»Es war nötig.«
Bachmann spürt sein Herz in der Brust. Es hat einen Hüpfer gemacht und klopft jetzt heftig. Er fängt an zu schwitzen. »Es war nötig?«
»Er hat geplaudert. Beim Stammtisch und im Freundeskreis«, sagt der andere dürr. »Du kennst die Regeln. Wer Mist macht, ist draußen. So haben wir es vereinbart.«
Ja, denkt Bachmann, das haben wir vereinbart. Wer Mist macht, ist draußen. Aber doch nicht so! Doch nicht, wer Mist macht, ist tot. Laut sagt er: »Geplaudert? Woher weißt du das?«
»Ich weiß es. Das genügt«, sagt der andere.
»Und der Täter? Wer …«, setzt der Bürgermeister an, doch der andere fängt ihn ab.
»Das geht dich nichts an«, sagt er grob. Dann fragt er: »Was hast du in dieser Sache unternommen?«
Bachmann lauscht diesen Worten nach. Unternommen? In dieser Sache? Ich? »Ich habe die anderen zusammengetrommelt und vergattert«, antwortet der Bürgermeister kurz.
»Gut!«, hört er, »sieh zu, dass sie den Mund halten.« Und dann, nach einer Pause, sagt der andere: »Reden ist Gift, das weißt du. Vielleicht hätten wir uns die Leute besser aussuchen sollen?«
Das ist ein eindeutiger Vorwurf, denn er, Bachmann, hat die Leute ausgewählt. Schon vor Monaten hat er sein Umfeld beobachtet. Wer ist vertrauenswürdig? Wer hat genügend Geld? Wer ist, wenn es Not tut, verschwiegen genug? Er ist der Mann, der den Kreis festgelegt hat. Und dann die Leute angesprochen hat, einen nach dem anderen, in Einzelgesprächen, mit deutlichem Hinweis auf den erwartbaren Gewinn. Und auf das Risiko. Das war er. Bachmann. Anscheinend hat er dabei mindestens einen Fehler gemacht, so lautet jedenfalls die Rüge des anderen, auch wenn sie unausgesprochen bleibt. Der Bürgermeister nickt und will schon antworten, aber der andere hat die Verbindung abgebrochen. Draußen hört er Frau Vossen am Telefon, sie ist zurück von ihrer Frühstückspause. Er zählt langsam bis zehn, eher er behutsam den Schlüssel im Türschloss dreht. Atmet dann tief durch und öffnet mit einem Ruck fröhlich die Tür. Bürgermeister Bachmann ist wieder der Alte. Zumindest äußerlich.
3.
Die Arbeit beginnt
Mieke Janßen nimmt einen großen Schluck Tee aus ihrer Tasse. Sie wirft dem Kollegen Günter von der Spurensicherung einen forschenden Blick zu. Die beiden reden über den Täter, den Mann, der Albert Ukena erstochen und ihm die Augen aus den Höhlen geholt hat. Und über seine Signatur am Tatort. Da ist doch einer gewesen. Der Mörder. Also ein Mensch. Einer, der geatmet und gedünstet, vielleicht geschwitzt oder, wenn er dumm gewesen ist, ins Gebüsch gespuckt hat.
»Na? Was sagt der große Fährtenleser? Der amtierende Weltmeister unter den Spionen und Kundschaftern?«
Günter beantwortet den Blick aus trägen Augen unter schweren Lidern. Er ist selten zu Scherzen aufgelegt, heute schon gar nicht. »Was der sagt? Nichts sagt der. Kein Stück. Weil er nichts gefunden hat.«
Also ist der Täter nicht dumm gewesen. Die Oberkommissarin beugt sich trotzdem vor. »Wie denn? Nichts? Kein Hautfetzchen? Kein Schweiß, kein Tropfen von irgendwas? Das gibt’s doch nicht!«, entfährt es ihr.
»Nichts, rein gar nichts. Der hat noch nicht mal gefurzt.«
»So? Woher weißt du das?«
»Es hat nicht danach gerochen«, sagt Günter spröde und seine Lider senken sich zu einem schmalen Spalt.
Das sollte wohl lustig sein, oder zumindest das, was der Kollege in seiner kruden Art für humoristisch hält. Mieke kann es aber nicht komisch finden. Sie streicht ihr blondes Haar zurück. »Und das Tape? Das um die Augen gewickelt war?«
»Kannst du für ein paar Euro in jedem Baumarkt finden.« Gelangweilt zählt Günter die Baumärkte auf, bis ihn die Oberkommissarin unterbricht.
