Dann kam es Ende des 19. Jahrhunderts jedoch mit der „energetischen Bewegung“ des Physikochemikers A. W. OSTWALD zu einem neuen Impuls. Sein übergreifender metaphysischer Ansatz verband Physik, Technik und Staat durch sein Grundprinzip von der Verbesserung des Nutzens: „Der ökonomische Koeffizient der Energietransformation ist so wirklich der allgemeine Maßstab menschlicher Angelegenheiten.“27 1912 formulierte er seinen Energetischen Imperativ: „Vergeude keine Energie, sondern nutze sie!“28
OSTWALDS Verdienst ist es damit, ein normatives Leitbild einer „dauerhaften Wirtschaft“ geschaffen zu haben, letztlich ein Vorläufer der „sustainable economy“. Er hatte damit auch Resonanz, allerdings mehr zufällig aufgrund des „Kohlennot-Alarms“ von 1900, einer hochkonjunkturbedingten massiven Kohlenknappheit.29
Das Denken in Wirkungsgraden verbreitete sich schnell in der Technik und führte vor dem Ersten Weltkrieg zu einer „progressiv-technokratischen Ingenieurbewegung, die sich z. T. auch kritisch gegen die Kaufleute in den Unternehmungsleitungen richtete und latent antikapitalistisch war. Ziel dieser Bewegung war der Kampf gegen jegliche Vergeudung von Energie-, Material- und Arbeitsressourcen in der Gesamtwirtschaft.“30
Der erste Weltkrieg verschärfte unter dem Eindruck der Knappheit die Bemühungen um rationelleren Umgang mit den Ressourcen. Namentlich sind hier W. RATHENAU und W. VON MÖLLENDORF zu nennen, die sich für eine generelle Verbrauchssenkung von Energie und Rohstoffen einsetzten, bei RATHENAU 1917 dazu noch verbunden mit allgemeinen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen: „Heute ist jeder Verlust, jede Verschwendung Sache der Gemeinschaft.“31 Ähnliche Reformansätze gab es in den USA, auch hier von den Ingenieuren ausgehend. Sie reichten dort über das Kriegsende hinaus und manifestierten sich in einer „Revolt of Engineers“.
Mit der Rückkehr zu „normalen“ Verhältnissen nach dem Krieg mit gutem Angebot von Energie und Rohstoffen in den 1920er Jahren verflachte in den USA wie in Deutschland die energetische Bewegung zu einer Rationalisierungsstrategie nach TAYLOR und FORD. Der „Energetische Imperativ“ war etwas für Notzeiten gewesen, den man bei einem reichen Angebot an Rohstoffen und Energieträgern schnell wieder vergaß. Fast typisch wiederholte sich dieser Prozess im und nach dem zweiten Weltkrieg. Erst die Debatte über die Grenzen des Wachstums der 1970er Jahre und vor allem die beiden Ölpreiskrisen 1973–1975 und 1979–1982 beendeten diese Phase des sorglosen Umgangs mit Rohstoffen und Energie.
Die Mahnungen aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hatten zwar keine unmittelbaren praktischen Folgen für den Umgang mit Energie gehabt, wie oben erläutert. Aber sie hatten doch die Reichweitendiskussion angestoßen, die auch nach dem Aufkommen des Erdöls die Szene bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts beherrschte, als sich mit der Kernenergie eine scheinbar unerschöpfliche Energiequelle auftat. Ihre Ergebnisse wurden zwar jeweils zur Kenntnis genommen, gaben jedoch keinen Anlass zum grundlegenden wirtschaftlichen oder technischen Wandel, zumal sich immer Korrektive auftaten. So bewahrheitete sich die Prognose einer schnellen Kohlenkrise nicht – mit dem Beginn der Erdölnutzung ab 1859 gab es für die Kohle Konkurrenz und zumindest partiellen Ersatz.
Die Problematik der Reichweite der Vorräte stellte sich allerdings auch hier. Sie wurde sogar offensichtlicher und führte zu etlichen Kassandra-Rufen: die mühsam erschlossenen Ölfelder erschöpften sich oft binnen weniger Jahre. Das zeigte sich früh in den USA, die den Erdölboom 1859 mit der Bohrung von DRAKE in Pennsylvania angestoßen hatten. DRAKES Bohrung war zwar nicht der erste erfolgreiche Fund – 1844 hatte schon der russische Ingenieur F. N. SEMYENOV mit einem Schlagbohrsystem eine erste Ölquelle im auch heute noch genutzten Ölfeld von Bibi-Eibat erschlossen – jedoch verfügten die Amerikaner über das Patent des kanadischen Arztes und Geologen A. P. GESNER auf die Herstellung von Petroleum aus Kohle oder Erdöl. Das gab dann den Ausschlag für ihre künftig führende Rolle im neu entstehenden Ölmarkt.
