Ich schlafe gut, habe keine Angst am nächsten Morgen. In der Zwischenzeit hat bereits eine Blutung eingesetzt. Mein Körper hat mit dem Abschiednehmen begonnen.
Es ist OP-Tag in der Praxis. Die Sprechstundenhilfe bittet uns mit so viel Mitgefühl und Diskretion, wie ich es gar nicht erwartet hätte, herein. Wir sind früh dran. Die Praxis ist recht voll. Ein Mann sitzt hilflos stumm neben seiner Frau. Die beiden trennt ein Abgrund aus Trauer. Einer, der allein da ist, steht auf, als sein Name aufgerufen wird und geht in Richtung OP-Saal. Bevor Katja vom Einparken zurück ist, werde ich schon in den OP-Bereich gelotst. Ich bin leicht beschämt, komme mir fremd vor. Als Mann im Allerheiligsten der Frauen. Ich bekomme das Bett in der Ecke, versuche mich unsichtbar zu machen. Eine Frau weint in ihrem Bett. Der Narkosearzt schlampt etwas und ich sehe interessiert dem Blutfleck auf dem Laken zu, als er den Zugang legt.
Ich komme in den OP. Die Ärztin lächelt. Cooles T-Shirt. „I l<3ve trans.“
Ich lächle und bin weg.
Vier Wochen nach dem Ende meiner ersten Schwangerschaft zerbricht die Familienkonstellation. Katja und ich streiten uns über unsere Lebensvorstellungen und ziehen so einen schnellen Schlussstrich. Thomas ist enttäuscht, versteht uns nicht, nimmt Abstand, reist durch die Welt. Noch von der Erfahrung der ersten, kurzen Schwangerschaft platt und betäubt, versetzt mich das Ende der Familienkonstellation in große Wut. Ich komme mir um meine Lebensplanung betrogen vor.
Mit einer Beraterin rapple ich mich wieder auf. Begegne der erschreckenden Frage: War das jetzt mit 37 meine letzte Chance ein Kind zu bekommen, mit einem eigenen Kind zu leben? Ich habe das Gefühl, keine Zeit mehr zu haben. Keine Zeit, eine neue Konstellation zu finden, Vertrauen aufzubauen, und nach drei Jahren erneut festzustellen, dass es doch nicht passt und dann die jetztaber-wirklich-allerletzte Chance verpasst zu haben. Zeitgleich versuche ich, mit dem Verlust und der Trauer über das zu frühe Ende der ersten Schwangerschaft fertig zu werden. Ich nenne es ganz bewusst erste Schwangerschaft, weil ich will, dass es noch weitere, mindestens eine weitere gibt, die neun Monate dauert. Die Ärztin ist verständnisvoll und optimistisch: „Versuchen Sie es ruhig wieder, sobald Sie sich dazu in der Lage fühlen. Jetzt wissen wir ja, dass es klappt, dass Sie schwanger werden können.“ In meinem Kopf versuche mich zu ermahnen: Ich habe unser erstes Kind nicht verloren. Erstens, war es noch kein Kind. Dafür war es noch zu klein. Und zweitens, habe ich es nicht „verloren“ – verlieren klingt, als hätte ich versagt, etwas falsch gemacht. Stattdessen will ich lieber sagen: Es hat nicht gehalten.
Die bedrohliche Vorstellung, alleinerziehender Vater zu sein, ist auf einmal die realistischste Option. Ich wäge Für und Wider ab, lege lange Listen meiner Ängste und Sorgen an und wie ich ihnen jeweils ganz pragmatisch begegnen kann. Spreche mit Freund_ innen. Ja, sie sind bereit, eine verbindliche Rolle im Leben meines Kindes zu spielen und mich zu unterstützen. Das gibt mir Ruhe und Sicherheit. Ich will es wagen. „Ok. Dann mach ich das jetzt!“ Und zwar allein. Ich will und kann mich auf niemand anderen verlassen, wenn es ums Kinderkriegen und -großziehen geht. Und ein Kind will ich durchaus noch! So erschreckend der Gedanke auch ist, alleinerziehend zu sein. Es gibt nach wie vor für mich keine Alternative zu der Vorstellung, in Zukunft mit Kindern, meinen Kindern, zu leben. Die Frau, mit der ich in der Zeit liiert bin, fragt, ob ich denn nicht gegen meine Natur handeln würde. So als Mann schwanger werden zu wollen.
Ein Kinderwunsch ist weder weiblich noch männlich, sondern menschlich.
Es kränkt mich, dass sie das fragt. Aber ihre Angst in eine Co-Mutterrolle gedrängt zu werden, ohne ein Mitspracherecht bei der ganzen Sache zu haben, finde ich durchaus nachvollziehbar. Die Liaison hält nicht lange.
Bevor der Sommer vorbei ist, habe ich mich entschieden, es wieder zu versuchen. Aus dem Freund_innenkreis sagte Peter sofort zu, Patentunte aka Samenspender zu werden. Nach einer neuen Runde ärztlicher Tests und neuem Vertrag sind wir soweit.
