Just do it geht nicht immer
Alisa Tretau
Seit über drei Jahren bin ich scheinschwanger. Das ist echt anstrengend. Nicht nur wegen der körperlichen Zustände, der Übelkeit und Bauchschmerzen, ich mache mir auch ständig Sorgen, dass ich etwas falsch mache und mein Körper nicht schwanger werden will. Jedes Mal, wenn sich mein Zyklus seinem Ende nähert, bin ich heimlich sicher: es hat geklappt! Mein Körper hilft mir fleißig, an diesem Glauben festzuhalten. Schon eine Woche vor der Regel ziehen meine Brüste, ist mir schlecht und fühle ich mich schwach. Ich schwindele. Mein Körper schwindelt mir Schwangerschaft vor, denn er weiß, dass ich dieses Gefühl liebe und brauche. Und dann, jedes Mal, wenn die Regelblutung kommt, bin ich tief enttäuscht von mir im Allgemeinen und meinem Körper ganz speziell. Der Loop aus Hoffnung und Scham, in dem ich gefangen bin, fängt von vorne an.
„Warum greift der Fakt, dass ich nicht ‘einfach so’ schwanger werde, mich derart an?”, frage ich mich, während ich einmal mehr im Wartezimmer meiner Gynaäkologin sitze, um mich beraten zu lassen, was „man tun kann“. Dabei ist mir das Schwangerwerden quasi in die Wiege gelegt worden: ich bin als cis-Frau geboren, bin weiß, Mittelschicht, und lebe in einer Hetero-Beziehung. Mittlerweile sind wir sogar verheiratet! Alle Türen stehen mir offen, eine gute Mutter zu werden. Sie sind so weit aufgerissen, dass sie auf mich wie dunkle Mundlöcher wirken, die mich anschreien: “Mach schon! Warum wird es bei dir nichts? Leg los mit den Kindern!” Und das will ich ja auch.
Und es klappt einfach nicht.
„Pass bloß auf, wir Tretau-Frauen werden schnell schwanger!”, hat meine Mutter mir schon früh gepredigt. Was als wohlmeinender Ratschlag mit Zwinkern in Richtung Anti-Baby-Pille gemeint war, sitzt mir nun als brennender Schamstachel im Fleisch. Denn was auf meine Oma, Mutter, Schwester und all die anderen Frauenfiguren in meiner Familie zuzutreffen scheint, kann ich von mir nicht behaupten. Dabei wollte ich es immer so machen, wie meine weiblichen Verwandten: eine junge Mutter sein, die sich einfach in das Abenteuer Leben stürzt, und trotz unwägbarer Überraschungen Kinder und Beruf famos unter einen Hut zu bringen weiß. An diesem Bild zweifeln wollte ich nie. Doch dann hatte ich, während der unzähligen Zyklen ohne die gute Nachricht, auf die ich wartete und warte, genug Zeit, das Hinterfragen zu lernen.
Im Sexualkundeunterricht, am Küchentisch oder in den altersgerechten Foren wird stets mit Schwangerschaft als der Konsequenz allzu unbedachten Beischlafs gedroht. Sex wird streng mit Verhütung verknüpft, dementsprechend sind platzende Kondome oder vergessene Pillen Anlass für schlaflose Nächte und beschämende Arztbesuche, in denen immer wieder rekapituliert wird, was das betreffende cis-Mädchen offenbar noch nicht verstanden hat: dass ihr, wenn sie nicht die Kontrolle behält, neben sexuell übertragbarer Krankheiten, ein ganz besonderes Schicksal droht: eine ungewollte Schwangerschaft, eine Situation, in der ihr nicht mehr geholfen werden kann. Denn wer will schon das demütigende, quasi per se traumatisierende Verfahren einer Abtreibung über sich ergehen lassen? Dann doch lieber noch vor Beginn der Periode Verhütungshormone nehmen, die oft mit praktischen Nebeneffekten wie Akne- oder Fettreduzierung für sich werben. Heute nehmen 80% aller vermutlich Gebärfähigen in Deutschland im Alter zwischen 18 und 20 die Anti-Baby-Pille. Viele sind überrascht, wenn sie diese dann irgendwann absetzen, wie anders ihr Körper sich anfühlt, dass permanent ablaufende Prozesse wie Follikelwachstum und Eisprung auf einmal spürbar werden. Dass Sex auf einmal mehr Spaß macht, weil eine neblige Taubheit sich auflöst, die eine weit verbreitete Begleiterscheinung der Pille ist. Eine Sexualpädagogin hat mir erzählt, dass, wenn sie junge cis-Frauen fragt, wie hoch die Chance sei, von einem Mal unverhütetem Sex schwanger zu werden, die meisten antworten „90%“. Dass es in Wahrheit 20-30% Wahrscheinlichkeit unter optimalen Bedingungen sind, dass eine Schwangerschaft von unglaublich vielen Faktoren abhängt und kein Automatismus ist, wird bei konventionellen Aufklärungsmethoden verschwiegen. Auch heute noch, wenn ich meine Freund*innen frage, die um die 30 Jahre alt sind, wissen viele nicht, wie Eierstock und Gebärmutter verbunden sind, wann im Zyklus der Eisprung stattfindet und was das überhaupt bedeutet. Wie lange dauert er? Kann ich nur dann schwanger werden? Wie viele Eier springen da überhaupt, und was ist die Regelblutung eigentlich genau? Kein Wunder, dass viele, so wie ich, in eine „Schocklücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit” fallen, wenn sie dann irgendwann schwanger werden wollen und das nicht sofort und quasi automatisch eintritt.
