noch die Sonne und die Temperatur lässt sich aushalten. Kurz nach dem Festmachen, fängt es in Strömen an zu regnen. Was soll‘s, ich bin um 21.45 Uhr schlafen gegangen und daher störte mich der Regen recht wenig.
12. April (04.Tag) Le Havre - F
Das Wetter ist am frühen Morgen noch durchwachsen. Es wurde die ganze Nacht be- und entladen. Nach dem Frühstück will ich an Land und melde mich beim 1st Mate ab. Er warnt mich, dass es ein ganzes Stück zu Laufen ist. Über meine Lauferei haben wir uns aber schon gestern unterhalten und daher verdreht er nur die Augen und sagt: „Na klar, Ihnen macht es ja nichts aus.“ Kaum habe ich die letzte Stufe der Gangway zu fassen bekommen, da fängt es an zu tröpfeln. Kurz darauf hört es aber schon wieder auf – na bitte! Sogar die Sonne lugt ein wenig aus den Wolken hervor. Dann kommt ein kurzer Anschiss von einem Hafenbeamten. Ich werde darauf hingewiesen, dass ich mich nur auf den Flächen der Fußgängermarkierung zu bewegen habe. Nach einer guten halben Stunde bin ich im Zentrum. In einem etwas heruntergekommenen Restaurant bestelle ich mir für zwei Euro einen Café Olè.
Dann will ich Le Havre noch ein wenig erkunden. Viel zu sehen gibt es nicht und außerdem macht mir das Wetter Sorgen. Ich frage mich, ob ich trocken wieder an Bord kommen werde. In einem „Supermarche“ schaue ich nach etwas Kaufbarem. Aber entweder ist der Laden ausverkauft oder er wird erst in Kürze eröffnet. Die Regale sind nahezu leer und erinnern an vergangene Zeiten im Osten Deutschlands. Dann schaue ich noch in die eine oder andere Straße. Wenig später entschließe ich mich, wieder an Bord zu gehen.
Den Rückweg finde ich ohne Probleme, obwohl ich kreuz und quer durch Le Havre gelaufen bin. Es fängt wieder an zu regnen, der Guss wird immer stärker. Im Hafengebiet angekommen, stehe ich vor einem Bahnübergang und ein Zug mit unendlich vielen Waggons schleicht an mir vorbei. Nun ist alles egal, denn ich habe kein trockenes Kleidungsstück mehr am Körper. An Bord angekommen ziehe ich mich komplett neu an. Der Steward fragt, wie mein Landgang war. Nun ja!
Zwei Matrosen sind dabei, Taue zu spleißen. Der Spleiß ist eine bruchfeste, dauerhafte, nicht lösbare Verbindung von Tauwerk durch Verflechten der einzelnen Kardeele. Er wird auch zur Reparatur von Tauwerk verwendet. Dies wird bei Drahtgut mithilfe eines Marlspiekers, bei stramm sitzendem anderem Gut meist eines Hohlspiekers, bewerkstelligt. Das ist ein Zusammenfügen zweier Taue, Tampen oder Trossen.
Ich habe eben etwas Wäsche gewaschen. Drei Stunden einweichen, durchspülen, auswringen, durchspülen, auswringen und fertig ist die Laube. Das Zeug hänge ich in meiner Kammer