Ich bin diesmal merklich abgeklärter. Die Angst, wieder irgendwann auf einen toten Bildschirm starren zu müssen, schwingt immer mit. Ich habe mir Beratung speziell zum Familienthema gesucht, um Unterstützung an meiner Seite zu wissen. Ich habe eine Scheißangst, aber ich ziehe das jetzt durch.
Warten auf Schwangerschaft
Beratungen bei unerfülltem Kinderwunsch
Johanna Montanari
Die normative gesellschaftliche Vorstellung verbindet Weiblichkeit mit Gebärfähigkeit. Innerhalb dieser Vorstellung wird eine Person, die als Frau gelesen wird, einfach so, ohne viel Überlegen schwanger: Dadurch dass sie die entsprechenden biologischen Voraussetzungen erfüllt, in einer heterosexuellen Beziehung ist und unverhüteten Penetrationssex hat. „Kinderwunsch“ und „unerfüllter Kinderwunsch“ sind Fachbegriffe, die in Medizin und Psychologie verwendet werden. Was bedeuten diese Begriffe genau und was implizieren sie? Wie wird denen, die sich ein Kind wünschen, aber nicht „auf natürlichem Weg“ schwanger werden und deswegen unter enormem Druck stehen, geholfen und welche gesellschaftlichen Vorstellungen hängen damit zusammen? Ich habe Interviews mit zwei Beraterinnen, die sich vor allem an cis-Frauen wenden, geführt und dafür das Feministische Frauen
Gesundheitszentrum (FFGZ) und pro familia in Berlin besucht.1
Unerfüllter Kinderwunsch oder Wunsch nach einem Leben mit Kind?
Auf der Homepage familienplanung.de, die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung betrieben wird, steht zum Beispiel direkt unter der Überschrift „Kinderwunsch“ ein Link zu dem Artikel „Warten auf die Schwangerschaft“. Dort liest sich: „Lässt die Schwangerschaft eine gewisse Zeit auf sich warten, ist das durchaus normal. Viele komplexe Abläufe sind nötig, damit eine Frau schwanger werden kann. Unter bestimmten Bedingungen ist es jedoch sinnvoll, bald ärztlichen Rat zu suchen.“
Der Begriff „Kinderwunsch“ wird unabhängig davon verwendet, wer ihn hat. Doch tatsächlich wird von der Norm des heterosexuellen Paares, also cis-Frau und cis-Mann mit den notwendigen biologischen Voraussetzungen, ausgegangen. Der Begriff „Kinderwunsch“ beschreibt eine nicht näher definierte „normale“ Zeit des Wartens, in welcher nicht in Frage steht, dass die Schwangerschaft kommt. „Unerfüllter Kinderwunsch“ steht für eine Zeit, in der das Warten an sich in Frage steht. Es steht in Frage, ob sich der Wunsch nach einem Kind überhaupt erfüllen kann. Die Konsequenz ist dann, sich an die Medizin zu wenden. Entgegen dieser normativen Vorstellung können auch Menschen, die nicht in heterosexuellen Liebesbeziehungen sind, nicht cis sind oder nicht die biologischen Voraussetzungen erfüllen, einen Kinderwunsch haben. Für sie ist Warten somit erst gar keine Option, damit sich ihr Wunsch erfüllt.
So genannte Kinderwunschkliniken bieten Behandlungen der Reproduktionsmedizin an, also vor allem künstliche Befruchtung (auch assistierte Reproduktion genannt) und das Eizellen-Einfrieren (Social Freezing oder Kryokonservierung genannt). Mit ihrer Namensgebung implizieren die Kinderwunschkliniken die Erfüllung des Wunsches nach einem eigenen Kind. Dahinter steht eine riesige Industrie, die wächst und wächst. Mit Reproduktionsmedizin lässt sich viel Geld verdienen. Und auch Arbeitgeber*innen kommt es möglicherweise zugute, wenn die Reproduktionsmedizin ermöglicht, dass Personen erst später in ihrem Arbeitsleben schwanger werden. 2014 gab es eine riesige öffentliche Debatte, nachdem die Firmen facebook und Apple bekannt gaben, die Kosten zu übernehmen, wenn Mitarbeiter*innen Eizellen einfrieren lassen wollen.
Auffällig ist, dass es bei dem Fachbegriff „Kinderwunsch“ um die biologische Schwangerschaft einer Person geht, die am Ende ihrer Schwangerschaft ein Kind gebärt, und mit diesem Begriff nicht zum Beispiel Adoption, Pflegekinder oder Zusammenleben mit Kindern verhandelt werden. Kinderwunsch als Begriff meint nicht den Wunsch nach einem Leben mit Kind. Stattdessen geht es um ein biologisches Kind, um die Weitergabe der Gene.
Zu Besuch bei zwei