Bei manchen ja, klar. Es gibt „Pillenkinder“ und Unfälle. Sie sind sichtbar, über sie wird gesprochen, zumindest in meinem Umfeld. Oft habe ich das Gefühl, die beiläufige Art, schwanger zu werden, ist die einzig legitime, schützt sie doch davor, Ahnung haben zu müssen, von dem, was mit einer*m während der Schwanger- und Elternschaft passiert. Es scheint attraktiver, Kinder nicht zu planen, sondern nach dem „just do it“-Prinzip entstehen zu lassen. Und angesichts der lückenhaften Aufklärung, der wir alle unterzogen werden, macht es ja auch Sinn, Schwangerschaft als etwas Zufälliges zu begreifen. Wer daneben unsichtbar bleibt, sind Personen wie ich. Die, die sich Kinder wünschen, aber so schnell keine bekommen und sich dann konstant fragen, warum es nicht „einfach so“ passiert. Oder deren Beziehungskonstellation, sexuelle Orientierung, Alter, körperliche Verfassung oder ihr trans-Sein ausschließt, dass die Schwangerschaft sich als romantisches Nebenprodukt eines erfüllten Sexlebens einstellt. Sie alle müssen zunächst die passenden Orte finden, an denen ihre Fragen kompetent und mitfühlend beantwortet werden. Wenn ich gelernt habe, dass unverhüteter Hetero-Sex zur Schwangerschaft führt, was sagt es über mich und meinen Körper aus, wenn es bei mir, die alle diese Kriterien erfüllt, anders ist, bin ich dann keine „richtige Frau“? Und wie kann es sein, dass lesbische oder trans-Kinderwünsche weniger gelten als die von hetero- und cis-Personen? Mutterschaft ist in unserer Gesellschaft so eng mit Frau-Sein verknüpft, dass Ausnahmen von dieser Regel schwer wiegen, stets erklärt und verteidigt werden müssen. Das trifft auch auf diejenigen zu, die sich bewusst gegen das Mutter-Sein entscheiden.
Als ich nach gefühlten sechs Monaten ohne Verhütung zu meiner Gynäkologin ging, sagte sie mir, ich solle noch warten. „Kommen sie in einem halben Jahr noch einmal zu mir.” Ein Jahr warten sei in meinem Alter, mit Ende Zwanzig, normal. Erst danach bekommt die Situation einen Namen, mit dem medizinisch umgegangen werden kann: Unerfüllter Kinderwunsch.
Dabei sind die offiziellen Grenzen, ab wann ein Kinderwunsch als „unerfüllt“ und somit behandlungsbedürftig gilt, abhängig vom Alter und der historischen Perspektive. Orientierungshilfen finde ich bei meinen Recherchen nur für Hetero-cis-Paare: Heutzutage sollten diese, wenn sie um die 30 Jahre alt sind, nach spätestens einem Jahr unverhütetem Sex schwanger werden: Ab 35 Jahren – im Kontext Kinderwunsch die magische Grenze zum „Älter-Sein“ – „dürfte” dies an die zwei Jahre dauern. Andererseits wird gerade diesen Personen geraten, bereits nach einem halben Jahr Expert*innenhilfe einzuholen, denn, wie zum Beispiel die Stiftung Kinderwunsch erklärt: „Statistisch gesehen wird es ab 38 Jahre problematischer, schwanger zu werden, da die Fruchtbarkeit der Frau (sic!) ab da rapide abnimmt. Deutlich schwieriger wird es ab einem Alter von 43. Ab 45 Jahre wird es nahezu unmöglich, schwanger zu werden.” Dann wiederum wird immer wieder betont, dass jedes Paar individuell sei, dass es vielfältige Gründe für eine nicht-eintretende Schwangerschaft geben kann, die zunächst in den Bereich der Lebensweise geschoben werden: wer früh schulmedizinischen Rat sucht, wird wahrscheinlich anstelle einer Untersuchung den Rat bekommen, sich doch einfach mal zu entspannen, gesünder zu leben und in den Urlaub zu fahren.
Ende Teil 1
Von einem Mann, der auszog, ein Kind zu bekommen
Benjamin Czarniak
Die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt liegt bei Erstgebärenden ab 35 Jahren bei 40%.
Wenn schon der Wunsch von Transmännern, eigene Kinder zu bekommen unsichtbar ist, dann sind es ihre Erfahrungen mit Fehlgeburt, Trauer und Tod umso mehr.
Der Bildschirm wabert grau-schwarz wie eine wildgewordene Unterwasserkamera