3 Familie
Der ursprüngliche Ort der Erziehung ist im AT die Familie. Trotz der patriarchalen Gesellschaftsstruktur, die sich an der Erziehung des Sohnes durch den → Vater orientiert (Spr 3,12; 4,1; 13,1; Sir 3,1.8.12; 22,3), wird auch die Mutter nicht selten gleichrangig neben dem Vater (Dtn 21,18f.; Spr 1,8; 6,20; 10,1; 15,20; 17,25; 19,26; Sir 3,2) oder auch allein (Spr 31,1.26) erwähnt. Die Erziehung der Tochter durch die Mutter (Hld 8,2) bzw. die Eltern ist in den Texten kaum zu greifen, sie wird aber vorausgesetzt, da nur eine wohlerzogene Tochter später die Erziehungsaufgabe einer Mutter übernehmen kann (vgl. DELKURT 2002, 247). Deshalb ist stets damit zu rechnen, dass dort, wo von der Erziehung der Söhne im Plural (hebr. bānîm) die Rede ist (z.B. in Dtn 6,7 u. 11,19), die Töchter mitgemeint sein können und dann sinngemäß mit „Kinder“ (→ Kind) zu übersetzen wäre. Zu beachten ist außerdem, dass sich die ältere Spruchweisheit (Spr 10,1–22,16; 25–29) ursprünglich an Erwachsene richtet. Während die Anrede „mein Sohn“ hier nur zweimal begegnet (Spr 19,27; 27,11), wird sie später inflationär und zeigt an, dass die Sprüche nun einerseits verstärkt pädagogischen Zwecken dienen und andererseits das erzieherische Verhältnis des Vaters zu seinem Sohn zum Paradigma eines jeden Lehrer-Schüler-Verhältnisses wird (vgl. BETZ 2007, 42–45).
4 Gehorsam
Innerhalb der Familie genießt der Vater absolute Autorität. Er repräsentiert und garantiert die gottgegebene gesellschaftliche Ordnung. All sein Bemühen um den Sohn dient „vor allem einem zweifachen Ziel: der Einweisung in die Tradition, die der Sohn als die seine akzeptieren und ‚internalisieren‘ soll, und der Erziehung zum Gehorsam“ (BETZ 2007, 73). Mit der wiederholten Anrede „mein Sohn“ (auch im Plural: „Söhne“ oder „Kinder“) erhebt der Vater Anspruch auf ihn und fordert ihn auf, seine Worte aufmerksam zu hören, sie zu bewahren und nicht zu vergessen (Spr 1,8; 3,1; 4,1.10.20; 5,1.7; 6,20; 7,1.24; 8,32; 19,27; 23,19; Sir 3,1; 6,23; 23,7; 31,22; 39,13; 41,16). Entsprechend mahnt auch Mose als Lehrer Israels das Volk zum Hören (Dtn 4,1.9; 6,4; 9,1; 12,28; 27,9; 30,20; 31,12). Mit dem Höraufruf sind in der Weisheitsliteratur meist Mahnworte verbunden, die vom Angesprochenen ein ganz bestimmtes Verhalten verlangen. Weitaus häufiger sind in der alttestamentlichen Spruchweisheit aber Aussageworte, die lediglich „festhalten, welche Konsequenzen ein bestimmtes Verhalten nach sich zieht – oder zumindest nach sich ziehen kann“ (DELKURT 2001, 31). Der so Beratene muss dann selbst über sein Handeln entscheiden. Ob man darin schon „eine große Freiheit, die zugleich eine große Eigenverantwortlichkeit für den einzelnen mit sich bringt“ (DELKURT 2001, 34), erblicken darf, bleibt allerdings fraglich. Denn gelungene Erziehung wird im AT allemal danach bemessen, ob jemand sich schließlich in die traditionelle Ordnung einfügt oder nicht.
5 Züchtigung
Die Kompromisslosigkeit eines solchen Erziehungsmodells äußert sich nicht zuletzt darin, dass Ungehorsam gegenüber der väterlichen Autorität umstandslos mit harter körperlicher Züchtigung bestraft wird (Spr 13,24; 19,18; 22,15; 23,13f.; 29,15.17; Sir 30,1f.12f.; 42,5; vgl. BETZ 2007, 60–72). Auch bei Erwachsenen wird Torheit vorzugsweise mit dem Stock ausgetrieben (Spr 10,13; 15,10; 18,6; 19,25.29; 20,30; 21,11; 26,3; 27,6; Sir 22,6). Es zeigt sich das Bild einer Gesellschaft, in der Untergebene von ihren Vorgesetzten ganz selbstverständlich mit der Prügelstrafe belegt wurden, vor allem Sklaven (Sir 33,25; 42,5), die in der häuslichen Hierarchie auf der gleichen Stufe wie die unmündigen Kinder standen (so später ausdrücklich Gal 4,1). Darüber hinaus wird das Schlagen des Kindes in der alttestamentlichen Spruchweisheit „zur elterlichen Pflicht erhoben“ (BETZ 2007, 69), die sie erfüllen müssen, wenn sie ihre Kinder wirklich lieben und ihnen ein glückliches Leben ermöglichen wollen. Was uns hier entgegentritt, ist mitunter „rabenschwarze Pädagogik“ (BETZ 2007, 62).