„Schon 1910 erklärte das US-Bergbauamt, die Erdölvorräte würden nur noch für 10 Jahre reichen.“32 1919 findet sich mit 20 Jahren eine nächste kurze Reichweitengabe und 1922 ermittelten US-Regierungsgeologen, dass die amerikanischen Quellen 1940 versiegt sein würden. Sogar der Begriff „Ölnot“ zirkulierte und wurde von ROCKEFELLER im Kampf um weltweit neue Erschließungsrechte politisch genutzt.33
In der Folge mehrten sich die Reichweiten-Prognosen für Kohle und Öl, die häufig nicht vergleichbar waren, da die Begriffe wechselten oder unscharf verwendet wurden. Schon länger unterscheidet man korrekt34
Reserven (bestätigte Reserven): Teil des Gesamtpotentials, der mit großer Genauigkeit erfasst wurde und mit den jeweiligen technischen Möglichkeiten wirtschaftlich gewonnen werden kann.
Ressourcen: Teil des Gesamtpotentials, der entweder nachgewiesen, aber derzeit nicht wirtschaftlich gewinnbar ist, oder geologisch noch nicht genau erfasst ist.
Gesamtpotential: Die Summe aus Reserven und Ressourcen, also das verbleibende Potenzial für den zukünftigen Verbrauch.
Statische Reichweite: Der Wert entspricht dem Verhältnis der jeweils bekannten Reserven zur Ölproduktion des jeweils abgelaufenen Jahres (engl. Reserve-to-Production-Ratio). Dass die statische Reichweite lediglich eine Momentaufnahme liefert und künftige Nachfrageänderungen in die Berechnung nicht einfließen, war zwar grundsätzlich bekannt, fand aber erst viel später Eingang in die offiziellen Statistiken.35
Mit den 1920er Jahren haben wir jedoch schon eine Epoche erreicht, in der ein neuer und letztlich bedrohlicherer Aspekt Beachtung fand: die ökologischen Folgen der Nutzung von Bodenschätzen und fossiler Energie. Zu Beginn des Jahrhunderts war erstmals ein Zusammenhang zwischen der Oberflächentemperatur der Erde und einem Anstieg des CO2 in der Atmosphäre durch die Industrialisierung thematisiert worden. Allerdings fehlten damals die Daten für einen Nachweis der These, s. Kap 4, Klimadiskussion: Treibhauseffekt.
Schon im 19.Jahrhundert hatte es bereits erste Schritte zum Naturschutz gegeben. 1872 beschloss der amerikanische Kongress die Einrichtung des Yellowstone National Park. Dies gab Anregung auch für andere Nationen, z.B. Schweden, das 1909 die ersten Nationalparks einrichtete. Einige der ersten internationalen Bemühungen um den Naturschutz waren dann36
1911, erste internationale Konferenz für Vogelschutz in Paris,
1913, erste internationale Konferenz für Naturschutz in Bern,
1923, 1. Internationaler Kongress für Naturschutz in Paris,
1925, 1. Deutscher Naturschutztag in München.
Bis zu internationalen Abkommen war es jedoch noch ein weiter Weg – erst mussten zwei Weltkriege geschlagen und überwunden werden.
Regenerative Energien und deren Nutzungsmöglichkeiten waren Anfang der 1930er Jahre durchaus bekannt. Ihre Entwicklung, insbesondere der Weg zu Solar- und Windenergie, wird in späteren Kapiteln beschrieben.
Der Ersatz von Kohle und Öl durch nachhaltige Quellen wurde jedoch erst langsam zum Thema. Einer der ersten war der Sachbuchautor H. GÜNTHER, der sich hier grundsätzliche Gedanken machte.37 Er propagierte im Hinblick auf die Endlichkeit der Kohlevorräte eine Welt ohne Kohle und eine Energieversorgung über Solarenergie, Wellenkraftwerke, Windtürme, etwaige Zyklonenergienutzung sowie Wärme aus tropischen Meeren und der Erde als Energiequellen.
Aufmerksamkeit erreichten solche Publikationen – Konsequenzen hatte sie jedoch lange nicht. Dies hatte mindestens vier Ursachen:
In den 1930 bis 1950er Jahren war die Welt mit dem Phänomen des Nationalsozialismus, den Kriegsvorbereitungen Deutschlands, der Kriegsführung selbst und nicht zuletzt den Folgen des Krieges mehr als beschäftigt.
1910 wurden die ersten Erdgasfunde in Deutschland bei Neuengamme nachgewiesen. Die erste „Deutsche Verordnung zur Suche nach Erdöl und Erdgas” aus dem Jahr