Ein Blockhaus in der Einsamkeit. Nicole Lischewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicole Lischewski
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783944921198
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deiner Cabin im Ort sitzen! Das hier ist jetzt mein Zuhause. Meins in Atlin hab ich verkauft.“

      Plötzlich sprang Chris auf und lief zu unserem Werkzeugdepot neben der Baustelle. Mit einer Faust voller 40 Zentimeter langer Nägel kam er wieder. „Hier“, rief er triumphierend. „Wir nageln die Stämme in die Wand.“

      „Nageln? Aber dann hängen die nur an den Nägeln! Die müssen ja nicht nur die OSB-Platten, sondern unsere ganzen Versorgungsmittel und das Bett inklusive uns tragen!“ Ich starrte die Nägel an. „Das wird doch nie im Leben halten!“

      „Könnt ihr nicht Stützbalken daruntersetzen?“, fragte Frank.

      „Irgendwie so was können wir noch machen“, sagte Chris. „Ist doch egal, Hauptsache, die Dinger halten erst mal und wir können mit dem oberen Stockwerk weitermachen. Wenn das Haus gedeckt ist und der Ofen drin ist, haben wir Zeit, uns was zu überlegen. Aber jetzt nicht!“

      „Also gut. Nageln wir sie fest.“

      Die Nägel hielten tatsächlich. Angetrieben vom bunt leuchtenden Herbstlaub und dem Neuschnee auf den Bergen, der sich stetig in die Baumgrenze hinunterarbeitete, bauten wir das Loft in Rekordzeit. Natürlich waren die Wände nur halbhoch, aber inzwischen ging uns die Arbeit auch leichter und schneller von der Hand. In den letzten Wochen waren wir nicht nur zu Muskelpaketen geworden, sondern hatten auch die Tücken jedes einzelnen Vorgangs in- und auswendig gelernt. Sobald es kompliziert wurde, riefen Chris und ich nach Frank, der mit einer Engelsgeduld und viel Konzentration auch der schwierigsten Aufgaben Herr wurde.

      Unser Blockhaus ist noch vor dem Winter fertig geworden

      Ende September, kurz bevor Frank nach Deutschland zurückfliegen musste, war das Dach fertig gedeckt und der Ofen installiert. Nicht nur das Haus war fertig, sondern wir auch: Je näher der Winter rückte, desto mehr hatte Chris uns bei der Arbeit vorangetrieben. Ich war das Wildnisleben zu dritt herzlich leid, bei dem es durch unseren selbstgemachten Stress und die Isolation des Waldes immer wieder zu Spannungen kam.

      Es war eine Ausnahmesituation für uns alle gewesen. Chris hatte sich nicht nur dafür verantwortlich gefühlt, dass wir die Cabin innerhalb von drei Monaten fertigstellten. Ihm war auch wichtig, dass Frank trotz der vielen Arbeit eine Art Urlaub bei uns hatte – und Frank war in der unbekannten Wildnis mit ihren Bären und weglosen Wäldern nur ungern allein.

      Innen ist noch alles ein Provisorium

      Auf dem Bau arbeitete ich wesentlich lieber mit ihm als dem ständig aufbrausenden Chris zusammen, aber gerade darum fehlten mir in den drei stressvollen Monaten umso mehr entspannte Momente der Zweisamkeit mit meinem Freund. Wir waren alle erleichtert, als nicht nur das Bauen an der Cabin endlich ein Ende hatte, sondern auch unser Leben als Dreiergespann in der Wildnis. Das Kennenlernen der Einsamkeit konnte jetzt beginnen.

      Herbst in der Wildnis

      „Verdammt noch mal!“ Fluchend drückte ich gegen die nadeligen Äste des verfilzten Tannendickichts. Chris hatte ich schon vor Minuten aus den Augen verloren. Der Fetzen Himmel, den die Bäume freiließen, war bleigrau, und weder Berggipfel noch die Sonne zeigten sich als Richtungsweiser. Mein Herz pochte in meiner Kehle. Ich hatte keine Ahnung, wo zum Teufel ich eigentlich war und in welche Richtung es zu unserem Blockhaus ging. Unsere Erkundungsgänge im Herbstwald endeten fast immer so: in einer Sackgasse aus dichtestem Gesträuch oder mitten im Sumpf, und mit der brennenden Frage, wo genau wir uns überhaupt befanden. So viel zum Thema leicht zu durchwandernder Mischwald.

      „Sweetie?!“ Angespannt lauschte ich. Die Hunde blieben stehen und horchten ebenfalls.