Sie lehnt sich zurück, in ihrer Hand dreht sich der Bleistift. »Schlechter Tag?«
»Kaum schlechter als alle anderen«, sagt der Kollege leicht bissig. Günter schielt auf Miekes Teetasse, sie sieht es und will ihm einschenken, aber er schüttelt den Kopf. »Das sind die dürren Fakten, gewöhne dich daran. Der Täter hat absolut nichts hinterlassen. Er hat wohl feste Kleidung getragen, kein auffälliges Schuhwerk. Er hat weder geschwitzt noch ins Gebüsch gespuckt. Was er gesagt hat, wissen wir nicht.« Wieder so ein galliger Scherz. Günter steht auf. »Ist noch was? Jetzt sofort?«
Die Oberkommissarin schüttelt den Kopf.
»Bericht kommt«, murmelt Günter und geht zur Tür. Der Mann ist seit Jahren frustriert. Er wartet auf die Beförderung, die irgendwo zwischen Hannover und Aurich hängen geblieben ist. Seine Arbeit tut er trotzdem, aber ohne Begeisterung.
Draußen wartet Werner Schmalfuß, der Spaziergänger aus dem Wald. Er war für acht bestellt, aber er hat sich verspätet. Um ganze 30 Minuten. Stiller Protest oder Schlamperei?
Mieke versteht diesbezüglich jedenfalls keinen Spaß. »Wenn ich sage 8 Uhr, dann meine ich es auch so. Das nächste Mal lasse ich Sie abholen, Herr Schmalfuß.«
Der verbeißt die Lippen zu einem harten Strich. Schlechter Beginn für eine Zeugenvernehmung, denkt Mieke.
Ob er hier rauchen dürfe?
Nein, dürfe er hier nicht.
Tee wolle er auch nicht, das sei kein Ersatz für die Zigarette. Das Gesicht des Zeugen wird endgültig zur steinernen Maske. Kein Wunder, dass die Atmosphäre frostig ist. Werner Schmalfuß ist kurz angebunden, seine Antworten kommen mürrisch. Die Oberkommissarin überlegt kurz, ob sie den Zeugen reizen soll, etwas Unbedachtes zu sagen. Dann lässt sie es. Unnötige Mühe. Verschwendung von Zeit und Energie. Ist es besser, wenn sie ihn rauchen lässt? Nein, so weit geht die berühmte Liebe nun doch nicht. Der Mann hat den Ermordeten als Erster nach der Tat gesehen, vielleicht sogar zu einem Zeitpunkt, als der Mörder noch im Wald war. Aber Mieke weiß, wie man sich in einer solchen Lage fühlt. Und sie weiß die Art der Antworten als das einzuordnen, was sie ist: keine Unwilligkeit zu kooperieren, sondern Ausdruck eines aufgewühlten Gemüts. Die Befragung ergibt auch keine Neuigkeiten. Schmalfuß wiederholt, was er schon am Tatort gesagt hat. Der Hund sei plötzlich stehen geblieben, ging keinen Schritt mehr. Gebellt oder geknurrt habe er nicht. Dann sei er selbst rein ins Gebüsch und habe die Leiche gefunden. Gesehen habe er nur die Reiterin, aus der Ferne, sie bog in einen anderen Weg ab.
»Was war das für ein Pferd?«, will die Oberkommissarin wissen.
»Eins mit vier Beinen«, sagt der Zeuge Schmalfuß spöttisch. Dann sieht er ihren Blick und schiebt etwas lahm hinterher: »Sorry, ich verstehe nichts von Pferden. Soweit ich mich erinnere, war es ziemlich dunkel. Braun.«
Mieke lässt das Protokoll ausdrucken, Schmalfuß unterschreibt. »Ich werde Sie vielleicht noch brauchen«, sagt die Oberkommissarin. Es klingt in seinen Ohren wie eine Drohung. Schmalfuß nickt knapp. »Grüßen Sie Ihren Hund.«
Er lächelt nicht, sondern verschwindet wortlos. Sie sieht ihn unten über die Straße laufen, Richtung Rathaus, dort hat Schmalfuß seinen Wagen abgestellt. Auf dem Parkplatz des Bürgermeisters glänzt eine neue Oberklassenlimousine, ein Benz. Mieke wundert sich nicht darüber und dann wieder doch. Bachmann liebt große Autos, das weiß die ganze Stadt. Seine Frau hat auch eine Schwäche dafür, sie fährt seit ein paar Monaten einen weißen SUV der Marke BMW. Arm scheint er nicht eben zu sein, der Herr Bürgermeister. Was verdient der eigentlich so?, schießt es ihr durch den Kopf.
Dann läutet das Telefon. Der Inspektionsleiter will sie sprechen. Es geht um den Mord im Wald von Wallinghausen.
Zur gleichen Zeit steht Bachmann ebenfalls am Fenster seines Büros. Auch er sieht den Zeugen Schmalfuß über den Parkplatz gehen. Er denkt sich nichts dabei, weil er den Mann nicht kennt. Außerdem hat der Bürgermeister andere Sorgen. Es geht ihm eine Menge durch