Der Weg zur Energiewende. Fritz Dieter Erbslöh. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fritz Dieter Erbslöh
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Математика
Год издания: 0
isbn: 9783816900382
Скачать книгу
hinter den verschiedenen staatlichen Eingriffen erläutert und dabei durchaus dazu anregt, die Perspektive zu ändern und effiziente, technologieoffene Lösungen für ein mittlerweile unbestrittenes Problem aufzusuchen.

      Viel Zeit bleibt nicht mehr – aus heutiger Sicht sind es bereits 2,5 °C durchschnittlicher Temperaturerhöhung, die noch erreichbar scheinen. Aber nur, wenn dieser Gefahr mit den geeigneten Mitteln beherzt und vor allem global begegnet wird.

      Bereits Seneca hat uns gelehrt: „Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen.“

      Essen, im Februar 2021 Prof. Dr. Werner Klaffke

       Haus der Technik e. V.

      Zum Thema

      Die Ziele der sogenannten Energiewende lassen sich nach gegenwärtigem Verständnis klar und einfach, wenn auch etwas verkürzt, so benennen: Sie soll den Rückzug aus der Kernenergie bewirken und kompensieren, fossile Brennstoffe durch die erneuerbaren Energien ersetzen und den Ausstoß an klimaschädlichen Gasen, insbesondere des CO2, reduzieren bzw. neutralisieren und schließlich das Schadstofflevel bis zum Ende des Jahrhunderts dauerhaft absenken.

      Was so einfach klingt, stößt in der harten Wirklichkeit auf große Probleme. Wirtschaftliche Folgen, technische Schwierigkeiten, politischer Streit sind schon heute zu beobachten und werden beim Fortschritt des Programms noch zunehmen. Soziale Verwerfungen durch eine zunehmend allergisch reagierende Öffentlichkeit sind nicht ausgeschlossen.

      Das darf nicht verwundern – die Energiewende ist ein Großprojekt, das die gesamte Gesellschaft erfasst und in Umfang und Folgen in der deutschen Geschichte einmalig dasteht.

      Wie dieses Projekt entstand, was bis zur Gegenwart mit welchen Mitteln erreicht wurde und wie es schließlich ausgehen könnte, ist Gegenstand dieses Buches. Dabei wird sich einerseits ergeben, dass die Energiewende eine durchaus längere Vorgeschichte hat. Es wird ferner deutlich werden, dass die Energiewende in der beschriebenen Form ein spezifisch deutsches Projekt ist. Und es wird sich auch zeigen, dass angesichts der Größe und Vielgestaltigkeit ein Erfolg am Ende zwar wünschenswert, aber nicht sicher ist.

      Deutschland ist nicht allein auf der Welt, und CO2 und andere Schadstoffe machen nicht an Grenzen halt. Deshalb sind insbesondere die Entwicklungen in den Nachbarländern, speziell den Ländern der Europäischen Union mit einbezogen, zumal inzwischen die EU in etlichen Feldern die Maßnahmen in den Mitgliedsländern vorgibt. Die weiter ausgreifende weltweite Perspektive auf Forschungsstand, internationale Vereinbarungen und Daten macht schließlich deutlich, dass die deutsche Energiewende nur ein Beitrag zur Lösung eines größeren Problems sein kann, der jedoch durch die beispielgebende Entwicklung der technischen Möglichkeiten einen besonderen Stellenwert einnimmt oder diesen zumindest beansprucht.

      Was die Technik angeht, so wird in diesem Buch eine Vielzahl von praktizierten und zukünftigen alternativen Lösungen behandelt, die sich teils ergänzen, teils auch miteinander konkurrieren. Wie das Schlusskapitel aufzeigt, besteht der Weg in die Zukunft möglicherweise darin, diese Vielfalt von Pfaden bewusst beizubehalten und damit zuzugeben, dass es die eine große, alles abdeckende und allen willkommene Lösung nicht gibt.

      Die Umsetzung der Energiewende ist ein Prozess, der sich rasch entwickelt. Auch der Ausbruch von Covid-19 hat ihn kaum verlangsamen können. Die vorgelegte Veröffentlichung gibt den Stand von Oktober 2020 wieder, mit einigen bis Dezember 2020 reichenden Aktualisierungen.

      1 Einführung: Der Begriff

      Die sogenannte Energiewende ist ein Begriff, der in Deutschland geboren wurde. Seine Inhalte sind älter und gehen auf den US-amerikanischen Autor A. LOVINS zurück, der 1976 den Ausdruck »Soft Energy Path« benutzte, unter dem er seine Vorstellung eines zukünftigen Energiesystems schlagwortartig in die Öffentlichkeit trug. Sein Hauptanliegen war es, das klassische Energieversorgungssystem durch Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen zu ersetzen und mit forcierter Energieeffizienz eine weitere Energieressource zu installieren. Der Begriff findet sich in einem Artikel für die Z. Foreign Affairs, veröffentlicht unter dem Titel „Energy Strategy: The Road Not Taken?“.