      „Hier!“, kam es dumpf von links, irgendwo zwischen den Bäumen. „Ist es dahinten besser zu laufen?“, rief ich und spürte die momentane Angst von mir abfallen, dass ich mich nicht nur verlaufen, sondern auch noch Chris im Wald verloren hatte. „Hier ist alles komplett dicht!“

      „Warte, ich komme!“

      Hektisch nestelte ich in meinem Rucksack nach dem Kompass. Schritte knacksten, und dann stand Chris vor mir, die Mütze und Schultern mit Blättern und kleinen Zweigen bestreut. Er hatte sein GPS in der Hand. „Wir sind hier schon richtig“, sagte er und tippte auf den kleinen Bildschirm des Geräts. „Aber wir müssten doch schon längst den See sehen“, protestierte ich. „Nein, wir kommen bloß zu langsam voran. Jetzt haben wir für 500 Meter geschlagene zwanzig Minuten gebraucht!“

      Blizzard sah mich an und ging ein paar Schritte, blieb stehen und blickte mich wieder an. „Ja, ich weiß, Blizzy, wir wollen nach Hause!“ Er ging gemessenen Schrittes weiter in seine eingeschlagene Richtung und sah sich erneut um.

      „Du, ich glaub, er will uns nach Hause führen“, sagte ich zu Chris und zeigte auf meinen Hund.

      „Die Richtung stimmt schon ungefähr, aber woher soll er den Weg wissen? Wir sind hier ja noch nie gewesen.“

      Blizzard und ich tauschten einen langen Blick aus. Er war der Leithund meines kleinen Rudels, und ich hatte ihn erst als erwachsenen Hund adoptiert. Im Reservat der Tlingit geboren, war er bei einem weißen Alkoholiker aufgewachsen, der in einer grob zusammengezimmerten Hütte im Wald hauste und sich eines Tages bei einer illegalen Grabung in einem Minenschaft in die Luft gesprengt hatte. Blizzard kam mir vor, als hätte er in seinem Leben schon alles gesehen.

      „Vielleicht weiß er es aber“, sagte ich. „In Atlin habe ich doch immer zu den Hunden 'let's go back' gesagt, wenn ich auf Spaziergängen wieder umgedreht bin.“

      „Den gleichen Weg zurückgehen will ich aber nicht unbedingt“, meinte Chris und pflückte sich ein paar Tannennadeln von der Jacke.

      Blizzard kennt den Weg nach Hause

      „Blizzard, let's go back.“ Ich nickte meinem Hund zu, der mich prüfend ansah. Er machte ein paar Schritte und schaute sich nach mir um. „Komm, wir folgen Blizzy. So ist es fein, let's go back!“

      Er setzte sich wieder in Bewegung, und Silas, Koyah, Chris und ich folgten ihm aus dem Dickicht heraus in den offeneren Pappelwald.

      Chris starrte auf sein GPS. „Du, der geht genau richtig! Das ist der direkte Weg!“

      „Siehst du, er weiß es einfach.“

      „Aber wie? Vielleicht kann er Rauch vom Ofen riechen?“

      „Aber der Wind geht doch in die andere Richtung.“

      Hin und wieder vergewisserte sich Blizzard, dass ihm sein Gefolge noch auf den Fersen war. Unbeirrt, ohne zu wittern oder anzuhalten, schritt er langsam voran, sodass auch wir Zweibeiner mithalten konnten.

      „Ist ja der Hammer“, brummelte Chris. „Haargenau auf Kurs – durch eine völlig fremde Gegend!“

      Aufgeregt steckte ich meinen Kompass weg. Das war es, genau das war es, das ich lernen wollte: Den Wald nicht als ein Hindernis zum Durchqueren wahrnehmen, sondern sich darauf einlassen können; mit meinen Tieren zu einem Team verwachsen und der Natur näher kommen, als ich es bisher gekonnt hatte. Wie würde es wohl in ein paar Jahren sein, wenn ich nicht nur den Wald, sondern hoffentlich auch das Leben der Wildtiere besser kannte?

      Baumstümpfe leuchteten hell aus dem Unterholz – hier hatten wir gefällt. Es ging nun stetig bergab durch lichtes Weiden- und Beerengestrüpp, bis wir kurz darauf auf der Wiese hinter unserem Blockhaus standen. Durch die herbstgelben Bäume leuchteten der See und die schneebedeckten Berge.

      „Tja, das GPS brauch ich anscheinend nicht mehr“, sagte Chris und steckte es weg. „Oder ob das Zufall war?“

      „Glaube