Abmarsch 09:15 Uhr. Also fast nach Planzeit. Das übliche Foto geschossen. Es zeigt am Beginn jeder Etappe einen von uns beiden vor dem Quartier, in dem wir übernachteten. So auch in diesem Falle. Für den frühen Morgen war es schon erstaunlich warm. Die Sonne versprach einen heißen Tag, was sich in den folgenden Stunden bestätigen sollte. Doch vorerst kühlte uns der Wind mit kleinen frischen Brisen.
Anfangs liefen wir unter einem dichten Blätterdach am Ufer des Sees bis zum Ort Falkenhain. Dann führte uns die Markierung den Hang hoch. Ziemlich steil der Pfad! Unter uns zeigte sich der Kriebsteinsee im wechselnden SCHAU-Spiel. Ganz ruhig lag die angestaute Zschopau, eingeschmiegt, nicht eingezwängt zwischen den dichtbewaldeten Hängen. Die Wasseroberfläche kräuselte sich leicht, grünlich-golden-silbern schimmernd. Nur ab und an strichelten Paddelboote durch das Bild. Ein Ausflugsdampferchen, das heran- und davontuckerte, störte nicht. Und selbstverständlich: Enten ließen sich, sonntäglich gestimmt, ruhig auf dem See treiben. Von der anderen Uferseite lugte aus dem dichten Grün des Hangwaldes das eine oder andere Holzhäuschen zu uns herüber.
Steiler Aufstieg zum Schenkberg. Die Ruinen des ehemaligen Raubschlosses interessierten uns nicht. Seine einstigen Herren kontrollierten und beherrschten von dort oben die Umgebung. Wir dagegen genossen den Blick auf die sich in engen Schwüngen ringelnde Zschopau. Ringethal heißt anschaulich das auf der andern Uferseite liegende Dorf. Der Wanderweg führte uns wieder hinunter zum Fluss. Im kleinen und gottverlassenen Ort „Örtchen“ rasteten wir direkt am Ufer auf einer idyllischen Wiese unter Bäumen. (Das Örtchen heißt „Örtchen“!)
Weiter ging es nach der Pause immer am Fluss entlang. Ein schönes Wandern! Auf dem Weg eine Unterhaltung mit einem jungen Elternpaar, das sein Baby im Kinderwagen durch den Mittagsschlaf spazieren fuhr. Am abgelegenen Gehöft einen bastelnden Motorradbauspezialisten bei millimetergenauen Schneidarbeiten beobachtet. Dann wuchtete sich ein altes Mühlengebäude vierstöckig am Flussufer empor – die Liebenthaler Mühle. In heutigen Zeiten nicht mehr fleißig arbeitend. Das Gebäude aber, das Wehr, die Brücke, das gesamte Gelände sehr gut und auch farbenfroh erhalten und rekonstruiert. Ist die Mühle ein Wohnhaus geworden? Unsere Annahme bestätigte sich.
Drei vierzehn- oder fünfzehnjährige Mädel saßen auf der Bank neben der Brücke. Sie sahen „schick“ aus, aber doch anders, als gleichaltrige Mädchen aus der Stadt in der Regel aussehen. Wir mischten uns in ihre lebhafte Unterhaltung ein: „Wohnt ihr in der Mühle?“
„Ja, wir sind hier drei Familien“, die Antwort. „Wohnt ihr gern in dem alten Haus?“ Die Frage wurde ebenfalls bejahend beantwortet. „Ist es nicht ein wenig einsam, so weit weg von der nächsten Stadt?“ Darauf die Feststellung: „Nein, ist doch schön hier, die Natur und alles!“ Dann kam die Ergänzung: „Nein, in der großen Stadt möchte ich nicht leben, da ist alles so hektisch!“
Irgendwie freuten wir Alten uns über die Antworten. Das klang so ganz anders, als uns klischeehafte Meinungen über die Lebensvorstellungen junger Leute oft weismachen wollen. Den drei wünschten wir vor dem Weiterziehen Gutes für die Zukunft. Sie fanden das nicht komisch, bedankten sich artig.
Einige Kilometer weiter wechselten wir über eine Hängebrücke die Uferseite. Nach Mittweida führte der Weg. Doch wir berührten die Stadt nur an ihrem Rande. Am Eingang Mittweidas auf einer Zschopaubrücke ein Steinrelief. Darauf ein Stahlhelm herausgemeißelt, von der Art, wie ihn die Soldaten der Roten Armee trugen. Ein zweiter Helm war in der US-Army-Form gearbeitet. Ein dritter Helm mit der Öffnung nach oben zwischen beiden eingefügt. Er symbolisiert wohl die im Kampf getöteten Soldaten.