      LOVINS stellte hier zwei Entwicklungspfade einander gegenüber: den harten und den weichen Pfad, s. nachstehende Abbildung.

      Abb. 1‑1:

      ‚Soft‘ and ‚Hard‘ Energy Paths; Quelle: A. Lovins, Energy Strategy: The Road Not Taken, 1976

      Ein Jahr später präzisierte LOVINS sein Programm ausführlicher mit der Buchveröffentlichung „Soft Energy Paths: Towards a Durable Peace”.1 Es erschien 1978 auch in Deutschland.

      Abb. 1‑2:

      Lovins bei Präsident Carter, Okt. 1977. Carter galt als Freund regenerativer Energiequellen; Quelle: Rocky Mountain Institute (RMI)

      LOVINS’ Ideen fanden große Publizität, bis zum Interview mir Präsident CARTER im Weißen Haus, s. Abb. 1‑2. In Deutschland übernahmen der Frankfurter F. KRAUSE und seine beiden Co-Autoren H. BOSSEL und K.-F. MÜLLER die Überlegungen LOVINS‘ und wandten sie auf Deutschland an. Ihr Alternativ-Bericht „Energie-Wende. Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran“ erschien 1980 im Selbstverlag der Autoren2 und wurde kurz darauf als Bericht des neu entstandenen Freiburger Öko-Instituts bei S. Fischer verlegt.3 Die These der Autoren war, „dass eine grundsätzliche und radikale Wende in der Energiepolitik der Bundesrepublik (und der Industriestaaten im Allgemeinen) unabdingbar geworden ist.“4 Diese Publikation gilt als Ursprung des heute geläufigen Begriffs.

      Das Verständnis der Energiewende als Übergang zu nachhaltiger Energiepolitik findet sich 2002 erstmals in Deutschland in der vom deutschen Bundesumweltministerium in Berlin ausgerichteten Fachtagung „Energiewende – Atomausstieg und Klimaschutz”.5 Das Bundesumweltministerium veranstaltete diese Tagung gemeinsam mit der Forschungsstelle für Umweltpolitik (FFU) der Freien Universität Berlin am 15. und 16. Februar 2002 im Deutschen Architektur Zentrum, Berlin. In den Folgejahren wurde dann „Energiewende“ zunehmend zum Leitbegriff und Schlagwort der energiewirtschaftlichen Diskussion in Deutschland und auch der offiziellen deutschen Politik.

      Erst viel später, wohl zuerst 2011 im Bostoner Christian Science Monitor, findet sich der Begriff auch im englischen Sprachraum, als dieser über die Beschlüsse der deutschen Bundesregierung nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima berichtete und Kanzlerin MERKEL zitierte. Hier und danach finden sich Übersetzungen wie „energy transition“ (Energieübergang) oder „energy switchover“ (Energiewechsel), zunehmend aber auch das deutsche Wort Energiewende.6

       Energiewende ist also ein Wortbegriff der jüngsten Vergangenheit. Seine komplexen Inhalte sind jedoch älteren Ursprungs, zumindest in Teilen, und haben ihre eigene Geschichte.

      Das wird in den folgenden Kapiteln deutlicher werden.

      2 Die Anfänge: Ressourcen

      Energie wurde schon im Altertum zu einem wichtigen Gewerbe- und Handelsgut, im Wesentlichen in der Form von Holz. Es lohnt, die Geschichte dieser Ressource zu verfolgen – es ist dies ein erstes Beispiel für intensivste Nutzung, hieraus entstehende Probleme, deren Bewusstwerden und schließlich auch für ihre zumindest partielle Lösung.1

      Die griechische und römische Antike verwendete umfangreich Holz als Brennstoff für den häuslichen Bereich, also zum Kochen und Heizen in relativ einfachen Öfen, aber auch in den anspruchsvolleren Hypokaustenanlagen. Die meist für das Kochen verwendete Form war die der Holzkohle (anthrax im Griechischen, carbo bei den Römern), weil sie langsamer brannte, weniger Rauch entwickelte und leichter über Fächer oder Blasebälge zu regeln war.2 Holzkohle wurde in der Antike auch gebraucht für Metallschmelzöfen, da sich mit ihr hohe Temperaturen (nach LANDELS bis 1500 °C) erreichen ließen. Da sich nur bestimmte Hölzer (Steineiche, Buche) für die Köhlerei eigneten und deren Meiler von den Verwendungsstätten wegwanderten, dürfte