3 Erdbeben bei der Theophanie Gottes
Die biblischen Schilderungen der Erscheinung Gottes (Theophanie) enthalten als kosmische Begleiterscheinungen neben Naturgewalten wie Unwetter, Feuer, Gewitter, usw. auch Erdbeben (Ex 19,18; Ri 5,4; Ps 68,9; Hab 3,6.10; Nah 1,5). Dies entspricht weitgehend anderen altorientalischen Vorstellungen, wonach allgemein bestimmte Götter als Verursacher von Erdbeben gelten. Die Natur bzw. Schöpfung reagiert heftig auf die Konfrontation mit der heiligen Macht Gottes (Ps 77,14–18). Im Lied der Debora erbeben die Berge vor JHWH, der vom Berg Sinai einhergeschritten kommt (Ri 5,4f.), um seinem Volk im Kampf gegen → Feinde beizustehen (vgl. Ps 46,7; 68,1–9). Auf diese Weise erscheint die Gottheit in ihrer kriegerischen Macht, die den Sieg Israels garantiert.
JHWH selbst wird in der Sinai-Theophanie wie ein Vulkangott beschrieben: „Der ganze Berg Sinai aber rauchte, weil der HERR auf den Berg herabfuhr im Feuer; und der Rauch stieg auf wie der Rauch von einem Schmelzofen, und der ganze Berg bebte sehr“ (Ex 19,18). Ebenso wie der Berg erbebt auch das Volk bei der donnernden Erscheinung JHWHs (Ex 19,16), Mensch und Natur reagieren gleichermaßen auf die erschütternde Theophanie. JHWH kann daher in seinem Zorn wie ein personifizierter Vulkanausbruch dargestellt werden: „Da wankte und schwankte die Erde,/die Grundfesten der Berge erbebten. Sie wankten, denn sein Zorn war entbrannt. Rauch stieg aus seiner Nase auf,/aus seinem Mund kam verzehrendes Feuer, glühende Kohlen sprühten aus von ihm.“ In Ps 77,19 wird JHWHs Rettungshandeln beim Exodus aus Ägypten von Gewitter und Erdbeben begleitet. Ps 97 besingt die königliche Macht JHWHs, die sich neben anderen Naturgewalten im Erdbeben äußert.
Das Gegenbild dazu findet man in der Erzählung über Elijas Gottesbegegnung auf dem Horeb, wo das Erdbeben zwar wie üblich zu den Begleiterscheinungen der Theophanie gehört, aber ausdrücklich betont wird, dass Gott nicht in den genannten furchterregenden Naturerscheinungen war (1 Kön 19,11f.). Erst nach einem „sanften, leisen Säuseln“ hört der Prophet die Stimme Gottes. Diese ungewöhnliche Aussage grenzt sich wahrscheinlich gegenüber dem Baalskult ab, in dem das Göttliche mit Naturerscheinungen identifiziert wurde. Elija erlebt Gott hier als Kontrast zu allem, was bis dahin als Ausdruck göttlicher Macht erlebt wurde. Ob sich hier ein sanfteres oder gar geistigeres Gottesverständnis ankündigt, ist in der alttestamentlichen Exegese freilich umstritten.
Gottes Ankunft in der Endzeit wird dagegen wieder von Erdbeben und anderen Naturphänomenen begleitet. Die sogenannte Jesajaapokalypse“ bietet eine eindrückliche Schilderung eines Erdbebens: „Die Schleusen hoch droben werden geöffnet, die Fundamente der Erde werden erschüttert. Die Erde birst und zerbirst, die Erde bricht und zerbricht, die Erde wankt und schwankt. Wie ein Betrunkener taumelt die Erde, sie schwankt wie eine wacklige Hütte“ (Jes 24,18ff.) Eine sehr anthropomorphe Gottesvorstellung begegnet in der Endzeitschilderung des Sacharjabuches, wo JHWH bei seiner Ankunft einem → Riesen gleich seine Füße auf den Ölberg stellt, sodass der Berg in der Mitte gespalten wird (Sach 14,4f.). In diesem Zusammenhang wird auf das große Erdbeben im 8. Jh. angespielt, auf das auch Amos Bezug nimmt. Bei Amos wie bei Sacharja ist das von Erdbeben begleitete Kommen Gottes mit der Gerichtsvorstellung verknüpft, wobei in Am 8,8 die Erderschütterungen explizit als Folge menschlicher Unrechtstaten bezeichnet werden. Dahinter steht eine kosmische Gerechtigkeitsvorstellung, bei der in Gottes Schöpfung das menschliche Handeln und Naturerscheinungen in einem engen Zusammenhang stehen, sodass sich Unrecht fast zwangsläufig auch in Naturkatastrophen äußert. In Jes 5,25 dagegen ist es direkt JHWHs Einwirken, wenn er beim Gericht in seinem Zorn seine Hand gegen sein Volk ausstreckt, sodass die Berge erbeben und „die Leichen wie Kehricht auf den Gassen“ liegen.