Die sparsame Inschrift auf dem Relief:
Am 7. Mai 1945 trafen sich hier
US-Army Rote Armee
Die Tafel stimmte uns nachdenklich. Wie so oft während unserer Wanderungen begegnete uns auch hier gegenständlich gewordene Geschichte! Und vor allem auch mit Geschichten über den Krieg. Immer wieder fanden wir in den Landschaften, durch die uns die Wanderwege führten, auch Spuren des Krieges. Manche Menschen der älteren Generationen haben aus ihrer Lebenserfahrung heraus das Gespür dafür, sie zu sehen. Junge Leute haben es oft nicht gelehrt bekommen, hinter den Dingen auch deren Geschichte zu sehen.
Weiter wanderten wir. Zogen durch die Waldeinsamkeit. Die Zschopau in einiger Entfernung von unserem Wanderweg fließend. Aber bald waren wir wieder an ihrer Seite und wechselten am Wasserkraftwerk Dreiwerden erneut das Ufer. Wir kamen in ein altes Silberbergbaugebiet. Auf Reichtümer waren wir allerdings nicht aus. Hunger hatten wir bekommen, und in den Rucksäcken fand sich kein Nothappen mehr! Darum liefen wir vom Zschopau-Ufer den Hang zum Stolleneingang des Bergwerks „Alte Hoffnung“ hinauf. Dieser hoch über dem Tal gelegen. Spaziergänger hatten uns darauf aufmerksam gemacht, dass es dort oben Kaffee und Kuchen und vielleicht einen Imbiss geben könnte.
Das Bergwerk ist schon lange nicht mehr in Betrieb, aber es wurde als Schaubergwerk ausgebaut. Nach Anmeldung können Wissensdurstige oder Neugierige bergmännisch „einfahren“. Am Eingang zur Anlage kamen wir, nun ja, kamen wir wieder einmal ins Gespräch. Diesmal mit einem etwa sechzigjährigen Arbeiter, der dort den Besucherverkehr regelt und für Ordnung und Sicherheit verantwortlich zeichnet. Ein drahtiger Typ mit einem flinken Mundwerk, wie man sie im Erzgebirge manchmal antrifft. Wir verstanden uns gleich, und ein lustiger Dialog begann. Von ihm erfuhren wir Interessantes über den Bergbau in dieser Gegend und an der Zschopau. Er machte uns aufmerksam auf „Mundlöcher“ zu den alten Schächten, auf stillgelegte Gleise sowie auf Entwässerungskanäle, die man am Wegesrand sehen kann.
Der Bergbaukundige wies uns auch den Weg zu Kaffee und Kuchen: weiter hinauf zum klitzekleinen Ort Schönborn, an dessen äußerstem Rand wir auf ein klitzekleines Restaurant mit einer nicht klitzekleinen, sondern sehr ansehnlichen jungen Wirtin trafen. Sie führt dort eine klitzekleine Erwerbsquelle. Ach Gott, ist es für das hübsche Frauenzimmer und die wenigen anderen Bewohner dort oben einsam! Sie klagte nicht, machte aber deutlich, dass man sich hier keine großen Sprünge erlauben könne. Außer die in den nahen Wald oder über die Wiesen und Felder!
Nach der kleinen Nachmittagsvesper „sprangen“ wir weiter. Auf schmalem Pfad, steil hangabwärts. Einige hundert Sprünge, und wir fanden zu unserer Wanderfreundin, der Zschopau, zurück. Ein ziemlich langer Kanten Richtung Frankenberg lag noch vor uns. Unterbrochen unser Weg von einer längeren Unterhaltung mit einer größeren Radwandergruppe auf dem Sonntagsausflug – Junge und Alte, Eltern und ihre Kinder, Opa sowie Oma und ihre Enkel, Freunde und Nachbarn, Männlein und Weiblein verschiedenen Alters. Sie zeigten sich an unserem Wandern sehr interessiert und freuten sich darüber, dass wir über ihre schöne Heimat schwärmten. Freundlich-fröhlich und mit guten Wünschen füreinander verabschiedeten wir uns voneinander.
Die Etappe begann wirklich lang zu werden. Wieder stießen wir auf sumpfige Auen am Fluss. Nicht vom Weg abkommen und in die Sümpfe geraten! (Keine Bange, die Wanderstraße war breit!) Endlich an der Sachsenburg! Unsere kleine Hoffnung: Frankenberg konnte folglich nicht mehr weit sein.
Die Burg liegt weit oben über der Zschopau. Zu hoch und zu weit ab von unserem Wanderweg. Am Fluss rasteten wir in der „Fischerschänke“. Diese in einem ehrwürdigen Steinhaus an einem großen Wehr. Dominant im Gelände ein riesiges altes Fabrikgebäude, die ehemaligen „Textilsachsenwerke“. Daneben, zur ehemaligen Fabrik gehörend, kleine Wohnhäuser. Alles sehr romantisch! Reger Sonntagsnachmittagsbetrieb. Wir hielten uns nicht lange auf, sondern machten uns bald wieder auf die Wanderstrümpfe Richtung Frankenberg.
Zum attraktiven Abschluss