6 Gottesfurcht
Fundament und Ziel jeder geglückten Erziehung ist nach alttestamentlicher Auffassung die Gottesfurcht (hebr. jirʾaṯ JHWH, Spr 1,7; Sir 1,11–30; 50,29). Damit ist freilich „keine angstbesetzte Zurückhaltung gegenüber Gott“ (ZENGER/FREVEL 2012, 407) gemeint, sondern Frömmigkeit (die Septuaginta übersetzt in Spr 1,7 und Jes 11,2 mit eusebeia), die sich praktisch im rechten Verhalten Gott und den Menschen gegenüber äußert. Im Deuteronomium bezeichnet Gottesfurcht „ausschließlich die Verehrung JHWHs, die sich in der Treue zum Bundesgott und in Beobachtung der Bundessatzung vollzieht“ (FUHS 1991, 715; vgl. z.B. Dtn 4,10). Demgegenüber orientiert sich weisheitliches Denken vornehmlich an der jedem Menschen mit dem Verstand zugänglichen Schöpfungsordnung (→ Schöpfung); Gottesfurcht ist dann nichts anderes als das Grundvertrauen in die von Gott gestiftete Ordnung der Welt.
7 Gescheiterte Erziehung
Das Bild von der „rabenschwarzen Pädagogik“ im AT hellt sich entscheidend auf, wenn man nicht nur die Spruchliteratur zum Thema berücksichtigt, sondern das Motiv auch in den alttestamentlichen Erzählungen aufspürt (vgl. BETZ 2007, 75–81). Dann wird deutlich, dass das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern gewöhnlich von Liebe und Fürsorge getragen ist, so etwa das Verhältnis der Erzväter zu ihren Söhnen (Gen 17,18; 21,11; 22,2; 25,28). Jakob bevorzugt seinen Sohn Josef und weckt dadurch den Widerwillen seiner Brüder (Gen 37,3f.; → Bruder); als Josef ihm genommen ist, überträgt er seine Vorliebe auf Benjamin (Gen 44,18–34). Eli und Samuel setzen dem frevelhaften und eigennützigen Verhalten ihrer Söhne nur halbherzigen Widerstand entgegen (1 Sam 2,12–36 u. 8,1–5). David bleibt seinen Söhnen Amnon und Absalom auch dann noch in Liebe verbunden, als sie sich gegen ihn auflehnen (2 Sam 13,1–19,9). All dies zeigt, wie Nachgiebigkeit und übergroße Liebe die väterliche Erziehung im AT nicht selten scheitern und gerade darin human erscheinen lassen.
8 Gott als Erzieher des Volkes
Im AT erzieht Gott selbst sein → Volk durch die Erfahrungen der Geschichte (vgl. BETZ 2007, 324f.). Im Deuteronomium sind dies die Gründungsereignisse seiner Bundesbeziehung mit Israel in der → Wüste (Dtn 4,36; 8,5 u. 11,2). Angesichts der Eroberung und Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier (597/587 v. Chr.; → Babylon) stellt sich dem Volk JHWHs die Theodizeefrage. Sie findet im Gedanken an eine göttliche Erziehung des Volkes durch die geschichtlichen Ereignisse eine Antwort, die vor allem das Jeremiabuch durchzieht und wahrscheinlich aus „deuteronomistischen“ Kreisen stammt. Danach ist das Volk JHWH untreu geworden, indem es sich an fremde Völker mit ihren Göttern gewöhnt und von ihnen Übeltaten gelernt hat (Jer 2,33; 9,4.13; 10,2.8; 12,16; 13,21.23). Es hat sich seinen Untergang selbst zuzuschreiben (Jer 2,19), weil es JHWHs Zurechtweisung nicht angenommen hat (Jer 2,30; 5,3; 7,28; 17,23; 30,14; 32,33; 35,13; Zef 3,2.7). Denn vor dem drohenden Strafgericht (Ez 5,15) bewahrt das Volk nur die rechtzeitige – wenn auch maßvolle – Züchtigung durch JHWH (Jer 6,8; 10,24; 30,11; 31,18; 46,28). Eine ähnliche erzieherische Absicht verfolgt das Heiligkeitsgesetz (Lev 17–26) mit seinen abschließenden Fluchsprüchen, die immer neues Unheil ankündigen für den Fall, dass Israel sich durch frühere Züchtigungen JHWHs nicht zur Umkehr bewegen lässt (Lev 26,18.23.28). Solcherlei Erklärungen einer leidvollen Geschichte als pädagogische Maßnahmen Gottes zum Wohle seines Volkes haben bis in die hellenistisch-römische Zeit hinein offenbar nichts an Plausibilität verloren (2 Makk 6,12.16; 7,33; 10,4; Weish 11,9f.; 12,22). Spätestens mit den Ereignissen der Shoa sind sie endgültig gescheitert.
9 Gott als Erzieher des Einzelnen
Obwohl das Leiden Einzelner im AT nur selten mit der göttlichen