4 Literatur
BÖKER, Robert (1967): Erdbeben, in: Der Kleine Pauly II, 350f.
DAHMEN, Ulrich (2011): Erdbeben, in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet: www.wibilex.de (Zugriffsdatum 10.3.2012).
JEREMIAS, Jörg (21977): Theophanie. Die Geschichte einer alttestamentlichen Gattung, Neukirchen-Vluyn.
MIGGELBRINK, Ralf (2002): Der zornige Gott. Die Bedeutung einer anstößigen biblischen Tradition, Darmstadt.
Matthias Albani
Ernährung, wundersame
1 Das Wunder der Ernährung
Alle Ernährung wird in der Bibel letztlich auf Gottes Fürsorge zurückgeführt. Dass Gott durch sein Wort aus der Erde Pflanzen sprießen lässt, zielt nicht zuletzt auf die Versorgung des Menschen (Gen 1,11f. u. 29). Das steht im Gegensatz zu altorientalischen Mythen wie dem Atramchasis-Mythos, der zwar in mehrfacher Hinsicht der biblischen Urgeschichte verwandt ist, nach dem aber die Menschen erschaffen worden sind, um die Götter von ihrer Arbeit zu entlasten und mit Nahrung zu versorgen. Der Gott der Bibel ist nicht auf Nahrung angewiesen. Dennoch war die Dankbarkeit dafür, dass Gott „Brot aus der Erde hervorbringt“ (Ps 104,14; vgl. Ps 145,15), in biblischer Zeit Veranlassung, ihm pflanzliche und tierische Opfer darzubringen, und begründet bis heute in Judentum und Christentum die Sitte des Tischgebets.
Das Wunder der Ernährung und seine Zurückführung auf Gott im Allgemeinen stehen im Hintergrund des Motivs wundersamer Ernährung im Besonderen. Dieses märchenhafte Motiv dient in den biblischen Texten dazu, dem Spender – wenn er ein Mensch ist – göttliche Eigenschaften zuzuschreiben oder aber den Empfängern eine exklusive Gottesbeziehung zuzusprechen – wenn das Wunder unmittelbar auf Gott zurückgeführt wird. Das gilt unabhängig davon, ob die Speise selbst außergewöhnlich ist (Manna, Buchrolle → Buch) oder ob der Wundercharakter in der Vermehrung der Speise bzw. in den Umständen besteht, unter denen sie zur Verfügung gestellt wird.
Ein singulärer Fall wundersamer Ernährung liegt in der Paradiesgeschichte vor, wo der Baum der Erkenntnis und der Baum des Lebens (→ Baum) Früchte tragen, die demjenigen, der von ihnen isst, göttliche Fähigkeiten verleihen. Da es das Ur-Menschenpaar ist, das von dem einen Baum isst, aber von dem anderen nicht, wird in mythologischer Weise etwas über die ganze Menschheit gesagt: Es gehört zum Potential des Menschen, Erkenntnis von Gut und Böse zu erlangen, aber nicht, die Unsterblichkeit zu gewinnen.
Die weiteren Belege wundersamer Ernährung setzen – anders als die Paradiesgeschichte – jeweils einen Nahrungsmangel voraus (→ Wüste, Hungersnot, Armut, → Krieg, → Exil) und stehen in Verbindung mit hervorgehobenen Propheten und Gottesmännern.
Mose, Elija und Elischa zeichnen sich vor allen anderen biblischen Propheten durch die Zahl und Größe der von ihnen bewirkten Wunder aus. Sie werden nicht nur selbst von Gott versorgt (Elija) bzw. kommen wundersamer Weise ohne Nahrung aus (Mose), sondern vollbringen durch eigene Vollmacht Speisungswunder (Elija, Elischa), oder veranlassen Gott dazu durch ihre Fürbitte (Mose).
2 Mose und die Israeliten in der Wüste
Der Weg aus → Ägypten in das spätere → Land Israel wird gerahmt von der Verheißung wundersamer Ernährung: Ein „Land, da Milch und Honig fließt,“ wird den Israeliten vor Augen gestellt (von Ex 3,8 bis Dtn 27,3) – eine Verheißung, die in krassem Gegensatz zum Aufenthalt in der Wüste steht. Mose selbst kommt zwar auf dem Gottesberg (→